Trinkkultur und Kritik: Vom Bier lernen
Grölende Saufhorden sind unserem Kolumnisten ungefähr genauso unangenehm wie distinguierte Craftbeer-Nerds. Aber über Bier spricht er trotzdem gern.
K ünftig mehr über Bier zu streiten, ist vielleicht der einzige gute Vorsatz, den ich seit Silvester noch nicht gebrochen habe. Immerhin. Und im Grunde war’s sogar der schwierigste von allen, weil diese Streite ja erstens mühsam sind – und weil es zweitens schon eine Herausforderung war, da noch nachzulegen, wenn man praktisch sein ganzes Leben lang drin steckt in der Nummer. Und eben streitet über Bier.
Von wegen Identitätsstiftung zum Beispiel: Für uns früh links Sozialisierte verbot es sich natürlich von selbst, emotional oder gar handgreiflich in die Reibereien mit dem Nachbardorf einzusteigen. Weder bei der Fußballschubserei, noch auf der Kirmes, weil is’ ja klar: Auch Lokalpatriotismus ist Patriotismus, und wie soll jemand einmal die bessere Welt hervorbringen, der sich als Kind schon mit den Nachbarn schlug?
Unverfänglicheres Streitthema waren da die Biergrenzen, beziehungsweise die Belieferungsgebiete der Brauereien. Wir waren Haake-Beck, irgendwo hinter den Hügeln lag Herforder – und im Moor, da trank man Einbecker, obwohl Einbeck eigentlich ganz woanders liegt.
Streit ohne Ende
Alles ist dazu gesagt und auch beforscht: Wissenschaftler:innen richten etwa immer mal wieder lustige Blindverkostungen aus, in denen Bierliebhaber:innen massenhaft daran scheitern, ihr vorgebliches Herzenspils von auch nur einer einzigen anderen Marke zu unterscheiden. Aber woher soll das auch können, wer so groß wurde: mit fünf Sorten Bier im Supermarkt und zwei auf dem Dorffest. Weizenbier galt als auswärtige Spezialität, und „Craftbier“ gab es weder in Wort noch Sache. Und trotzdem wurde eben endlos gestritten über gute und schlechte Biere.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Das zu steigern, ist nun eben schwer – und vielleicht erschließt sich auch nicht unbedingt jedem und jeder auf Anhieb, warum man sich so was überhaupt vornehmen sollte.
Die Sache ist die: Auch ich habe in Wahrheit keine Ahnung von Bier, dafür doppelte Abneigungen: Mir ist die „Bier her!“-Grölerei von Saufgruppen nämlich genauso zuwider wie der elaborierte Fetischismus von Craftbier-Nerds mit Midlifecrisis. Ich hasse Volksfeste, und ich hasse Menschen, die das Wort „einkehren“ benutzen. Und ich habe echte Angst, noch mehr Freund:innen an die „Volkskrankheit Alkoholismus“ zu verlieren.
Wissen statt meinen
Aber ich mag Bier. Und ich ärgere mich zunehmend über meine Ahnungslosigkeit. Zum Beispiel, wenn im Berliner Spätikühlschrank acht verschiedene bayerische Helle stehen und ich mich nicht nur fragen muss, warum dieses Zeug durchs ganze Land gekarrt wird, sondern eben auch: Welche davon ich schon mal weggegossen habe, weil sie entweder nach gar nichts oder aber nach Kotze geschmeckt haben? Und selbst bei uns draußen auf dem (platten) Land sind die Zeiten von „Pils, Pils oder Pils“ inzwischen ja doch vorbei.
Der Streit, den ich mir vorgenommen hatte, war in erster Linie einer mit mir selbst: mein Archivwissen zu hinterfragen, begründete Urteile zu fällen, neu und vielleicht zum ersten Mal wirklich schmecken zu lernen. Zähneknirschend habe ich sogar das Bier des Nachbarkreises von damals probiert, einen kleinen Braukurs gemacht, ein Buch gelesen und mir eine Biersortier-, Erinnerungs- und Bewertungsapp installiert.
Und man lernt auch was über sich selbst, wenn man minutenlang mit dem Telefon in der Hand über dem Glas hockt und mit sich ringt, ob einem das schräge Sauerbier nun 3.25 oder doch schon 3.5 Punkte in der Bier-App wert ist. Dass gefühltes Wissen nämlich einen Scheiß wert ist und nur zählt, was man hartnäckig auch gegen eigene Vorurteile erstritten hat. Das ist in der Politik übrigens ganz genauso.
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