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Trainingslager in den Golfstaaten „Der Sport ist ein löchriger Käse“

Sport ist nicht unpolitisch, sagt der Sportethiker Elk Franke. Ein Gespräch über den schwierigen Tourismus deutscher Bundesligisten an den Golf.

Selfie mit Katari: Bayern-Profi David Alaba hält sich mit politischen Statements zurück Foto: dpa
Interview von Markus Völker

taz: Herr Franke, der FC Bayern München ist nach Doha, Katar gereist, Eintracht Frankfurt und Borussia Dortmund haben ihre Trainingslager in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgeschlagen. Das wird heftig kritisiert wegen der schwierigen Menschenrechtslage, unwürdigen Arbeitsbedingungen von Gastarbeiten. Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge findet, ein Trainingslager sei „keine politische Äußerung“. Hat er recht?

Elk Franke: Es ist naheliegend, dass der Vertreter eines auf sportlichen Erfolg ausgerichteten Vereins so argumentiert.

Warum?

Leute wie Rummenigge bedienen sich gern eines Arguments, das nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt wurde: Der Sport ist unpolitisch. In diesem Sinne gilt die Trainingsreise in einen Golfstaat nicht als politische Äußerung.

Alle drei Klubs haben hervorragende Bedingungen in Katar in der „Aspire Academy for Sports Excellence“ und den Emiraten. Aber heiligt der Zweck die Mittel?

Rummenigge bezieht sich auf eine alte Position, die in der jungen Bundesrepublik von Sportpolitikern gefeiert worden ist. Das war nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus, wo der Sport von den Nazis vereinnahmt und politisch instrumentalisiert wurde, auch nachvollziehbar. Man wollte sich aus der Politik heraushalten und glaubte eine eigene Welt aufbauen zu können. Dies gilt zwar für das Spiel auf dem Rasen, aber für seine Organisa­tions­formen ist es eine Illusion. Die Politik nimmt den Sport gern für sich in Anspruch. Umgekehrt profitiert der Sport auch stark davon. Somit wird der Satz „Der Sport ist unpolitisch“ zu einer ideologischen Aussage, die in der Alltagspraxis keine Gültigkeit hat.

Es handelt sich also um eine reine Schutzbehauptung?

Man benutzt dieses Diktum, um ein doppeltes Spiel zu spielen. Auf der Hinterbühne wirken in hohem Maße betriebs- und gewinnorientierte Mechanismen bis hin zu Betrügereien, und auf der Vorderbühne fordert man Respekt, Fairness und authentisches Leistungsstreben. Gerade der Fußball lebt in einer Doppelwelt, die sich glaubt durch eine Doppelmoral stabilisieren zu müssen. Es gibt allerdings auch viele Konsumfans, die sich an der Doppelmoral nicht stören, sondern nur den Erfolg ihres Vereins im Auge haben.

Im Interview: Elk Franke

Der Sportwissenschaftler und Philosoph hat sich unter anderem mit ethischen und ästhetichen Fragen im Sport auseinandergesetzt. Der 73Jährige lehrte zuletzt an der Uni Bremen, davor war er an der Humboldt Universität Berlin tätig.

Ist ein Verein, auch wenn er wie der FC Bayern München neuerdings eine Abteilung „Public Affairs“ hat, nicht überfordert in der Rolle des politisch korrekten Mahners beziehungsweise des Importeurs westlicher Werte?

Manche Spieler lassen bereits eine gewisse Sensibilität bei Medienfragen zu diesem Thema erkennen. Sie werden ja auch, wenn sie zum Beispiel in Israel sind, zur Holocaustgedenkstätte Jad Vaschem gefahren oder dergleichen. Andererseits könnte man auch auf die vielen deutschen Touristen verweisen, die gern zum günstigen Tarif ins Fünfsternehotel nach Doha reisen, in eine Unterkunft, die möglicherweise von Sklavenarbeitern gebaut wurde.

Münchens Kapitän Philipp Lahm hat bei seiner Ankunft in Katar die Gretchenfrage gestellt: „Was ist besser: Geht man wirklich offen mit dem Thema um oder sagt man, man bleibt einfach zu Hause. Oder fährt man hin und spricht darüber?“ Was sagen Sie: hinfahren oder wegbleiben?

So eine Reise muss nicht nur der eigenen Leistungssteigerung dienen, sie kann auch mehr sein: ein gesellschaftspolitisches Unternehmen. So könnte man die Attraktivität als Verein vor Ort nutzen, um über den Tellerrand zu schauen und Missstände anzusprechen. Das hätte einen hohen aufklärerischen und reflektierenden Wert.

Ein symbolpolitischer Akt?

Nicht nur. Wenn beispielsweise die Spieler des FC Bayern München in Katar in ein Elendsquartier der Gastarbeiter fahren würden, die die Stadien für 2020 bauen, dann wäre das mehr als Symbolpolitik.

taz.am wochenende

Das Hormonmittel Duogynon galt in den sechziger Jahren als Innovation. Dann kam es zu Fehlbildungen an Kindern. Besteht der von Betroffenen vermutete Zusammenhang? Was unsere Autorin in erstmals geöffneten Akten gefunden hat, lesen Sie in der taz. am wochenende vom 9./10. Dezember. Außerdem: Der Astronaut Alexander Gerst erzählt im Gespräch, wie Krieg aus dem Weltall betrachtet wirkt. Und: Der US-Wahlkampf wird auf dem Rücken illegaler Einwanderer ausgetragen. Warum stört das einen konservativen Farmer? Das und mehr gibt es am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Das ist aber wohl nicht geplant.

Es wäre wünschenswert, wenn Vereine sich nicht nur bei der Reklame für mehr Respekt, sondern auch sonst als moralische Institution verstehen würden.

Woher rührt die moralische Sonderrolle des Sports? Man muss ja bedenken, dass die Bundesregierung die „strategische Partnerschaft“ mit Katar hervorhebt, in den Emiraten operieren 900 deutsche Firmen. Katar hält Beteiligungen an VW, Hochtief und Siemens. Und allein im ersten Halbjahr 2014 wurden Rüstungsexporte nach Katar und in die Emirate im Volumen von über 55 Mil­lio­nen Euro genehmigt. Warum wird im wirtschaftlichen Bereich die Wertedebatte nicht mit der gleichen Vehemenz geführt wie im Sport?

Diese Frage tangiert das Selbstverständnis des Systems Sport. Ein Sieg eines Fußballteams ist nicht nur ein Erfolg, er hat immer auch eine ethisch-ästhetische Bedeutung. Es sind im Idealfall natürliche Leistungen von authentischen Akteuren bei offenem Handlungsablauf zu bestaunen. Das bietet die Grundlage für eine Identifizierung, die im Zirkus oder Theater nicht möglich ist. Das Kulturgut Wettkampfsport kann aber nur geschützt werden, wenn es seine Werte wirklich glaubwürdig vermittelt. Die Identifizierungsbereitschaft der Fans hängt ab von der Balance zwischen Gewinnorientierung und einer gewissen Glaubwürdigkeit der Bedingungen, unter denen Leistungen erbracht werden. Es sollte daher kennzeichnend für Fußballvereine sein, sich nicht automatisch so zu verhalten wie ein VW-Konzern oder eine Bank.

Lässt sich ein Fußballverein auf diese Weise hervorragend vor den Karren eines moralischen Imperialismus spannen?

Ja. Der Sport ist ein inhaltsfreies Drama, das eine Identifikation mit allen möglichen Inhalten erlaubt. Ein Schweizer Käse, in dessen Löcher allerhand reinpasst, ohne dass der Geschmack verloren geht.

Oder eine Leinwand, auf die alles Mögliche projiziert werden kann.

Der Sport hält viel aus, zum Beispiel auch die omnipräsente Werbung. Dies zeigt sich im Kontrast, wenn zum Beispiel die Musiker eines Symphonieorchesters mit einer Marlboro-Schärpe spielen würden? Das ist eher undenkbar. Der Sport ist ein Prototyp dafür, wie etwas vermarktet werden kann, ohne dass das Produkt darunter leidet.

Der FC Bayern kriegt jetzt wieder das meiste Fett weg, weil er das Trainingslager in der Golfregion aufschlägt, dabei müsste Eintracht Frankfurt im Zentrum der Kritik stehen, denn die Hessen treten in einem Freundschaftsspiel gegen den saudischen Klub Al-Ahli Dschidda an, ein Angebot, das Borussia Dortmund bewusst abgelehnt hat. Im Vorjahr spielte der FC Bayern gegen den saudischen Spitzenverein Al-Hilal, was später auch von Rummenigge als Fehler bezeichnet wurde. Warum regt sich niemand über die Eintracht auf?

Das beschäftigt eher die Lokalpresse. Es war wohl für die Frankfurter nicht so einfach, Spielpartner zu finden, die gut sind. Aber die Diskussion über Saudi-Arabien ist auch etwas scheinheilig. Der Blogger Raif Badawi, der zu 1.000 Peitschenhieben verurteilt wurde und mit dem Leben bedroht ist, ist seit eineinhalb Jahren in den Medien, ohne dass es eine so deutliche Kritik wie zuletzt an Saudi-Arabien gegeben hätte. So gesehen ist die Kontaktaufnahme der Frankfurter Eintracht mit Dschidda nicht nur unverantwortlich, sondern auch naiv.

Kann so ein Spiel nicht auch eine Brücke schlagen?

Der Sport wird manchmal durch seine unverbindliche Art zum Türöffner und kann unter bestimmten Umständen auch zum Abbau von Spannungen beitragen wie in einigen Fällen zur Zeit des Kalten Krieges. Er darf sich dabei aber nicht hinter der Nachkriegsfloskel vom unpolitischen Sport verstecken. Gerade ein so schwammiger Begriff wie Glaubwürdigkeit hat auch eine hohe ökonomische Bedeutung. Deshalb sollte der Fußball sensibler mit den Bedingungen umgehen, unter denen er stattfindet.

Die Sportfunktionäre und Vereinsmanager werden jetzt immer wieder die Gelegenheit bekommen, darüber nachzudenken, wie politisch sie sein wollen, denn Katar hat sich als Sportgroßmacht etabliert, richtet in diesem Jahr die Straßenrad-WM aus, 2018 die Turn-WM, 2019 die Leichtathletik-WM und 2022 aller Voraussicht nach die Fußball-WM. Wird sich die Diskussion über Werte möglicherweise verändern?

Das ist schwer zu prognostizieren. Man muss beobachten, ob solche Sportevents auch zu gesellschaftspolitischen Veränderungen führen werden. Dabei spielen die westlichen Medien eine große Rolle, wenn sie nicht nur über den Ereignissport, sondern auch über das Land berichten.

Man gewinnt aber den Eindruck, dass große Sportevents, ob sie nun am Persischen Golf, in Aserbaidschan oder China stattfinden, eher systemstabilisierend im Ausrichterland wirken?

Kurzfristig ist so ein Stabilisierungseffekt meist noch erkennbar. Aber es gibt inzwischen auch die Welt der neuen Medien, die gern Hintergründe sichtbar machen. Dadurch könnten solche Events mittelfristig auch zu Pyrrhussiegen für die veranstaltenden Länder werden.

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1 Kommentar

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  • 2G
    27741 (Profil gelöscht)

    Sport politisch? Ganz einfach. Was nicht sein kann, dass nicht sein darf. Denn wie soll sonst ein Fußballer mit Millionengehalt sein Einkommen erklären. Er verdient sein Geld mit Schaumschlägerei. Mehrwert erzielt er jedenfalls keinen. Und was an Fanartikeln ect. verkauft wird, trägt nur zur Vergrößerung des Mülls auf unserem Planeten bei.