piwik no script img

Trendsport WeihnachtssingenChoräle der Heimeligkeit

Kommentar von Johannes Kopp

Es gibt kaum ein Fußballstadion, in dem derzeit nicht gesungen wird. Fußballfans feiern den Advent, und die Kirche freut's.

„O, du Fröhliche“: Fußballfans üben sich in christlichen Ritualen Foto: dpa

Stille Nacht, Heilige Nacht“ tönte es bereits aus dem Signal-Iduna-Park in Dortmund. 68.000 beseelte Menschen haben mitgesungen, viele davon in ihrer gelb-schwarzen Fangarderobe. Diese Art von Besinnlichkeit – wenn auch in blau-weiß – war schon aus der Veltins-Arena auf Schalke zu vernehmen. In den Stadien von Magdeburg, Aachen und Köln und an anderen Standorten steht das alljährliche Weihnachtssingen noch bevor. Allein in diesem Jahr sind sechs neue Singstadien dazugekommen – Chemnitz, Rostock und Leverkusen etwa.

Der Transfer christlicher Bräuche in die Kathedralen des deutschen Fußballs boomt. Das Bedürfnis, jene Orte, an denen die Volksseele ansonsten ganz ungezwungen sein darf („Ihr seid Scheiße wie der BVB“, „Hurensöhne“, „Fick dich DFB“) in irgendwie weihnachtliche, heimelige Stimmungsbuden zu verwandeln, scheint unerschöpflich zu sein.

Beim 1. FC Union Berlin hat alles angefangen. Bis heute mischen sich dort beim Weihnachtssingen zarte Töne („Ihr Kinderlein kommet“) mit dem immer wiederkehrenden Schlachtruf „Eisern Union“. Irgendwann dazwischen kommt mal die Weihnachtsgeschichte. Fehlt zur Abrundung dieser eigentümlichen Mischung eigentlich nur der Stadiongassenhauer der Glückseligkeit: „So ein Tag, so wunderschön wie heute....“

Es gab ja mal Zeiten, da war den Kirchen der Fußball mit seinen ersatzreligiösen Zügen suspekt. Dass etwa einzelne Spieler in den Stadien von den Fans als „Fußballgott“ verehrt wurden, war ein beliebter Stoff für moralinsaure Predigten von den Kanzeln. Man hat sich eines Besseren besonnen. Die Kirchen sind zu offenherzigen Dienstleistern geworden. Dem eher weltlich orientierten Publikum geben Pfarrer und Priester in den Stadien ihren Segen. Fürs weihnachtliche Wohlgefühl liefern sie das Weihevolle frei Haus.

Nazis mit Herz

Vielerorts treten sie auch als Mitveranstalter auf wie die Vereinigung Christen in Magdeburg (CiMD ). Dort kam allerdings die Idee zum Weihnachtssingen aus einer anderen Ecke. Jörg Alsleben, der vor zwanzig Jahren wegen seiner Beteiligung an einer Hetzjagd von Neonazis auf Migranten vor Gericht kam und dieses Jahr im Trauerzug für Thomas Haller, den verstorbenen Mitbegründer der HooNaRa (Hools Nazis Rassisten), zu finden war, hatte mit seinem Kumpel Guido Völpel den Anstoß für das herzerwärmende Event gegeben. Beide sind leidenschaftliche Anhänger des 1. FC Magdeburg. Die Christen in Magdeburg erwiesen sich ebenfalls als begeisterungsfähig.

Es ist da eine ganz besondere Liaison zwischen dem Fußball und den Kirchen entstanden. Wenn die Menschen nicht in die Kirchen kommen, müssen diese eben zu den Menschen kommen. Oder man lässt die Kuttenträger wie in Köln vor Saisonbeginn im Dom unter Orgelbegleitung ihr Vereinslied singen – schwankend mit emporgehaltenen rot-weißen Schals.

Die kirchlichen Dogmatiker von einst sind so biegsam wie Weltklasseturner geworden. In Dortmund kündete der Moderator beim Weihnachtssingen mit einer ins Moll umschlagenden Stimme das nächste Lied an: „You'll Never Walk Alone“. Für die Menschen, die jetzt ganz alleine sind, erklärte er. Die Vereinshymne des FC Liverpool, die sich fast alle zu eigen gemacht haben, ist vor zwei Jahren bereits auch von evangelischen Landeskirchen in ihr erweitertes Gesangbuch aufgenommen worden.

Wie so viele Partner und Sponsoren des Fußballs träumt man in den Kirchen wohl von einer Win-win-Situation. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt jedenfalls: Da ist noch einiges möglich. Wie wäre es etwa mit dem Bekenntnis aus der Kurve: „Steht auf, wenn ihr für Christus seid.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!