Tod nach Zwangsräumung in Berlin: Nicht angemessen verhalten
Ein Gedenkmarsch für Rosemarie F. endete am Wochenende mit Ausschreitungen. Behörden weisen Schuld am Tod der Rentnerin zurück.
BERLIN taz | Der Todesfall einer Berliner Rentnerin kurz nach ihrer Zwangsräumung führt in der Hauptstadt weiter zu heftigen Diskussionen. Jetzt gehen die Vermieter und das Bezirksamt in die Offensive, um sich gegen erhobene Vorwürfe zu wehren.
Mehrere hundert Berliner gingen am Sonntagabend erneut auf die Straße, um der am Donnerstag verstorbenen Rosemarie F. zu gedenken. Die schwerbehinderte 67-Jährige musste ihre Wohnung letzten Dienstag wegen nicht gezahlter Mieten verlassen und wurde zwei Tage später tot in einer Obdachlosenunterkunft aufgefunden. Eine Obduktion werde die Todesursache klären, sagte ein Polizeisprecher.
Anders als bei einer ersten Trauerkundgebung endete der Aufzug am Sonntag im Tumult: Nach einem Gerangel zwischen Teilnehmern und Polizisten blieb ein Demonstrant bewusstlos liegen, die Veranstalter beendeten daraufhin den Aufzug.
Redner warfen Vermietern und Behörden vor, mit der Räumung mitschuldig am Tod von Rosemarie F. zu sein. Laut ärztlichem Attest sei F. die Räumung nicht zuzumuten gewesen
Nicht auf Hilfsangebote reagiert
Uwe Brockhausen, SPD-Gesundheitsstadtrat in Reinickendorf, wo Rosemarie F. bis zur Räumung lebte, sagte der taz, sein Bezirk habe zuletzt monatlich den Kontakt zu der Rentnerin gesucht. „Wir haben Briefe geschrieben, sie auch unangekündigt aufgesucht, aber sie hat nie reagiert.“
Für Zwangsmaßnahmen hätten Anhaltspunkte auf eine Selbstgefährdung gefehlt. Das Angebot des Sozialamts, die Mietschulden für F. zu übernehmen, habe wiederum der Eigentümer abgelehnt.
Vermieter Ralph H. sagte der taz, auch ohne die Mietrückstände wäre die Räumung erfolgt. „Wir hatten auch Kündigungen wegen unsachgemäßen Verhaltens ausgesprochen.“ So habe Rosemarie F. Nachbarn bedroht, wiederholt ihre Wohnung und das Treppenhaus beschmutzt.
Auch Ralph H. und seine Frau wollen der Rentnerin „alle möglichen Hilfen“ angeboten und den sozialpsychiatrischen Dienst kontaktiert haben. „Sie hat alles abgeblockt. Hätte sie sich angemessen verhalten, hätte sie in ihrer Wohnung bleiben können.“ Im Internet kursieren inzwischen Gewaltaufrufe gegen das Vermieterpaar
Einzigen Rückzugsort verloren
Laut David Schuster vom Protestbündnis „Zwangsräumung verhindern“ wäre „das beste Hilfsangebot gewesen, Rosemarie in ihrer Wohnung zu lassen“. Für die Alleinstehende sei diese der einzige Rückzugsort gewesen.
Zuletzt waren mehrere Zwangsräumungen in Berlin von Protest begleitet. Bereits in zwei Wochen ruft Schusters Bündnis erneut zur Blockade: diesmal gegen die Zwangsräumung einer Mieterin im Bezirk Neukölln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung