piwik no script img

Trans/Inter kritisieren GesetzentwurfDrittes Geschlecht nur per Diagnose

Ein „drittes Geschlecht“ soll bald möglich sein – aber nur gegen ärztliches Attest. Inter und trans Aktivist*innen lehnen das ab.

Aktivist*innen fordern ein Drittes Geschlecht – aber nicht durch medizinische Diagnose! Foto: dpa

Trans und inter Aktivist*innen kritisieren einen Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums zum dritten Geschlecht. Die Kampagnengruppe „Dritte Option“, die sich für einen alternativen Geschlechtseintrag neben „weiblich“ und „männlich“ im Personenregister einsetzt, äußerte sich in einer Stellungnahme vom Dienstag ablehnend zu dem Entwurf des Seehofer-Ministeriums. Der Text widerspreche „in fast allen zentralen Punkten den Bedarfen der Betroffenen“, so die Aktivist*innen.

Den Gesetzentwurf zur Änderung des Personenstandsrechts hat das Ministerium bereits Anfang Juni erarbeitet. Seit dieser Woche nun kursiert er bei Verbänden und Expert*innengruppen zur Stellungnahme.

Zukünftig muss ein dritter Geschlechtseintrag möglich sein. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im Oktober vergangenen Jahres geurteilt, dass ein Verstoß gegen das Grundgesetz vorliegt, wenn im Geburtenregister nur „männlich“ und „weiblich“ als Geschlecht angegeben sind. Damit wurde der Gesetzgeber verpflichtet, neben „männlich“ und „weiblich“ einen dritten Geschlechtseintrag im Register bis Ende 2018 zu ermöglichen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat diese Entscheidung als „historische Entscheidung“ zur Gleichbehandlung intersexueller Menschen begrüßt.

In der Begründung des BVerfG heißt es: Personen, die sich dauerhaft weder dem „männlichen“ noch dem „weiblichen“ Geschlecht zuordnen lassen, würden durch das derzeitige Personenstandsrecht wegen ihres Geschlechts diskriminiert. Deshalb muss das Personenstandsrecht einen zusätzlichen Geschlechtseintrag zu „weiblich“ oder „männlich“ anbieten. Und zwar einen „positiven“ – also nicht wie bisher „keine Angabe“.

Genitalien und Gene sollen entscheiden

Laut Gesetzentwurf ist eine Einschränkung „auf Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ vorgesehen. Damit würden nur denjenigen Personen ein dritter Geschlechtseintrag ermöglicht, die einer medizinischen Diagnose entsprechen, wonach „Geschlechtschromosomen, das Genitale oder die Gonaden inkongruent sind“.

Die Kampagnengruppe fordert hingegen, dass das Einholen einer medizinischen Diagnose eine freie Entscheidung sein muss, insbesondere wenn kein Behandlungsbedarf besteht. Gegen eine Abhängigkeit von Mediziner*innen haben viele Betroffene hingegen große Vorbehalte, da sie zum Teil gerade seitens der Medizin massiven Diskriminierungen ausgesetzt sind.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat im Juli 2017 bereits ein Gutachten über Anerkennung von Geschlechtervielfalt und Geschlechtsidentitäten erstellt. Das Gutachten hat das Familienministerium veröffentlicht. Darin wird nachdrücklich auf die Schwierigkeiten der medizinischen Beweispflicht hingewiesen. Betroffene berichten immer wieder davon, dass in der Medizin überhaupt keine Einigkeit darüber bestehe, was als intersexuell gilt. Die Kritiker*innen werfen dem Innenmisterium vor, die Empfehlungen des Gutachtens nicht mit einbezogen zu haben.

Die Entscheidung des BVerfG wird noch weitere Gesetzesänderungen nötig machen. So bedeutet das Karlsruher Urteil auch, dass die Ehe für alle jetzt auch für intersexuelle Menschen gelten muss. Die entsprechende Umsetzung hierfür steht ebenfalls noch aus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Wozu brauchen wir dieses "Herr" oder "Dame" eigentlich _überhaupt_??? Wen interessiert das?



    Wenn ich ein Paket verschicke - warum muss ich da das Geschlecht des Empfängers angeben??? Wird das vielleicht nicht zugestellt, wenn der Herr des Hauses zum Beweise nicht mit dem Schwanz wedelt oder die Dame ihre Brüste auspackt?



    Muss ich, wenn ich "männlich" ankreuze, mich auch männlich benehmen, männliche Hobbies haben, männlich sterben oder wie oder was?



    Lassen wir diesen Mist doch einfach komplett - ich verzichte schon seit Längerem bei Versandangaben auf das Ausfüllen bzw. Ändern der Defaulteinstellungen, die interessanterweise immer auf "Herr" stehen. Mir doch egal...

  • 8G
    87546 (Profil gelöscht)

    Wieso kann sich die Medizin nicht anhand konkreter Merkmale zu einer einheitlichen Einschätzung durchringen, was Intersexualität ist und wer intersexuell ist? Generell denke ich schon, dass es für alle Menschen, gleich welchen Geschlechts, fixe medizinisch profunde Kriterien geben muss, um festzulegen, ob jemand männlich, weiblich oder intersexuell ist. Ansonsten könnte doch jeder auch argumentieren, er/sie/es fühlt sich aber eher als... Die Probleme bei einer nicht stichhaltigen Unterscheidung im Alltag möchte ich erleben, wenn beispielsweise eine Frau, die sich als Mann versteht, auf ein Herren-Klo geht. Oder erst umgekehrt!

  • Wenn Transsexualität normal wird, wird wohl endlich auch der Sexismus aufhören. Wenn wir alle verstehen, dass weiblich und männlich nur noch Rollen sind, die wir annehmen und ablegen können. Wenn wir verstehen, dass niemand 100% Mann oder 100% Frau ist, dann können wir gleich einem Chamäleon unser Leben zwischen den Geschlechtern leben. Vielleicht haben damit konservative heterosexuelle Männer ein großes Problem. Langfristig werden jedoch konservative Feministinnen das größere Problem damit haben. Stets auf der weiblichen Sonderrolle bedacht, die als auf ewig diskriminiert gelten muss, um immer weitere Privilegien zu erstreiten, wird dann nicht mehr gehen. So werden gerade diese konservativen Feministinnen sich als größte Gegnerinnen herausstellen, wenn es darum geht, Geschlechterrollen zu relativieren. Wenn es normal wird, für eine Lebensphase das andere, bislang in sich unterdrückte Geschlecht, zu leben, ist einfach kein Platz mehr für einseitige Quoten und gleichstellungswidrige Privilegien im Namen der Gleichstellung. Gerade diese konservativen Feministinnen werden darauf bestehen, dass nur "echte" Transsexuelle als Transfrauen anerkannt werden. Sie werden auf entsprechenden Tests bestehen, die Transsexuelle heute als diskriminierend empfinden. Wer weiß, ob sich die transsexuelle Community davon vereinnahmen lässt, um sich gegen einen neuen Lebensabschnittsphasengeschlechterwechsel abzugrenzen - oder ob sie für echte Freiheiten kämpfen werden - auch wenn sie dann etwas von ihrem eigenen Sonderstatus verlieren.

  • Ich finde ein drittes Geschlecht auch Blödsinn. Ich fände es besser, wenn man das Geschlecht aus dem Personenregister ganz streicht und das zur Privatsache werden lässt. Steht dort etwa auch die Blutgruppe oder sexuelle Präferenz? Es ist völlig kontraproduktiv, dem Geschlecht noch mehr Bedeutung beizumessen. Man sollte dem Geschlecht (egal welchem) weniger Bedeutung beimessen.

  • 9G
    90667 (Profil gelöscht)

    I don't think the state is interested in gender, right?



    So I suppose this is about sex, which makes it kinda easy: just take a DNA test.



    You're either male or female. And for the very minuscule number of people who are neither there will be a third option. Sounds reasonable to me.

    • @90667 (Profil gelöscht):

      " You're either male or female."

      NO you're not, that's the point. What if you're a man, but gay? Or a homosexual woman? What, if your sex is NOT clear? If you're a man by organs but feel and live like a woman? Or the other way round? Or if you change your sex later?



      Or you're a man but you don't live "like one" (whatever this means), meaning: you don't represent all the male risk factors?

      Nature produces all kinds of sexual identities, that's the way evolution works, its absolulety normal and essential for life to exist and survive.