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Totes Flüchtlingsbaby in HannoverFolge eines Fehlers im System

Die Kinderklinik in Hannover, die eine Ghanerin, deren Baby später starb, wegen fehlender Papiere weggeschickt haben soll, weist die Vorwürfe zurück.

Beruft sich auf schlechte Verständigung mit der Mutter: Kinderklinik Auf der Bult in Hannover. Bild: dpa

HANNOVER taz | Ein vier Wochen altes Flüchtlingsbaby ist gestorben. Die Kinderklinik „Auf der Bult“ in Hannover habe sie und ihren Sohn weggeschickt, weil sie keinen Krankenschein vorlegen konnte. So sagt es die aus Ghana stammende Mutter. Klinikdirektor Thomas Beushausen weist den Vorwurf zurück.

Die Klinik schicke keine Kinder weg und das Versicherungsverhältnis hätte man später geklärt. Die Verständigung sei jedoch „sehr schwer“ gewesen, die drei betreuenden Mitarbeiterinnen hätten keinen Notfall gesehen, und die Mutter sei noch vor der Behandlung ihres Sohnes verschwunden.

Aussage steht also gegen Aussage und die Staatsanwaltschaft ermittelt. Doch egal, ob die Klinik sich nun „gemäß den professionellen Standards“ verhalten hat, wie Beushausen sagt, oder nicht: Der Fall macht einen Fehler im System deutlich und zeigt, wie sehr Flüchtlinge mit gesundheitlichen Problemen auch vom Glück abhängig sind. Vom Glück, an die Richtigen zu geraten.

An solche etwa, die zufällig ihre Sprache verstehen oder an jene, die einen Notfall auch wirklich erkennen können. Nicht selten sitzt am Empfang der Notaufnahmen aber kein medizinisches Personal mehr, sondern Mitarbeiter aus der Verwaltung, die sich vor allem um Aufnahmeformalia wie eben die Versicherungsfrage kümmern.

„Auch wenn es seltener zu solch dramatischen Folgen kommt, ist das Problem schon im Asylbewerberleistungsgesetz festgeschrieben“, sagt Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen.

Das regelt, dass Flüchtlingen neben einer Notfallbehandlung nur lebensnotwendige medizinische Leistungen bezahlt werden – wenn sie sich vorher einen Krankenschein besorgt haben. „Die Ärzte wissen so oft nicht, für welche Behandlungen die Kosten erstattet werden und deshalb zögern sie“, sagt Weber.

Helfen könnte eine elektronische Gesundheitskarte nach Bremer Vorbild. Die rot-grüne Regierung will nun prüfen, ob ein solches System auch für Niedersachsen infrage kommt.  

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7 Kommentare

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  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Das (Betriebs-)SYSTEM, der nun "freiheitliche" Wettbewerb um ..., ist ein FOLGENREICH-symtomatischer Fehler von bewußtseinsschwacher ARMUT an ursprünglich geistreichen Alternativen!!!

  • Hier fehlen dann doch einige wichtige Infos; so hat sich das ganze wohl abgespielt:

    - Mutter fährt mit Kind ins KH

    - Mutter wird wegen fehlendem Krankenschein abgewiesen

    - Mutter fährt mit Kind zur Kinderärztin, um den entsprechenden Schein schnell zu holen

    - Kinderärztin ruft einen Rettungswagen (!!!) um das Kind wieder ins KH zu bringen

    - Kind stirbt auf dem Weg zum KH im Rettungswagen

    - Nach Ankunft von totem Kind im KH verständigt das KH die Kriminalpolizei

     

    Es steht also nicht nur Aussage gegen Aussage, denn da sind noch viel mehr Menschen involviert, z.B. die Kinderäztin.

     

    Und dann ist da noch die Frage, ob man in dringenden Fällen wirklich immer erst zum Arzt soll um einen SChriebs zu holen, dass man ins KH darf...man stelle sich das mal bei einem Schlaganfall oder Herzinfarkt vor.

     

    Es handelt sich hier also auch nicht um einen "Systemfehler", sondern um unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge - aber die bittere Erfahrung lehrt, dass dafür niemand einsitzen wird.

    • @muds0r:

      Bitte ich schreibe unter dem Kurznamen Niemand im Blog und ich zeichne die Opfer, die an die tausende gehen auf. Dass die Justiz und Polizei mich dafuer bestrafen wird sehe ich nicht. Im Gegenteil wird sie um mehr Geld bitten um die Ueberwachung zu verschaerfen.

      • @Erwin Wolfram:

        Interessant, dass Sie als "Niemand" schreiben, aber wenn Sie vorher genau gelesen haben, haben Sie sicher auch bemerkt, dass ich "niemand" klein geschrieben habe und Sie deshalb damit nicht gemeint sind.

    • D
      D.J.
      @muds0r:

      Danke für die Infos. Wenn es sich so abgespielt hat: Natürlich braucht man für Notfälle keinen Krankenschein (selbst in den USA wird auch ohne Versicherung behandelt). Gäbe als die Möglichkeiten: 1 Situation nicht erkannt oder 2. Situation in der Zwischenzeit eine andere.

  • D
    D.J.

    Der Vorfalls wird gerichtlich geklärt werden. Derzeit Aussage gegen Aussage. Wenn in der Überschrift "hat weggeschickt" statt "habe weggeschickt" steht, dann ist dies nicht einfach nur eine Vorverurteilung, sondern ganz, ganz schlechter Journalismus.

  • Das Asylbewerberleistungsgesetz ist schlicht und einfach verfassungswidrig und gehört abgeschafft. Der Teil, der eine entwürdigend niedrige Versorgung mit sächlichen und finanziellen Mitteln festlegte ist ja (nach 20 Jahren unverschämter Ignoranz der Politik) vom BverfG kassiert worden. Und nun zeigt sich ein weiteres Details dieses Grusel-Gesetzes, das dessen grundsätzliche Missachtung des Artiels 1 des Grundgesetztes erneut klar aufzeigt. Ich bin (ich weiß: naiv!) immer wieder schockiert darüber, dass die deutsche Legislative, wenn ihr danach ist, das Grundgesetz und dessen wichtigste Bestimmungen durchaus mal ignoriert.

    Ich plädiere dafür, alle Personen die dem Asylbewerberleistungsgesetz zugestimmt haben vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen, denn die Verfassungswidrigkeit desselben war scon bei der Abstimmung darüber offensichtlich - so der Tenor des BVerfG bzgl. der Leistungshöhe.