Tote Zivilisten im Ukraine-Krieg: Die Trümmer-Toten von Borodjanka

Auch im Kiewer Vorort Borodjanka wurden Leichen auf den Straßen gefunden. Russische Besatzer verboten hier außerdem, Verschüttete zu bergen.

ein zerstörtes Wohnhaus, durch die TRümmer hindurch blickt man auf den Himmel

Zerstörtes Wohnhaus in Borodjanka, 7. April 2022 Foto: Daniel Ceng Shou-Yi/ZUMA Wire/dpa

Noch vor einer Woche waren hier die russischen Streitkräfte. Jetzt kann alle Welt sehen, was sie zurückgelassen haben. Die Kleinstadt Borodjanka im Kiewer Umland, in der vor dem Krieg 12.000 Menschen lebten, ist praktisch komplett zerstört. Kein einziges Gebäude ist heil geblieben. Die Menschen, die während der einmonatigen russischen Besatzung in Borodjanka geblieben waren, wissen nicht, mit was sie diese Zeit vergleichen sollen – außer mit der Hölle.

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Borodjanka ist eine der zahlreichen Ortschaften nahe Kiew, die die russische Armee mit 250 Kilo schweren Luftminen angegriffen hat. Bombenflugzeuge warfen ihre Fracht auf Wohnhäuser ab, drehten eine Runde und bombardierten ein zweites Mal. Strategisch kann diese Brutalität nicht begründet werden. Denn es gab im Ort kein einziges Militärobjekt. Nur Häuser, Schulen, Kindergärten, Kulturzentren und Geschäfte.

Die Generalstaatsanwältin der Ukraine, Irina Wenediktowa, sagt, dass in Borodjanka viel mehr Zivilisten ums Leben gekommen sind als in Butscha. Aber hier wurden sie anders getötet: Man hat sie bei lebendigem Leibe begraben.

Als die Luftminen auf mehrstöckige Wohnhäuser abgeworfen wurden, hatten sich die meisten Menschen in deren Kellern versteckt. Nach der Explosion fielen die Gebäude wie Kartenhäuser zusammen, die Menschen blieben unter den Trümmern. Die Besatzer ließen keine Helfer zum Ort der Katastrophe durch. Die Luftangriffe begannen Ende Februar und erst am 7. April konnte man anfangen, die Trümmer wegzuräumen. Am ersten Tag wurden 27 Leichen gefunden. Wie viele noch unter den Trümmern liegen, kann niemand mit Sicherheit sagen.

Auf der Hauptstraße von Borodjanka stehen drei Hochhäuser nebeneinander. In zweien von ihnen klaffen genau in der Mitte riesige Löcher. Alle Stockwerke vom Erdgeschoss bis zum Dach bilden einen einzigen großen Schutthaufen. Die Chance, dort noch Menschen lebend zu bergen, ist gleich null.

Einer der Anwohner, dessen in der Nähe liegendes Haus ebenfalls durch die Explosion zerstört wurde, sagte, dass die Häuser nach dem Angriff noch zwei Tage gebrannt hätten. Niemand habe sie gelöscht. Und auf die, die den unter den Trümmern begrabenen Menschen helfen wollten, hätten die russischen Soldaten geschossen. Praktisch hinter jedem Haus in Borodjanka findet man frische Gräber. So haben die Menschen ihre verstorbenen Angehörigen, Freunde und Nachbarn begraben.

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Wenn man all dies sieht, kann man einfach nicht begreifen, warum das geschieht. Was sind das für Menschen, die zu so etwas in der Lage sind? Was hat der Pilot des Flugzeugs, das die Bomben abgeworfen hat, gefühlt, wo er doch wusste, dass er auf Zivilbevölkerung schoss?

Beim Abzug haben die russischen Soldaten ihr Beutegut mitgenommen: Waschmaschinen, Kühlschränke, Fernseher, Mikrowellengeräte und sogar Kochtöpfe. Ist das wirklich all das Blut an ihren Händen wert? Ist dieses Böse wirklich so banal, wie Hannah Arendt geschrieben hat?

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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Anastasia Magazova ist 1989 auf der Krim (Ukraine) geboren. Studium der ukrainischen Philologie sowie Journalismus in Simferopol (Ukraine). Seit 2013 Autorin der taz und seit 2015 Korrespondentin für die Deutsche Welle (DW). Absolventin des Ostkurses 2014 und des Ostkurses plus 2018 des ifp in München. Als Marion-Gräfin-Dönhoff-Stipendiatin 2016 Praktikum beim Flensburger Tageblatt. Stipendiatin des Europäischen Journalisten-Fellowships der FU Berlin (2019-2020) in Berlin. Als Journalistin interessiert sie sich besonders für die Politik in Osteuropa sowie die deutsch-ukrainischen Beziehungen.

Eine Illustration. Ein riesiger Stift, der in ein aufgeschlagenes Buch schreibt.

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