Tourismus in der Türkei in der Krise: Hoffen auf deutsche Urlauber
Die türkische Tourismusindustrie setzt Hygiene- und Schutzkonzepte vorbildlich um. Doch Deutschland stuft die Türkei als Corona-Risikogebiet ein.
Doch die Stadt ist leer. Die knapp 90.000 Einwohner, zu denen im Sommer normalerweise gut 450.000 Urlauber kommen, sind weitgehend unter sich. Es wirkt nicht nur gespenstisch, es ist ein wirtschaftliches Debakel für eine Stadt, die 90 Prozent ihrer Einnahmen durch den Tourismus generiert. Einige Rentner sitzen in selbst mitgebrachten Stühlen am leeren Strand.
In den Cafés sind so wenige Gäste, dass die Abstandsregeln wie von selbst eingehalten werden. Von den mehr als 20 großen 5-Sterne-Hotels, die an der Bucht von Marmaris in den letzten dreißig Jahren gebaut worden sind, ist lediglich eins geöffnet. Das Marti (Die Möwe) liegt landschaftlich gut angepasst im Wald versteckt. Es hat vor einer Woche geöffnet, von den 285 Zimmern sind lediglich 60 belegt.
Es sind ausschließlich inländische Gäste, die meisten kommen aus Istanbul. Ali Öz ist mit seiner Familie vor zwei Tagen angekommen. „Ich habe mir das Hotel im Internet ausgesucht“, erzählt er, „es ist ein ruhiger und sicherer Platz.“
Enttäuscht von der Bundesregierung
Er lobt die Vorsichtsmaßnahmen, die getroffen wurden, die guten Hygienemaßnahmen, die mit 5 Metern Abstand aufgestellten Liegen am Strand. „Wir fühlen uns sicher hier“, bestätigt seine Frau. Für die wenigen Gäste lässt das Hotel 200 Angestellte arbeiten. Die meisten von ihnen sind Saisonkräfte, die glücklich sind, dass sie jetzt etwas verdienen.
Am Samstag haben der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu und der Tourismusminister Mehmet Nuri Ersoy deutsche und andere europäische Korrespondenten extra in die Tourismushochburg Antalya eingeladen, damit sie sich vor Ort überzeugen sollten, wie gut die Türkei auf Urlauber vorbereitet ist.
Çavuşoğlu meinte, er sei enttäuscht, dass die Bundesregierung die Türkei als Corona-Risikogebiet eingestuft hat. Es gebe dafür keinen wissenschaftlichen Grund. Für die Tourismusgebiete geben ihm die Zahlen recht. In der gesamten Provinz Antalya gab es seit dem 11. März lediglich 500 infizierte Personen, in der Provinz Muğla, zu der Marmaris gehört, weniger als 300 positiv getestete Menschen. Die täglichen Neuerkrankungen liegen bei 3 bis 5 Fällen.
Problem auch für Tausende türkischstämmige Deutsche
Während Çavuşoğlu sich diplomatisch gab und betonte, man sei weiter mit der Bundesregierung im Gespräch, wurde Tourismusminister Ersoy einen Tag später deutlicher. „Wenn es keine wissenschaftlichen Gründe für die Reisewarnung gibt, müssen ja wohl politische und wirtschaftliche Überlegungen dahinterstecken“, sagte er. „Die europäischen Länder haben wohl beschlossen, dass das Geld der Urlauber in Europa bleiben soll“, glaubt er. „Die zweite Coronawelle ist für die Türkei eine ökonomische“, sagte Ersoy, der selbst eine Hotelkette betreibt.
Die bis Ende August verlängerte Reisewarnung ist aber nicht nur für den Tourismus in der Türkei ein Riesenproblem. Auch Tausende türkischstämmige Deutsche sitzen auf ihren Koffern und wissen nicht, was sie machen sollen. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Gökay Sofuoğlu, sagte den Zeitungen des Redaktionsnetzwerkes Deutschland, vor allem die Regelung, dass Rückkehrer aus „Risikogebieten“ womöglich nach der Wiedereinreise für zwei Wochen in Quarantäne müssten, verunsichert die Leute.
Außenminister Çavuşoğlu hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. „Wir glauben immer noch an eine Neubewertung der Türkei, vielleicht ab Juli.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Experten warnen vor Trump-Zöllen
Höhere Inflation und abhängiger von den USA
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Klimagipfel in Baku
Nachhaltige Tierhaltung ist eine Illusion