Treffen zwischen Putin und Erdoğan: Machtpolitik vom Feinsten
In naher Zukunft wird wohl in Syrien nicht mehr geschossen werden. Die schlechte Nachricht: Frieden kehrt deshalb noch lange nicht ein.
S echs Stunden lang haben Recep Tayyip Erdoğan und der russische Präsident Wladimir Putin über Syrien gestritten, am Ende hat Erdoğan im Wesentlichen bekommen, was er wollte. Innerhalb von sechs Tagen (genau 150 Stunden, in denen die Waffen schweigen sollen) wird Putin dafür sorgen, dass entlang der türkisch-syrischen Grenze vom Euphrat bis zum Irak eine „Sicherheitszone“ entsteht, aus der sich die bewaffnete kurdische Miliz YPG vollständig zurückziehen muss.
Das Teilstück zwischen Ras al-Ain und Tal Abjad, das die türkische Armee mit ihren syrischen Hilfstruppen in den letzten zwei Wochen erobert hat, bleibt unter direkter Kontrolle der Türkei. Auf den restlichen 330 km westlich und östlich dieser Zone werden syrische Regimetruppen und russisches Militär die Kontrolle übernehmen und dafür sorgen, dass die YPG sich mindestens 30 km von der Grenze zur Türkei entfernt. Der gesamte Grenzstreifen soll zukünftig von russisch-türkischen Patrouillen gemeinsam überwacht werden.
Erdoğan hat damit von Putin das Maximum dessen bekommen, was er erwarten konnte. Er bleibt mit eigenen Truppen in Syrien präsent, auch wenn Assad das auf keinen Fall wollte. Putin hat seinem Protegé in Damaskus klargemacht, dass er diese Kröte schlucken muss. Dafür kann Assad den Rest von Nordsyrien wieder übernehmen.
Genau wie Trump vor ihm hat nun auch Putin die syrischen Kurden fallen gelassen. Nach den Verhandlungen mit Erdoğan sagte er lediglich, die Kurden müssten in dem neuen, multiethnischen Syrien ihren berechtigten Platz bekommen. Putin will sogar die Ansiedlung syrischer Flüchtlinge in der Sicherheitszone unterstützen, damit die Syrer aus der Türkei und anderswo bald wieder „nach Hause“ können.
Kramp-Karrenbauers Vorschlag hat sich erledigt
Das alles ist zynische Machtpolitik vom Feinsten. Sie kann kurzfristig funktionieren, wird aber langfristig weder Syrien Frieden bringen und schon gar nicht die Konflikte mit der kurdischen Minderheit in der Türkei lösen.
Mit dem Rückzug der USA und dem Deal von Sotschi ist die Debatte um eine internationale Sicherheitszone, die die deutsche Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer viel zu spät ins Gespräch gebracht hat, auch gleich mit erledigt. Syrien ist aufgeteilt, die Bundeswehr wird ganz sicher nicht an den Euphrat ziehen. Ende Oktober soll in Genf erstmals das mühsam zusammengestellte Verfassungskomitee tagen, in dem Assad Vertraute und ausgesuchte Oppositionspolitiker eine neue Verfassung für Syrien suchen sollen.
Von den demokratischen Kräften, die die Revolte gegen Assad ausgelöst hatten, ist niemand dabei. Es wird wohl in naher Zukunft in Syrien nicht mehr geschossen werden. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: Frieden kehrt deshalb noch lange nicht ein.
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