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Trend verstetigt sichMehr Impfungen, weniger Infektionen

Nicht nur Geimpfte und Genesene haben bald mehr Freiheiten. Durch sinkende Corona-Inzidenzen könnten auch für alle anderen Lockerungen kommen.

Gleich gibt es Astrazeneca: 250 Dosen verimpft eine Ärztin in einem Pforzheimer Supermarkt Foto: Christoph Schmidt/dpa

Berlin taz | Wenn Bundestag und Bundesrat zum Wochenende mehr Freiheiten für Coronagenesene und vollständig Geimpfte beschließen, profitiert davon zunächst nur ein kleiner Teil der Bevölkerung: Zweimal geimpft sind bisher gut sieben Millionen Menschen, und die Zahl derjenigen, die im letzten halben Jahr einen positiven PCR-Test hatten, liegt bei 2,3 Millionen. Doch auch für andere sind Lockerungen absehbar.

Denn zum einen steigt die Zahl der Impfungen derzeit stark an: In den letzten Tagen wurden im Schnitt rund 670.000 Impfungen pro Tag verabreicht, das sind 25 Prozent mehr als noch in der Vorwoche. Derzeit entfällt der Großteil davon auf Erstimpfungen, doch das wird sich in der zweiten Maihälfte ändern. Zum anderen dürfte aber auch die sinkende Inzidenz, also die gemeldeten Coronafälle pro 100.000 Ein­woh­ne­r*in­nen innerhalb einer Woche, vielerorts zu Lockerungen unabhängig vom Impfstatus führen.

Denn bei den gemeldeten Neuinfektionen hat sich der Rückgang der Zahlen, der vor gut einer Woche erstmals zu beobachten war inzwischen zu einem klaren Trend verstetigt: Der 7-Tage-Mittelwert sinkt jetzt seit neun Tagen kontinuierlich. Am Donnerstag lag er mit rund 16.600 Fällen pro Tag knapp 17 Prozent niedriger als eine Woche zuvor.

Zu diesem Rückgang dürften zum einen die Impfungen beigetragen haben, die schon nach der ersten Dosis das Infektionsrisiko deutlich senken. Zum anderen haben viele Schulen nach den Osterferien wieder auf Distanzunterricht umgestellt. Und auch das Wetter, das mehr Aktivitäten im Freien erlaubt, dürfte einen Beitrag geleistet haben.

Schleswig-Holstein will Badeorte öffnen

Die sogenannte Notbremse, die bundesweit verbindliche Beschränkungen wie nächtliche Ausgangssperren ab einer lokalen Inzidenz von 100 vorsieht, dürfte dagegen allenfalls indirekt wirken, indem sie die dramatische Lage im April stärker ins Bewusstsein gerückt hat. Die faktischen Beschränkungen, die vor gut einer Woche in Kraft getreten sind, können sich dagegen wegen der Inkubationszeit der Infektion und der Meldedauer noch nicht stark in den Zahlen niederschlagen.

Durch die sinkenden Zahlen liegt die 7-Tage-Inzidenz mittlerweile in 140 der 412 Landkreise und kreisfreien Städte unter 100; Mitte April waren es nur 51. In weiteren 67 Kreisen liegt sie zwischen 100 und 120, sodass der Grenzwert zumindest in Sichtweite ist. Sobald eine Region an fünf Tagen in Folge unter 100 liegt, greift die Notbremse nicht mehr und Lockerungen sind möglich. Dies betrifft vor allem die Öffnung der Geschäfte.

Einige Bundesländer planen zudem bereits eine Öffnung von Außengastronomie und bestimmten Formen des Tourismus. So will Schleswig-Holstein schon von diesem Wochenende an einzelne Ostsee-Orte wieder für Urlauber öffnen. In Bayern sollen Hotels, Ferienwohnungen und Campingplätze in Kreisen mit einer stabilen 7-Tage-Inzidenz von unter 100 ab 21. Mai öffnen dürfen. Auch Brandenburg plant ab Pfingsten Lockerungen.

Coronazahlen dennoch hoch

Diese Strategie ist allerdings nicht ohne Risiko, denn durch vermehrte Kontakte könnte der aktuelle Rückgang der Infektionszahlen wieder gestoppt werden. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rief die Bundesländer im ZDF dazu auf, vorrangig Aktivitäten im Außenbereich zu öffnen. Man dürfe keine Umkehr bei der Entwicklung der Infektionszahlen riskieren, sagte er.

Denn trotz der gesunkenen Zahlen liegen die Werte in Deutschland weiterhin auf einem hohen Niveau. Länder wie Portugal oder Großbritannien hatte ihre strengen Lockdowns erst bei einer Inzidenz von 30 teilweise aufgehoben. Und auf den Intensivstationen ist die Lage in Deutschland weiter sehr angespannt.

Zwar ist die Zahl der dort behandelten Corona-Pa­tien­t*in­nen nach einem langen Anstieg zuletzt leicht gesunken. Mit rund 4.800 ist sie aber immer noch nicht weit entfernt vom Höchstwert im Januar, der bei knapp 5.800 lag. Und obwohl die am stärksten gefährdete Risikogruppe der Über-80-Jährigen inzwischen zum Großteil geimpft ist, starben in der letzten Woche im Schnitt noch 230 Menschen pro Tag im Zusammenhang mit Corona.

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6 Kommentare

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  • NPIs - Lösung oder Teil des Problems?

    Zitat: „Nicht nur Geimpfte und Genesene haben bald mehr Freiheiten.“

    Damit würden Geimpfte und Genesene auf eine Stufe gestellt. Und das wäre nur konsequent. In dem Impfgipfel-Eckpunktepapier wird als Ziel des fortgeschriebenen Restriktionsregimes definiert, alle Beschränkungen aufzuheben, „sobald eine Gemeinschaftsimmunität der Bevölkerung erreicht ist“.

    „Gemeinschaftsimmunität“ ist nur ein Synonym für die viel gescholtene Strategie der Herdenimmunität. Einer aktuellen Studie zufolge ist für einen Probanden das Risiko, nach 2 Impfungen einen niedrigen Ct-Wert aufzuweisen, also infektiöser zu sein, wahrscheinlich um 88 % geringer. Er wäre zwar möglicherweise infiziert, aller Wahrscheinlichkeit nach aber weniger infektiös. Ein ähnliches Muster zeige sich bei Ungeimpften nach Durchlaufen einer natürlichen Infektion. (MedRxiv: Pritchard et al., 2021).

    Dies führt zur logischen Schlußfolgerung, natürliche Infektion und Impfung seien für den Containment-Effekt der Virusausbreitung gleichermaßen wirksam, beide Wege zur Immunität folglich gleichwertig zu beurteilen. Es müßte daher wünschenswert sein, daß möglichst viele eine auf solch natürliche Weise immunisierende, symptomlose Infektion durchmachen. Aus der Tirschenreuth-Studie wissen wir, daß die Zahl der symptomfrei Infizierten das ça Fünffache der per PCR detektierten Infektionen beträgt, d. h. mindestens 80% der Infizierten sind nicht krank im Sinne eines WHO-Covid-19-Codes, aber nunmehr auf natürliche Weise, also ohne Impfung, immunisiert. (vgl. „Corona-Studie in Tirschenreuth: Vom Hotspot zum Niedriginzidenzgebiet, „Spiegel“ v. 4.5.2021).

    Dies bedeutete aller Logik nach, daß die hierzulande politisch oktroyierten rigorosen infektionshemmenden NPIs für die nicht-vulnerable Bevölkerung, also die erdrückende Mehrheit, deren natürliche Immunisierung womöglich behindern und damit die Epidemie verlängern, statt zu bremsen. Sie wären nicht die Lösung, sondern Teil des Problems.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Sie tun so als gebe es keinen Unterschied zwischen der Immunisierung durch Impfstoff und der Immunisierung durch Erkrankung. Das ist falsch. Die Immunisierung durch Impfstoff ist viel ungefährlicher.

  • > Der 7-Tage-Mittelwert sinkt jetzt seit neun Tagen kontinuierlich. Am Donnerstag lag er mit rund 16.600 Fällen pro Tag ....

    Hm, das ist auch ein ziemlicher Gewöhnungseffekt, nicht wahr? Vor einem Jahr, auf dem Höhepunkt der ersten Welle, hätte niemand Inzidenzzahlen von über 10,000 als niedrig empfunden oder als Anlass, nach "Lockerungen" zu rufen.

    Was ist eigentlich so die Exit-Strategie der Regierung, wenn mal 60 oder 70% der Bevölkerung geimpft sind, Schüler und Kinder aber noch nicht? Lässt man dann das Virus in ihren Altersgruppen frei laufen? Wartet man, bis die Eltern geimpft sind? Ich frag ja nur weil ja schon wieder gelockert wird....

    • @jox:

      Wenn so viele Menschen geimpft sind, dann wird sich der Virus auch in den umgeimpften Altersgruppen nicht mehr so schnell verbreiten können und die Gefahren in diesen Altersgruppen sind auch deutlich geringer.

      In Israel steigt die Positivrate der Testungen ( und auch die Inzidenz ) seit Wochen nicht mehr, obwohl die Durchimpfungsrate (nur ) in dem von ihnen genannten Bereich ist und nur noch wenige Einschränkungen greifen.

      Das Vorsorgeprinzip bedeutet auch, dass man die Risiken von Maßnahmen, die sich gegen bestimmte (andere) Gefahren richten, beachten muss. Also man muss sich auch vorsehen, dass die Vorsorge selbst nicht gefährlicher ist als das, was sie verhindern soll.

      Das heißt übrigens nicht, dass eine Niedriginzidenzstrategie (von Anfang an) falsch gewesen wäre. Aber jetzt ist nicht unbedingt der richtige Zeitpunkt, um damit anzufangen.

      • @Shaftoe:

        > Wenn so viele Menschen geimpft sind, dann wird sich der Virus auch in den umgeimpften Altersgruppen nicht mehr so schnell verbreiten können

        Genau das ist der Haken. Der Schutz durch kollektive Immunität funktioniert nur, wenn er entweder gleichmäßig verteilt oder in der betreffenden Gruppe bei Treffen oder Aktivitäten ausreichend vorhanden ist.

        Und das heißt, dass der Schutz bei Kindern, die in die Grundschule oder zum Sportverein gehen, oder einer Clique zwanzigjähriger, die in die Disco oder zum Oktoberfest gehen, sehr gering ist. Den gerade Kinder und junge Leute haben besonders viele soziale Kontakte (kein Vorwurf an diese, es sagt eher was darüber aus wie wir mit den Bedürfnissen vieler berufstätiger Menschen umgehen...)

        • @jox:

          Das ist ja aber keine schwarz/weiß-Geschichte.

          Auch die ungeimpften/ungenesenen Kinder und Teenager werden etwas durch die Immunität anderer geschützt. Es werden nicht spontan alle Maßnahmen aufgehoben. Und es ist auch durchaus so, dass die Auswirkungen der Erkrankungen in jüngeren Altersklassen viel geringer ist. Der Immunisierungsgrad in der Bevölkerung nimmt ständig zu und damit auch die Dynamik jeglicher weiteren Ausbrüche. Usw. usf.

          Die Situation entspannt sich einfach, sie ist nicht von heute auf morgen vorbei, aber sie ist halt auch nicht konstant "gleich schlimm".