Tod eines Asylbewerbers: In Dessau gilt die Omertà

Wie starb Oury Jalloh? In 34 Verhandlungstagen ist man der Antwort darauf nicht näher gekommen. Anwälte werfen der Polizei Falschaussagen vor.

Der Tod Oury Jallohs zog zahlreiche Demonstrationen nach sich Bild: dpa

DESSAU UND BERLIN taz "Die Beamten weichen aus, lügen, antworten nicht." Ein düsteres Bild vom Verlauf des Prozesses um den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh zeichnen Anwälte nach 34 Verhandlungstagen. "Den Polizeizeugen geht es nicht um Wahrheitsfindung. Und Zeugen außerhalb des Polizeiapparates gibt es nicht", sagt die Berliner Anwältin Regina Götz, die Jallohs Eltern vor Gericht vertritt.

Seit dem 27. März läuft vor dem Landgericht Dessau die Verhandlung gegen zwei Polizisten. Dem Dienstgruppenleiter Andreas S. wirft die Staatsanwaltschaft "gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge" vor. Er soll den Alarm des Feuermelders zweimal abgestellt und erst beim dritten Mal versucht haben, Jalloh zu helfen. Der Beamte Hans-Ulrich M. wird der "fahrlässigen Tötung" beschuldigt. Er habe bei der Durchsuchung Jallohs in dessen Hosentasche ein Feuerzeug übersehen. Damit, so die These der Staatsanwaltschaft, habe der schwer alkoholisierte und fixierte Gefangene die mit feuerfestem Stoff bezogene Matratze selbst in Brand gesteckt.

Am Morgen des 7. Januar 2005 rufen zwei Angestellte der Dessauer Stadtreinigung die Polizei, weil sie sich von einem Afrikaner belästigt fühlen. Es handelt sich um den 37-jährigen Asylbewerber Oury Jalloh aus Sierra Leone. Er wird auf das Dessauer Polizeirevier gebracht. Nach einer ärztlichen Untersuchung nimmt man dem stark alkoholisierten Jalloh alle persönlichen Gegenstände ab. Um 9.30 Uhr sperren Polizisten ihn in eine geflieste Gewahrsamszelle. Gegen 12 Uhr bricht in der Zelle ein Feuer aus. Jalloh verbrennt samt der feuerfesten Matratze, auf der er an allen vier Gliedmaßen fixiert worden war. Er stirbt an einem Hitzeschock.

Um an Oury Jalloh und andere in deutscher Polizeigewalt ums Leben gekommene afrikanische Einwanderer zu erinnern und Kritik am Gerichtsverfahren zu formulieren, rufen Flüchtlingsinitiativen für Montag den 07.01.08 bundesweit zu einer Demonstration in Dessau auf.

Beginn ist um 13 Uhr am Hauptbahnhof in Dessau.

Für die Rechtsanwältin Götze weist diese Version "viele Unstimmigkeiten" auf. Doch diese aufzuklären sei schwierig: "Aus falscher Solidarität bauen die Polizisten eine Mauer des Schweigens auf." Tatsächlich hat die Hauptbelastungszeugin, die Polizeibeamtin Beate H., die in ihrer ersten Zeugenaussage Andreas S. belastet hatte, ihre Aussage später widerrufen - auf Druck der Kollegen, wie Götze mutmaßt. Stattdessen bestätigte der stellvertretende Revierleiter die Behauptung des Angeklagten S., unverzüglich dem Feueralarm nachgegangen zu sein. "Dabei ist mittlerweile zweifelsfrei erwiesen, dass S. erst beim dritten Anspringen auf den Alarm reagiert hat", sagt Götz. Besonders erbost ist sie darüber, dass es bisher kein Ermittlungsverfahren wegen Falschaussage gegen die Beamten gab. "Gäbe es Sanktionen, hätten wir mit Sicherheit eine andere Erkenntnislage", meint ihr Kollege Felix Isensee. Dabei hatte der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff zwischenzeitlich selbst die Nase voll von den offensichtlichen Lügen der Polizisten: "Der Beamte, der hier falsch ausgesagt hat, muss ans Kreuz genagelt werden", empörte er sich am 10. Prozesstag.

Laut Götz weist das Verfahren gravierende Mängel auf. So seien nur noch wenige Minuten von einer wichtigen Videoaufzeichnung der Spurensicherung auffindbar. Das für die Verwahrung zuständige Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt habe behauptet, die Kamera könnte sich "möglicherweise selbst ausgestellt haben". Auch sei nur ein kleiner Teil der zum Zeitpunkt des Brandes im Polizeigebäude anwesenden Beamten frühzeitig vernommen worden. Die meisten hätten erst vor Gericht ausgesagt - mehr als zwei Jahre nach Jallohs Tod. "Diese Zeugen sind in der Zwischenzeit alle beeinflusst worden," ist sich Götz sicher.

Ein "ganz heißes Thema" sei ein angeblich in der Zelle gefundenes Feuerzeug. Dies war jedoch in der ersten Asservatenliste nicht aufgeführt. Erst Tage nach dem Brand tauchten seine Reste auf einer zweiten Asservatenliste auf. "Wir wissen noch immer nicht, wie dieses Feuerzeug genau gefunden worden sein soll", sagt Götz - zumal der Angeklagte Hans-Ulrich M. ausgesagt hat, dass er bei Jallohs Durchsuchung "mit Sicherheit" ein Feuerzeug entdeckt hätte.

15 weitere Prozesstermine sind bis Ende Februar angesetzt. Bisher wurde weder der medizinische Sachverständige noch der Brandgutachter gehört.

Antirassistische Initiativen versprechen sich davon nicht viel. Auf zwei Konferenzen, die sie am Wochenende aus Anlass des Todestags von Jalloh in Berlin beziehungsweise Dessau veranstalteten, erhoben sie schwere Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden. So kritisierten Vertreter afrikanischer Organisationen auf einem Hearing im Berliner Mehringhof die Selbstmordthese der Staatsanwaltschaft. "Wir haben viele Erfahrungen im Umgang der Polizei mit farbigen Menschen. Immer wieder kommen Afrikaner durch Polizeigewalt zu Tode. Wenn jemand unter Umständen wie Oury Jalloh verbrennt, dann glauben wir, dass es Mord war. Und zwar so lange, bis uns jemand das Gegenteil beweist", sagte ein Sprecher des Afrika-Rates Berlin.

Eine Teilnehmerin verlas Passagen eines Artikels des US-amerikanischen Aktivisten Mumia Abu-Jamal zu Jalloh. "Wie kann die Polizei behaupten, dass jemand, der völlig gefesselt in einer Zelle liegt, sich selber angezündet hat?" In der Abschlusserklärung der "Black Africa Conference" verlangten die Unterzeichner, die Anklage auf Mord zu ändern.

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