Topographie des Terrors: KZs im Vorprogramm
Die Berliner Topographie des Terrors richtet den Blick auf die frühen Konzentrationslager von 1933. Relativ öffentlich wurden dort Menschen gequält.
Konzentrationslager – damit verbindet die Öffentlichkeit Namen wie Bergen-Belsen, Buchenwald oder Sachsenhausen. Es handelt sich dabei um die Lager mit Zehntausenden Gefangenen, die unter der Leitung der SS Menschen quälten, erniedrigten, folterten und systematisch zu Tausenden ermordeten.
Aber wer verbindet schon Orte wie Kislau, Sachsenberg, Ahrensbök oder Oberer Kuhberg mit der Unterdrückungsmechanik des Nationalsozialismus? Wer weiß schon, dass es Konzentrationslager mitten in deutschen Städten gab, keineswegs vor der Öffentlichkeit verborgen?
Die Ausstellung „Auftakt des Terrors“ versucht das zu ändern. Es geht, so der Untertitel der Schau, um „frühe“ Konzentrationslager, also jene Internierungsorte, die unmittelbar nach der NS-Machtübernahme entstanden und die nicht unter einer zentralen Verwaltung standen. Sie waren das Probefeld der Nazis für das, was danach kommen sollte. Hier sammelten die Wachmänner ihre Erfahrung damit, wie man Menschen bricht, hier bildete sich eine Schicht von Spezialisten der Unterdrückung und der Folter.
90 frühe KZs in Deutschland
„Auftakt des Terrors. Frühe Konzentrationslager im Nationalsozialismus“. Bis 28. März 2023 im Dokumentationszentrum Topographie des Terrors in Berlin. Hinweise zu den weiteren Ausstellungsorten unter: www.gedenkstaettenforum.de/aktivitaeten/auftakt-des-terrors-fruehe-konzentrationslager-im-nationalsozialismus
Insgesamt etwa 90 dieser frühen KZs lagen verstreut über ganz Deutschland. Und auch die Ausstellung ist nicht nur an einem zentralen Ort zu sehen, sondern wird in rund zehn Gedenkstätten gezeigt. Weitere werden folgen.
Bis zu 80.000 Regimegegner, darunter vor allem Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter, aber auch Jüdinnen und Juden gerieten nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 in Haft. Möglich machte das die „Reichstagsbrandverordnung“, die nicht nur die bürgerlichen Freiheiten aufhob, sondern auch die Möglichkeiten zur Verhängung von „Schutzhaft“ radikal ausweitete.
Von nun an konnten Menschen ohne Anklage oder Gerichtsurteil nach Belieben festgehalten werden. Daran erinnerte bei der Eröffnung der Schau in der Berliner Topographie des Terrors Thomas Lutz, Leiter des Gedenkstättenreferats.
Was mit den Verfolgten geschah, erzählt die Ausstellung. Sie gerieten in überbelegte Gefängnisse, ehemalige Festungsbauten, finstere Keller und leer stehende Fabrikgebäude. Viele, aber nicht alle dieser Provisorien der Qual entwickelten sich zu Konzentrationslagern, rasch zusammengezimmert, von der SA, SS, aber auch von ganz normalen Schutzpolizisten bewacht.
Gewerkschafterin im Untergrund
Da ist die Gewerkschafterin Gertrud Piter, einzige Frau im Stadtparlament von Brandenburg, die in den Untergrund gegangen war. Am 11. September 1933 wurde sie gefangen genommen, anschließend im KZ Brandenburg gefoltert und vergewaltigt. Am 22. September starb sie an den Folgen der Qual.
Oder Bernhard Kuhnt: Der Sozialdemokrat geriet schon am 9. März 1933 in Haft. Zuvor war er zur Demütigung mit einem Bollerwagen durch Chemnitz gefahren worden. Kuhnt überlebte die Torturen.
Es war nicht so, dass es sich bei den KZs um ein Geheimnis gehandelt hätte. In den Zeitungen erschienen Bildberichte. Das Union-Theater in Brandenburg zeigte im Vorprogramm gar eine Art Dokumentation mit dem Titel „Konzentrationslager Oranienburg“. Danach lief „Ein Mädel von der Reeperbahn“. Jeder deutsche „Volksgenosse“, der es wissen wollte, wusste von der Lagern.
Das System Konzentrationslager
Die meisten Gefangenen kamen nach Wochen, Monaten oder Jahren frei. 1937 vegetierten noch etwa 8.000 Menschen im KZ. Das sollte nicht so bleiben. Gut ein Jahr später, nach dem Novemberpogrom, waren es 50.000. Da war das System Konzentrationslager längst etabliert und unterlag dem einheitlichen Kommando der SS.
Am Ende der Ausstellung findet sich eine Landkarte, auf der die Standorte der frühen KZs eingezeichnet sind, unterschieden danach, ob dort heute des Geschehens vor 90 Jahren erinnert wird. Es finden sich da noch viele weiße Flecken.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott