Travestie-Livekommentar zur WM: Delling und Netzer mit Perücke
Das letzte WM-Spiel in Gruppe C war ein echter Krimi. Zwei Berliner Dragqueens konzentrierten sich beim Wadengucken auf andere Dinge.
BERLIN taz | Griechenland gegen die Elfenbeinküste, das letzte WM-Vorrundenspiel der Gruppe C, bot einiges an Gesprächsstoff – nicht zuletzt aufgrund des spielentscheidenden Elfmeters in der Nachspielzeit. In einer Berliner Kneipe unterhielt man sich während der Übertragung jedoch vor allem über eines: männliche Geschlechtsorgane. „Die WM ist eine Pimmelparade.“
Mit Phrasen wie diesen bespaßten Jurassica Parka und Äimi Weinhaus, die sonst im Berliner Homo-Club „SchwuZ“ arbeiten, am Dienstagabend den Froschkönig im Neuköllner Schillerkiez. Eine prominente Besetzung, schließlich wurde Jurassica Parka erst kürzlich zur Berliner Miss CSD 2014 gekührt.
Zudem brachte die von Weinhaus als „Fachverständige vom Bund für Fußball und Männerwaden“ präsentierte Dragqueen eine Menge Erfahrung mit. Seit Jahren veranstaltet sie das sogenannte Nuttengucken, eine Public-Viewing-Veranstaltung zur Pro-Sieben-Show Germany's Next Topmodel. „Diese frauenverachtende Scheißsendung“, wie Parka sagt.
Nun also Fußball. Fachspezifische Expertise konnte man von den beiden nicht erwarten. Stattdessen entspann sich ein ausdrücklich auf Äußerlichkeiten beruhender Dialog. „Guck mal, diese rosa Schuhe“, sagte Parka. „Die sind doch orange“, korrigierte Weinhaus. „Nein, die sind neon. Neon ist das neue Schwarz. Wie meine Wimperntusche!“, entgegnete Parka. In ihrer Uneinigkeit erinnerten die beiden an Gerhard Delling und Günter Netzer – nur mit Perücken.
„Nur Latte, ohne Ejakulation“
Hin und wieder ging es dann doch um das Spiel: „Die sind gerannt, die haben getreten, ansonsten ist nichts passiert“, resümierte Parka nach der ersten Halbzeit. Eine vermeintliche Schwalbe wurde mit „Supersissi“ und „Opportunistensau“ kommentiert. „Ich bin aus Preußen, ich weiß, was Zucht und Ordnung bedeutet“, ließ Parka einfließen. Und zu Karagounis' Distanzschuss an den Querbalken hieß es: „Nur Latte – ohne Ejakulation.“
Was sonst der letzte Strohhalm eines jeden Kommentators ist, wurde bei den beiden Berliner Transen zum Kernelement der Spielbegleitung, die Analyse der Körpersprache. „An seiner Aura sehe ich: Er hat einen großen Penis“, stellte Jurassica Parka mit versiertem Blick fest.
Frisuren waren auch ein großes Thema. Didier Drogba habe Spätzle auf dem Kopf. Und bereits in der vergangenen Woche, als Äimi Weinhaus an gleicher Stelle das Spiel zwischen Mexiko gegen Brasilien kommentierte, hieß es über den brasilianischen Fußball-Popstar Neymar: „Der hat ein Glätteisen benutzt und sich Highlights machen lassen. Ich sag's euch, die Haare brechen ihm bald alle ab. Ich spreche da aus Erfahrung.“
Zwischen Schnapsrunden und Käsewürfelhäppchen, die auf Nationalfähnchen aufgespießt wurden, driftete Weinhaus gelegentlich ins Politische ab. Dass in Brasilien Straßenkinder erschossen und Menschen für den Stadionbau aus ihren Häusern vertrieben würden, könne sie nicht gutheißen.
Sie mache den Job hier ja nur wegen der guten Bezahlung. Viele der verkleideten Fans in den Stadien hätten auch etwas von Travestiekünstlern. „Aber warum werden so schlecht angezogene Männer nicht in der U-Bahn verprügelt, während sich hier in Neukölln manche Männer echt Mühe geben und genau das mit ihnen geschieht?
Zwei abgestorbene Korallen
In die Show mischten sich auch Fifa-kritische Töne. So solle der Weltfußballverband doch bitte mehr schwule Kameramänner einstellen und das WM-Logo überdenken. Letzteres sehe aus wie von einer Hausfrau mit dem Uraltgrafikprogramm Corel Draw gestaltet, meinte Parka. Weinhaus erkannte in dem Design zwei abgestorbene Korallen aus dem Great Barrier Reef.
Wie es sich für eine gute Fußballberichterstattung gehört, wurde nach dem Spiel analysiert. Auf die Frage, für wie tolerant Weinhaus den Fußball, insbesondere vor dem Hintergrund des Bekenntnisses Thomas Hitzlspergers zu seiner Homosexualität, hält, sagte sie, dass es schon ein Armutszeugnis sei, dass so ein Zirkus veranstaltet würde.
Wieso bekommt jemand dafür Applaus, dass er zeigt, wer er ist? Es gebe keine sexuelle Norm und der Fußball habe noch einen riesengroßen Weg vor sich. Und was hält sie von dem WM-Event als solchem? Sie sehe sowohl positive als auch negative Aspekte. Einerseits würde der Zusammenhalt gefördert, andererseits ginge der sportliche Grundgedanke flöten. Dass es im Laufe dieses Abends vor allem um Penisse und Schuhfarben ging, scheint da nur folgerichtig. Alles Oberflächlichkeiten? Willkommen in der modernen Fußballwelt!
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