Trainerduell Ancelotti versus Guardiola: Pragmatiker gegen Ideologe
Im Champions-League-Halbfinale trifft Real Madrid auf Manchester City. Ihre Trainer könnten unterschiedlicher kaum sein.
Wundersam, weil mit dem Gewinn der spanischen Liga vielleicht noch gerechnet werden konnte – nicht aber mit einer reellen Chance auf das Champions-League-Finale. Von einer „unglaublichen Chance“ spricht der Trainer. Ein 3:4 muss Ancelottis Elf heute umbiegen, der Optimismus ist groß. Gegen Paris St. Germain, wo man in der Gesamtwertung eine halbe Stunde vor Schluss mit 0:2 hinten lag, und Chelsea, wo es zehn Minuten vor Ende 3:4 hieß, hat man schon ganz anderes überstanden.
Wundersam aber auch, weil nicht nur das Team um Luka Modric, 36, Toni Kroos, 32 und Karim Benzema, 34, als weit über den Zenit galt – sondern auch ihr Trainer. Ancelottis Karriere schien sich seit dem Champions-League-Sieg mit Real 2014 im sanften, aber stetigen Sinkflug zu befinden. Nach der Entlassung in Madrid hielt er sich beim FC Bayern nur gut eine Saison, es folgten immer kleinere Klubs mit Neapel und Everton. Als Real vorigen Sommer überraschend Zinédine Zidane absprang, schien Ancelotti nicht mehr als die beste Notlösung: „Carletto“ kannte man wenigstens.
Nun steht er als erster Trainer mit Meisterschaften in allen fünf großen Ligen da (vorher: AC Mailand 2004, Chelsea 2010, Paris St. Germain 2013, Bayern 2017) und er hat sich nicht verändert. Seine Stärken sind dieselben geblieben, seine Menschlichkeit gegenüber den Spielern, die Flexibilität in jeder Hinsicht, ob beim geschmeidigen Umgang mit sendungsbewussten Vorgesetzten und einer hyperventilierenden Presse, bei der Anpassung der Spielweise an die Gegebenheiten von Liga und Kader – oder an der Taktiktafel. Wie Lucas Digne, einer seiner Ex-Spieler bei Everton, sagt: „Er kann sein System mit einem Fingerschnippen ändern.“ Je nach Saisonphase und Form spielte Real auf Konter, dominant – oder, vor allem europäisch, einfach nur Heldenfußball.
Einflussreichster Trainer des Jahrhunderts
Steht Ancelotti also archetypisch für die Pragmatiker der Trainerbank, so trifft er heute auf sein exaktes Gegenteil: Pep Guardiola, einst sein Vorgänger bei den Bayern, ist wahrscheinlich der profilierteste Ideologe seines Berufsstandes. An den Details tüftelt er wie ein Besessener – in wichtigen Champions-League-Spielen gern auch mal zu viel –, aber nie würde er von seiner grundsätzlichen Spielidee abweichen. Passen, passen, passen, Ballbesitz und Angriff. Mit neuen oder neu vertieften Konzepten wie dem Pressing nach Ballverlust, der falschen Neun oder hybriden Außenverteidigern ist er zum wohl einflussreichsten Trainer des bisherigen Jahrhunderts avanciert. Den „besten der Welt“ nennt ihn Jürgen Klopp, der darauf auch ein paar Claims haben könnte.
Auch Guardiola ist ein Weltenbummler, wenngleich er erst auf drei der fünf großen Ligen kommt. In Spanien, Deutschland und England hat er neun von zwölf möglichen Meisterschaften gewonnen – mehr als Ancelotti, der in seiner rund doppelt so langen Cheftrainerkarriere in jedem Land nur genau eine holte. Dafür führt der Italiener bei den Champions-League-Titeln mit drei zu zwei. Wichtige Matches sind seine Spezialität, weil er Spielern die Anspannung zu nehmen versteht. In Mailand hieß es, dass er dann gern Witze erzählt.
Nach zwei Titeln dort eliminierte er auf dem Weg zum dritten mit Real 2014 die Bayern Guardiolas mit einem 4:0-Auswärtssieg. Für den Katalanen war es die schlimmste Niederlage seiner Trainerkarriere; seither wartet er auf Erlösung und die Öffentlichkeit auf die Bestätigung, dass er es auch mit einem anderen Team als Barcelona schaffen kann. Während er noch nie entlassen wurde, halten Ancelotti in der Regel allein Resultate im Amt. Nur unter Silvio Berlusconi in Mailand durfte er zwischen 2001 und 2009 länger als zwei Jahre bleiben.
Sein Landsmann Antonio Cassano beschuldigte Ancelotti kürzlich, nur auf individuelle Aktionen seiner Stars zu setzen: „Andere Teams entwickeln darüber hinaus auch wunderbaren Fußball.“ Guardiola ließe sich der gegenteilige Vorwurf machen: seine Autorenschaft ist so dominant, dass die Spieler es in großen Spielen vielleicht an Eigenverantwortung fehlen lassen. Der perfekte Trainer – er wäre in Wirklichkeit wohl die Mischung aus Carlo und Pep.
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