Totes Kind in Flüchtlingsunterkunft: Flüchtlingskind gestorben
Die kleine Rana starb an Organversagen. Eltern beklagen mangelnde Hilfe in der Hamburger Unterkunft am Rugenbarg. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
HAMBURG taz | Ein Kind aus einer Hamburger Flüchtlings-Erstunterbringung ist gestorben. Die zehn Monate alte Rana A. lebte seit Oktober mit ihren Eltern in einem früheren Baumarkt am Rugenbarg. Gegenüber dem NDR-Fernsehen sagte der Vater, seiner kleinen Tochter sei dort nicht ausreichend geholfen worden: Zwei Mal innerhalb von drei Tagen habe die Familie die ärztliche Sprechstunde in der Unterbringung aufgesucht – beide Male jedoch hätten die Ärzte eine Überweisung ins Krankenhaus abgelehnt. Stattdessen seien fiebersenkende Mittel ausgehändigt worden.
Erst am späten Abend des 22. Januar wurde das kranke Kind dann mit einem Rettungswagen ins Kinderkrankenhaus Altona gefahren. Von dort kam Rana später auf die Intensivstation des Uniklinikums Eppendorf (UKE) – wo sie am 3. Februar an Organversagen starb.
Die Staatsanwaltschaft hat ein „Todesermittlungsverfahren“ eingeleitet, ohne allerdings konkrete Personen zu beschuldigen, so Sprecher Carsten Rinio. Laut erstem Obduktionsergebnis starb das Baby an „Multi-Organversagen“. Man warte jetzt den ausführlichen Obduktionsbericht ab, um mehr über den Krankheitsverlauf zu erfahren, sagt Rinio. „Dann werden wir Klarheit haben, ob sich weitere Ermittlungsansätze ergeben.“
Einmal in der Woche ein Kinderarzt
Die Erstaufnahme am Rugenbarg ist in einem leeren Baumarkt untergebracht und hat Platz für 1.400 Menschen: 400 Plätze in benachbarten Containern, die übrigen in der Halle, in der auch Wohnbereiche abgeteilt sind. Zum Stichtag 31. Januar lebten dort 1.354 Personen, darunter rund 200 Kinder.
Hamburgweit leben rund 1.900 Kinder in Erstunterkünften.
Die ärztliche Versorgung am Rugenbarg und in anderen Erstunterkünften stellt das UKE mit einer Ärzteambulanz von 40 Stunden pro Woche. Von 16 Uhr bis Mitternacht ist dann ein DRK-Rettungswagen vor Ort.
Neu ankommende Flüchtlinge werden ärztlich untersucht. Eine spezielle kinderärztliche Erstuntersuchung gibt es aber nicht.
Asylbewerbern steht laut Gesundheitsbehörde nach Erfassung und der Anmeldung bei der AOK Bremen/Bremerhaven das gleich Behandlungsspektrum offen wie Krankenversicherten.
Wollen sich Ärzte ehrenamtlich engagieren, können sie sich beim Gesundheitsamt Altona melden.
Politisch ist der Fall schon jetzt ein Paukenschlag. Stellt sich doch die Frage nach den Gesundheitsbedingungen der Kinder in den Flüchtlingsunterkünften. „Ich frage mich, was Ärzte normalerweise tun, wenn ein Baby eine Woche lang mit Fieber und Durchfall kommt“, sagt etwa Christiane Schneider, flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion.
Und die CDU-Abgeordnete Karin Prien glaubt, „dass das System der kinderärztlichen Versorgung in Erstaufnahmen nicht ausreichend ist“. Nach ihren Information kommt zwar einmal in der Woche ein Kinderarzt an den Rugenbarg, wo derzeit auch rund 200 Kinder leben – auch Ranas Eltern hätten sich zwar für einen Termin angemeldet, seien aber nicht drangekommen.
Das passt zur Schilderung des Vaters gegenüber dem NDR: Nicht nur am Mittwoch, den 20., und am Freitag, den 22. Januar, habe er mit seinem kranken Kind den medizinischen Dienst aufgesucht, sondern obendrein auch am Donnerstag dazwischen. „Ich bin nicht reingekommen, weil ich keinen Termin hatte. Die Warteliste an der Tür war schon voll und die Tür verschlossen.“ Einem Zeugen zufolge war die Familie überdies auch am 18. Januar bereits vorstellig geworden – erfolglos.
Weder Gesundheitskarte noch Überweisung
Auch in normalen Kinderarztpraxen ist es mal voll, aber dort entscheidet im Zweifel der Arzt, welcher Fall wie dringend ist. Die kleine Rana bekam am ersten Tag kein Mediziner zu Gesicht. Und auch beim nächsten Mal soll eine Ärztin nur ihre Ohren untersucht haben. „Ich habe sie gebeten, mir eine Überweisung ins Krankenhaus zu schreiben“, so Ranas Vater im NDR. „Aber sie hat gesagt, nein, das würde sie mir nicht empfehlen, weil sie dort auch wieder drei, vier Stunden warten würden und sie würden dort auch nur wieder sagen, dass es eine Virusinfektion ist.“
Ohne eine Überweisung hätte er nicht in die Klinik gehen können, erzählt der Vater weiter: Er habe weder eine Gesundheitskarte noch ein vorläufiges Papier. Nachdem das Kind dann doch spät in der Nacht ins Krankenhaus kam, habe der Arzt ihm am nächsten Morgen gesagt, dass sein Zustand ziemlich kritisch ist. „Er vermutete eine Salmollen-Vergiftung oder eine koronare Infektion.“
Den Medizinischen Dienst in der Unterbringung am Rugenbarg stellt das UKE. Zu dem konkreten Fall aber gibt das Klinikum sich zugeknöpft: „Wir fühlen mit der Familie. Aufgrund der laufenden Ermittlungen können wir keine weiteren Auskünfte geben.“
„Auf medizinischem Hochschulniveau“
Die fachlich zuständige Gesundheitsbehörde hat Kritik an der medizinischen Versorgung in den Zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen (ZEA) in Hamburg zurückgewiesen. Nach Prüfung der bisher vorliegenden Informationen sehe man „keine Lücken in der Organisation der medizinischen Versorgung in der ZEA am Rugenbarg“, erklärte ein Sprecher.
„Das Kind wurde seit November engmaschig sowohl allgemein- und kinderärztlich als auch mehrmals im Krankenhaus versorgt.“ In der Flüchtlingsunterkunft gebe es eine sehr gute Versorgung der Flüchtlinge durch das UKE, und das „auf medizinischem Hochschulniveau“.
Für die Frage der Gesundheitskarte und des allgemeinen Zugangs zu Ärzten sei wiederum die Sozialbehörde zuständig. Dort heißt es: Flüchtlinge haben grundsätzlich die Möglichkeit, im Notfall alle Ärzte aufzusuchen, die Behörde übernimmt die Kosten. Christiane Schneider zufolge funktioniert das in der Praxis aber nicht: „Wir hören, Flüchtlinge werden von den Ärzten wieder weggeschickt“, sagt die Linke.
Hunger in den Flüchtlingsunterkünften
Die CDU-Abgeordnete Prien will per schriftlicher Anfrage erfahren, von wem und wann die kleine Rana untersucht wurde und ob das System der Gesundheitsversorgung in der Erstaufnahme im Zusammenhang mit dem Todesfall steht. Nach ihren Informationen gibt es keine systematische kinderärztliche Erstuntersuchung. Viele Kinder seien mangelernährt und erschöpft. Sie müssten regelmäßig gewogen und versorgt werden. Auch reichten drei Mahlzeiten am Tag nicht aus.
Wie die taz Anfang Januar berichtete, machen sich darüber auch ehrenamtliche Helfer Sorgen: Kleine Kinder bräuchten fünf Mahlzeiten am Tag. Da es verboten sei, Nahrungsmittel mit in die Schlafräume zu nehmen, litten manche Hunger.
Es gebe eine staatlich verordnete „Mangelernährung bei Flüchtlingskindern“, hatte etwa Nadja Frenz von der Initiative „Kinderprogramm Erstaufnahme“ erklärt. Dies führe zu „akutem Eisenmangel, Magen-Darm-Erkrankungen“ und den unterschiedlichsten Entzündungen. In vielen der 32 Erstaufnahmeeinrichtungen fehle es an „Obst, frischem Gemüse, Fruchtsäften, warmer Milch und spezieller Babynahrung“.
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