Tollwood-Festival in München: Woodstock für Südstaatler
Gutes Essen, gute Musik – und dabei die Welt verbessern. Das klingt nach einem hehren Ansatz. Besuch auf dem Münchner Tollwood-Festival.
Man muss sich einfach treiben lassen. Am besten gleich am Eingang bei der großen Holzskulptur seine Vorurteile gegen Ökokitsch und Esoterikklimbim ablegen und über das Gelände flanieren. Vorbei an der Ledergürtelwerkstatt und dem Stand mit den Kautschuktieren. Es gibt Handgeschnitztes, Dinkel- und Hirsekissen, Schmuck aus Gabeln, was man eben so braucht. Und natürlich Batiktücher.
Es ist Freitag, 16 Uhr, 26 Grad Celsius. Tags zuvor am 19. Juni hat im Olympiapark Süd das Tollwood eröffnet – ein Festival über das man sagen kann, was man will, dem man aber eines nicht absprechen kann: Es ist ein Original. Eine freundliche Promenadenmischung aus Woodstock, Kunsthandwerkermarkt, Oktoberfest und Kleinkunstbühne. Kultur und Umwelt sind die beiden Themen, die die Festivalmacher beschäftigen. Entsprechend lassen sie sich auch jedes Mal ein Motto einfallen. So was wie „Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele“, „Tatort Zukunft“, „Wasser – pures Leben“ oder „Wir braucht Dich!“ Unverfänglich und manchmal gut. Diesmal heißt es: „Mut und Machen“.
Aber – darauf legt man Wert, und das könnte einen Teil des Erfolges ausmachen – alles ohne erhobenen Zeigefinger. Hier soll niemand essen, weil es bio ist. Sondern weil es richtig gut schmeckt. Was von der taz im übrigen in völlig unrepräsentativer Manier getestet und bestätigt wurde.
Apropos Woodstock: Vergangenes Jahr haben die Festivalgäste dann tatsächlich alle gemeinsam „Let the Sunshine in“ gesungen. Nicht wegen des Regens, sondern weil man das Motto „Ein Festival singt“ ausgegeben hatte. Woodstock-Star Neil Young kommt allerdings nicht. Stattdessen werden Lynyrd Skynyrd am Montag in der Musikarena mit ziemlicher Sicherheit eine ihrer bekanntesten Liedzeilen anstimmen: „I hope Neil Young will remember, a Southern man don’t need him around anyhow.“ Der Bayer ist halt auch nur ein Südstaatler.
Eintritt zum Festival frei
In der Musikarena zahlt man normale Konzertpreise, der Eintritt zum Festival und zu vielen kleineren Kulturveranstaltungen dagegen ist frei. Natürlich auch der Zugang zum indischen Markt, wo man Streetfood kosten und sich ein Henna-Tattoo machen lassen kann. Das Tor zum Markt bewachen zwei Elefanten aus Indien. Nebenan spielen Kinder im Steinlabyrinth, andere springen Bungee.
Die Liegestühle und Biergärten sind voll, man isst Flammkuchen, Gyros, Schokodöner oder georgisches Khachapuri. Und natürlich ist hier jede Frau und jeder Mann unterwegs, nicht nur, wer ein neues Hirsekissen sucht. Die meisten Menschen hier tragen auch keine Batikhemden, sondern ganz normale, eher unfair gehandelte Jeans und T-Shirts. Wobei zweiteres freilich nur eine gewagte – und sehr bösartige – Mutmaßung ist.
Das Tollwood-Festival im Münchner Olympiapark Süd dauert noch bis zum 20. Juli. In der Musik-Arena treten dabei unter anderem Element of Crime (10.7.), die Spider Murphy Gang (13.7.) und Patti Smith (14.7.) auf.
Schauen wir noch schnell ins Marrakesch-Zelt. Gleich hinterm Eingang spielt eine sechsköpfige Band. Weltmusik, die betäubt, dazu Räucherstäbchen, die benebeln. Es gibt Geschirr und Fächer, Baklava, Tee und Masken. Das einzige, was dem Klischee eines richtigen orientalischen Basars noch zuträglich wäre, wären Händler und Kunden, die lautstark feilschen. Etwa um den Preis des Couchtischs, der aus 85 Jahre alten Holzbalken aus einem Bauernhaus in der Nähe von Landsberg geschreinert wurde.
Draußen an einem Stand spielt ein Mann auf seiner Saxaflute, einer wohlklingenden, hölzernen Kreuzung aus Saxofon und Flöte. Gern würde er auch ein paar der Instrumente verkaufen.
„Kommerzialisiert.“ Es ist dieses eine Wort, das empfindsame Seelen verstören kann.
Hans Well hat es jüngst wieder erfahren. In einer Kolumne für die Abendzeitung, in der es eigentlich um ein Festzelt auf der Oidn Wiesn, dem gemütlicheren Teil des Oktoberfests, ging, benutzte er die explosive Vokabel. Er forderte, dass die Stadt München sich auch an anderer Stelle für das stark machen solle, „was sie beim kommerzialisierten Tollwood so gut findet“. Mehr nicht. Umgehend habe er eine Mail bekommen, erzählt Well, in der sich jemand vom „Team Tollwood“ bitter beschwert habe. Das Tollwood-Festival sei doch nicht kommerziell, man tue schließlich so viel für die gute Sache.
Mehr Sponti, mehr Anarcho
Nun kennt Well das Festival natürlich. Oft schon ist er selbst hier aufgetreten – schon beim allerersten Mal. Jahrzehntelang Mitbruder und Texter der Biermösl Blosn, hat Hans Well in der bayerischen Kleinkunstszene durchaus einen Namen. „Ich habe kein Problem damit, wenn jemand so was kommerziell betreibt und damit Erfolg hat“, verteidigt er sich jetzt. Anders würde es bei der Größe, die das Festival inzwischen hat, ja auch gar nicht funktionieren. „Nur finde ich es manchmal etwas dick aufgetragen. Man muss doch nicht mit so einem moralischen Habitus daherkommen, um zu übertünchen, dass man hier natürlich auch ein Geschäft macht.“
Man hört es ja nicht zum ersten Mal. Mei, kommerziell ist’s geworden, heißt es immer wieder. Und natürlich war’s früher schöner, weil früher war ja sowieso alles besser. Mehr Sponti, mehr Anarcho. Stimmt ja auch – irgendwie. Und hat zugleich natürlich auch etwas von Opa-erzählt-von-Wackersdorf. Es ist schließlich unvermeidbar: Der Augenblick, sobald er verweilt, hat ihn nicht mehr, diesen Reiz der spontanen, verrückten Idee. Weihnachten ist auch nicht mehr das, was es mal war.
Das „Früher“ muss man dazu sagen, ist schon ganz schön lang her. 1988 war es, da hatte Uwe Kleinschmidt, der Chef der Kleinkunstbühne MUH (Musikalisches Unterholz), die Idee für das Festival. Mit der jungen Niederbayerin Rita Rottenwallner, mit der er in dessen Endphase schon das MUH betrieb, machte er sich an die Umsetzung. Auf eine Wiese im Olympiapark Süd stellten sie ein kleines Zelt und drumherum bauten sie ein paar Stände auf. „Das hatte damals natürlich einen unglaublichen Charme“, sagt Well, „weil der Uwe ein ganz besonderer Mensch war, im besten Sinne des Wortes ein Spinner, ein Utopist.“ So sei das Tollwood am Anfang eine improvisierte Geschichte und ein Teil der alternativen Münchner Kleinkunstszene gewesen, gewissermaßen die Fortsetzung des MUH in Festivalform. „Der Charme des Improvisierten hat eine Zeitlang wunderbar funktioniert – bis das Festival dann abgehoben hat. Ich denke, das war schon so nach dem dritten, vierten Tollwood.“ Kleinschmidt war mittlerweile schon gestorben.
Baustellentermin, eine Woche zuvor. Johann Labermeier, den alle nur Biwi nennen, zeigt auf die Musikarena, das große Zelt, in dem dieses Jahr beispielsweise Roxette, Iggy Pop, Ennio oder BAP auftreten. „Damals hat sich das ganze Areal auf den Platz beschränkt, wo jetzt das Zelt steht.“ Labermeier, Dreitagebart, die Brille in die Stirn geschoben, kurze Hosen, führt übers Gelände. Heute ist es vier Hektar groß, darauf mehrere Zelte, 174 Stände. Er ist der technische Leiter hier, nach Rottenwallner der dienstälteste Mitarbeiter des Festivals.
Seinen Geist bewahrt
„Klar sagen viele Leute: Früher war es viel schöner.“ Labermeier zuckt die Achseln. „Na gut, früher waren viele Sachen schöner. Ich war auch jünger.“ Heute habe das Tollwood eben einen anderen Reiz. So wie in den ersten Jahren könnte man das Festival heute gar nicht mehr machen. „Wir haben 800.000 Besucher. Das kannst du nicht einfach von irgendeinem Volksfest einen Toilettenhänger mit dem Traktor herziehen.“ Und dennoch, findet Labermeier, hat sich Tollwood seinen Geist bewahrt.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Vom ersten Tollwood 1988 hat Labermeier nichts mitbekommen. Aber ein Jahr später sagte ein Bekannter zu ihm. „Suchst du nicht einen Job? Da sind so ein paar Schlabberpullis, die wollen ein Fest machen und suchen noch Leute.“ Er ging hin und bekam sofort Arbeit. So einen wie ihn konnte man natürlich brauchen. Einen, der alles kann. Gelernter Bäcker und Konditor, war er eine Weile als Lkw-Fahrer unterwegs. Bis nach Afghanistan ist er mit dem Laster gefahren, nach Iran und Ägypten. Auch Special Effects fürs Theater hat er gemacht. Seit 1989 ist er bei Tollwood. Ohne Unterbrechung. Sommers wie winters. Denn seit 1992 gibt es auch ein Wintertollwood, inzwischen auf der Theresienwiese.
„Das war damals noch alles sehr selbst gestrickt“, erzählt er. Drei Bauwagen hatten die Mitarbeiter, heute stehen da 100 Bürocontainer. Und die Essensstände waren wild durcheinandergewürfelt. Was nachhaltig oder fair war, bestimmte jeder noch für sich. Vegetarisch war das wenigste, das Wort „vegan“ kannte ohnehin niemand. „Ich weiß noch: Einer hatte einen Parabolspiegel, auf dem er gekocht hat.“
Auch der Münchner Reimeschmied Willy Astor, quasi um die Ecke im Hasenbergl aufgewachsen, kann sich noch gut erinnern. In diesem Jahr feiert der Musiker und Komödiant sein 40-jähriges Bühnenjubiläum auf dem Tollwood. Ob es das erste oder zweite Tollwood war, als er hier zum ersten Mal aufgetreten ist, das weiß er gar nicht mehr. „Jedenfalls hat es furchtbar geregnet“, erzählt Astor, „das ganze Gelände war verschlammt. Ich hatte einen R4. Und als ich mein bescheidenes Equipment ausgeladen habe, hab’ ich mir nur gedacht: Hoffentlich komme ich hier wieder weg. Da haben sie halt irgendwie notdürftig ein paar Holzplatten verlegt, dass man nicht völlig einsinkt mit dem Auto.“
Astor, der heute riesige Hallen füllt, galt damals noch als Geheimtipp in der Kleinkunstszene. So etwas wie diesen Auftritt hatte er bis dato nicht erlebt. „Das war ein berauschendes Erlebnis. Eine Hammerstimmung und die Leute waren unfassbar dankbar. Ich bin mir vorgekommen wie der erste Komödiant, der in München spielt.“
Und damit zurück aufs Gelände: Ein aufgeblasener, farbenfroher Fisch, einige Meter lang, schwimmt durch die Besucher, als wären sie sein Lebenselixier. Einer der „Walking Acts“. Kunst im Vorübergehen. Kunst, die vorübergeht. Im Amphitheater spielen sie analoges Tetris. Und im Andechser Zelt tritt gleich die fränkische Rockabilly-Band Boppin’B auf, gerade machen sie den Soundcheck. Nebenan hängt der Mond an einem Kran. Warum auch nicht.
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