Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: Dritte Option neben Mann und Frau
Die intersexuelle Person Vanja erreicht die Anerkennung eines „weiteren Geschlechts“. Der Bundestag hat bis Ende nächsten Jahres Zeit, das umzusetzen.
Karlsruhe taz | Das Bundesverfassungsgericht hat anerkannt, dass es eine „dritte Möglichkeit“ geben muss, sich zwischen den Geschlechtern „männlich“ und „weiblich“ zu verorten. Erfolg hatte damit die Verfassungsbeschwerde einer Person, die sich „Vanja“ nennt. Die Richter sprechen nicht von einem „dritten Geschlecht“, sondern von einem „weiteren Geschlecht unter einer einheitlichen dritten Bezeichnung“.
Vanja wurde 1989 geboren. Im Geburtsregister wurde Vanja als Mädchen eingetragen. Als die Pubertät ausblieb, wurde festgestellt: Vanja hat eine ungewöhnliche Chromosomen-Konstellation, zwischen Mann und Frau. Zunächst nahm Vanja Östrogen, also weibliche Sexualhormone, um fraulicher auszusehen. Doch auf Dauer fühlte Vanja sich damit nicht wohl. Seit einigen Jahren nimmt Vanja Testosteron, das männliche Sexualhormon, und trägt jetzt einen Bart. Vanja wählte für öffentlichen Auftritte mit Bedacht einen Vornamen, der je nach Kulturkreis männlich oder weiblich verstanden wird. Vanja sieht sich nach wie vor nicht als Frau und nicht als Mann.
Mit Unterstützung der Kampagne „Die dritte Option“ versuchte Vanja, den Eintrag im Personenstandsregister zu ändern. Statt „weiblich“ sollte dort „inter/divers“ oder nur „divers“ stehen. Eine dritte Möglichkeit ist aber weder in den Formularen noch im Gesetz vorgesehen. Deshalb scheiterte Vanja zunächst in allen Instanzen, zuletzt 2016 beim Bundesgerichtshof.
Der Gesetzgeber hatte allerdings zwischenzeitlich reagiert und das Personenstandsgesetz geändert. Seit 2013 heißt es dort: „Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen.“
Das Bundesverfassungsgericht hält diese Reform nicht für ausreichend. Menschen wie Vanja hielten sich schließlich nicht für geschlechtslos. Erforderlich sei eine „dritte Möglichkeit“, ein Geschlecht neben Mann und Frau einzutragen. Das Personenstandsgesetz sei in der bisherigen Form verfassungswidrig.
Selbstbestimmte Entwicklung gefährdet
Der Personenstand sei „keine Marginalie“, erklären die Richter, sondern zentral für die rechtlich relevante Identität einer Person. Wenn die rechtliche Anerkennung der geschlechtlichen Identität verweigert wird, gefährde dies eine selbstbestimmte Entwicklung. Das Grundgesetz schreibe auch keineswegs vor, dass es nur zwei Geschlechter geben dürfe. Im Gegenteil: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze auch die sexuelle Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Und wenn es im Grundgesetz heiße: „Niemand darf wegen seines Geschlechts (…) benachteiligt werden“, dann sei damit auch ein weiteres Geschlecht neben Mann und Frau gemeint.
Nun muss der Bundestag bis zum 31. Dezember 2018 eine Neuregelung beschließen. Bis dahin ist das alte Recht nicht mehr anwendbar. Gerichtsverfahren wie das von Vanja sind auszusetzen. Der Gesetzgeber hat nun zwei Möglichkeiten, das Personenstandsgesetz nachzubessern. Entweder er verzichtet völlig auf die Zuordnung zu Geschlechtern oder er räumt eine zusätzliche Möglichkeit ein, positiv ein Geschlecht zu bestimmen, „das nicht männlich oder weiblich ist“. Auch den Namen dieser Option müsste der Bundestag dann festlegen.
Die Richter betonen, dass eine Neuregelung niemandem etwas wegnehme.
Die Richter betonen, dass eine Neuregelung niemandem etwas wegnehme. Weiterhin könnten sich intersexuelle Personen auch als Mann oder Frau registrieren lassen, falls sie sich so fühlen, oder auf eine Geschlechtszuordnung verzichten.
Eine neue Option werde zwar in der Verwaltung für gewissen „Mehraufwand“ sorgen. Es stellten sich jedoch die gleichen Zuordnungsprobleme wie bei der geltenden Rechtslage, die ja bereits den Verzicht auf eine Geschlechtsangabe erlaube.
Leser*innenkommentare
Kim Schicklang
Weiterhin könnten sich intersexuelle Personen auch als Mann oder Frau registrieren lassen, falls sie sich so fühlen, oder auf eine Geschlechtszuordnung verzichten."
Das ist aber genau die Sache. Da wird gesagt es seien
a) intersexuelle Personen
und
b) wenn sie sich so fühlen
Wir müssen aufpassen, was das heissen soll dann. Wenn daraus dann wird, dass sie kein Mann und keine Frau SIND, aber das Recht bekommen, dass sie sich so FÜHLEN dürfen, dann wird Menschen, die medizinisch so zugeteilt werden das Geschlecht irrigierweise auch aberkannt.Das ist das, was endlich einmal in den Diskurs kommen sollte. Dahinter steckt eine geschlechtliche Hierarchie - ausgehend von der Deutung durch einen Mediziner.
4845 (Profil gelöscht)
Gast
@Kim Schicklang Bei Intersexuellen Personen ist es wissenschaftlich objektiv nachweisbar, dass deren Körper beide Geschlechstmerkmale hat. Für diese Menschen ist dieses Gesetz gedacht. Bei Transsexuellen und Transgender ist das wieder eine ganz andere Sache. Bei erstern ist es tatsächlich wohleher ein "Gefühl" und bei letzterne eine reine Ideologie. Aber um des lieben Friedenswillen werden beide letzere vermutlich auch unter das Gesetz fallen.
Boiteltoifel
So erfreulich ich das Urteil finde, habe ich doch eine Frage:
Aufgrund der Höflichkeit gebietet sich im täglichen Umgang die Anrede mit "Herr" oder "Frau". Wie werden Inter* angesprochen? Der Versuch vor zig Jahren, die Anrede für Frauen in "Dame" zu ändern ist ja schon (kläglich) in der Versenkung verschwunden.
Da muß noch sehr, sehr viel Aufklärung in der Bevölkerung stattfinden, bis sich etwas ändert und alle praktischen Fragen geklärt sind (ein paar Ewig-Gestrige wird es leider immer geben).
4845 (Profil gelöscht)
Gast
@Boiteltoifel Also jetzt übertreiben Sie mal nicht. Natürlich ist es gerade für intersexuelle Sinnvoll sein das verwaltungstechnisch diese neue dritte Kategorie eingeführt wird. Aus juristischen Gründen auch um diesen Personenkreis vor Zwangsoperationen zuschützen. Aber auf den Alltag wird sich dies noch lange nicht auswirken, wozu auch? Im Alltag ist den meisten Intersexuellen es gar nicht anzusehen, dass sie beide Merkmale vereinen. Meist dominiert Äußerlich eines der beiden Geschlechtsmerkmale und anderen Merkmale ist kaum wahrnehmbar. Insofern stellt sich diese Frage der Anrede im Alltag gar nicht. Übrigens, was ist an "Frau" denn so falsch? Kann mich nicht erinnern dass das geändert werden sollte. Nur das "Fräuliein" is (auch nur in Deutschland) mittlerweile verpönt.
Boiteltoifel
@4845 (Profil gelöscht) Ich habe auf der Arbeit häufiger mit Menschen zu tun, deren "Geschlecht" nicht eindeutig zuzuordnen ist. Nachfragen führen gewöhnlich zu großer Aufregung bei den meist deutschen Begleitern. Dann werde ich schnell mal als Nazi beschimpft. Das halte ich auch für übertrieben!
4845 (Profil gelöscht)
Gast
" Das halte ich auch für übertrieben!"
Selbstverständlich.
DiMa
@Boiteltoifel Die gleiche Fragestellung tritt bei er / sie / (es) auf. Werden die Personalpronomen Singular 3. Person zukünfig zwangsweise geschlechterneutralsiert?