Tote Geflüchtete im Ärmelkanal: Die Rettung kam zu spät
Auf dem Weg aus Frankreich nach Großbritannien kentert ein Boot mit Menschen aus Afghanistan und Sudan. Trotz Rettung sind sechs Tote bestätigt.
Das völlig überfüllte Boot wurde am Samstagmorgen kurz vor 4 Uhr von einer französischen Patrouille vor der französischen Küste bei Sangatte nahe Calais entdeckt, wo es in Seenot geraten war. Die Passagiere wurden mit wenigen Ausnahmen alle geborgen, aber sechs von ihnen starben nach der Rettung.
Erst am Donnerstag hatte die britische Küstenwache die Überquerung von 755 Flüchtlingen bestätigt – der höchste je registrierte Tageswert. Damit stieg die Gesamtzahl der von den britischen Behörden registrierten Boat People seit Beginn der Aufzeichnungen am 1. Januar 2018 Berechnungen britischer Medien zufolge auf über 100.000. Dieses Jahr bis 10. August waren es bereits 15.826, etwas weniger als im gleichen Vorjahreszeitraum. Wie viele weitere Flüchtlinge es unentdeckt an die britische Küste schafften, ist nicht bekannt.
Anders als manche EU-Länder betreibt Großbritannien staatliche Seenotrettung: Die Küstenwache fährt aufgespürten Flüchtlingsbooten entgegen und nimmt die Insassen an Bord oder eskortiert deren Boote an Land. Die Flüchtlinge landen dann im regulären Asylverfahren.
Schwimmende Unterkunft „Bibby Stockholm“ geräumt
Der britischen Regierung ist es trotz massiver Kritik von Rechtsaußen bisher nicht gelungen, dass weniger Menschen nach Großbritannien fliehen. Immer wieder neu gestartete Vorhaben, die Seenotrettung zu beenden oder Bootsflüchtlingen ein Asylverfahren zu verwehren, wurden bisher allesamt nicht umgesetzt.
Die Küstenwache weigert sich, die Seenotrettung einzustellen, Frankreich nimmt Bootsflüchtlinge nicht zurück und das Vorhaben der britischen Regierung, sie zwangsweise nach Ruanda zu verfrachten, statt ihnen die Möglichkeit eines Asylantrags in Großbritannien zu gewähren, wird weiterhin von der Justiz blockiert.
Ende 2022 warteten knapp 170.000 Flüchtlinge in Großbritannien auf ihren Asylbescheid, dreimal so viele wie drei Jahre zuvor. Solange sie warten und sobald sie das Erstaufnahmezentrum verlassen haben, müssen sie auf Staatskosten von den Kommunen untergebracht werden, meist in umfunktionierten Billighotels. Viele tauchen in dieser Zeit ab und verschwinden aus der Statistik.
Die neueste Idee der britischen Regierung, Asylsuchende stattdessen auf Schiffen unterzubringen, wo man sie besser überwachen kann, erlitt vergangene Woche einen Dämpfer: das erste dafür vorgesehene Boot, das umgebaute Containerschiff „Bibby Stockholm“ im südwestenglischen Hafen Portland musste geräumt werden, gab die Regierung am Freitag bekannt. Zuvor waren einige der 39 bislang dorthin gebrachten Flüchtlinge erkrankt und daraufhin wurden Legionellen in der Wasserversorgung des Schiffes festgestellt.
Für viele Flüchtlinge ist Großbritannien trotz aller Widrigkeiten ein attraktiverer Zielort als Frankreich. Das liegt an der Sprache, am leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt, an der geringeren Polizeigewalt und am humaneren Umgang der Behörden mit Illegalen. In Frankreich müssen viele Flüchtlinge monatelang warten, bevor sie überhaupt einen Asylantrag stellen können. Solange gibt es für sie kein Anrecht auf irgendeine Versorgung. Sie kampieren irgendwo oder machen sich auf die Weiterreise. Ihnen Hilfe zukommen zu lassen, wird oft behindert oder kriminalisiert, selbst bei kranken Obdachlosen oder alleinreisenden Minderjährigen.
Die französischen Kommunalbehörden im Raum Calais hatten zuletzt laut der britischen Sunday Times gewarnt, es gebe eine deutliche Zunahme anreisender Flüchtlinge, die auf eine Überfahrt nach Großbritannien warteten. Zwei Wochen schlechten Wetters hätten Bootsfahrten unmöglich gemacht und einen Stau an der Küste produziert. Seit Anfang vergangener Woche sei das Wetter jedoch besser und nun würden sich besonders viele Menschen auf den Weg machen.
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