Tod einer russischen Journalistin: Trauer um Irina Slawina

Die russische Journalistin stellte unbequeme Fragen. Der Staat kontrollierte und verfolgte sie. Nun hat sich die Oppositionelle das Leben genommen.

Das Portrait der Frau auf einer Fotografie und Blumen

Trauer um Irina Slawina im Stadtzentrum von Nischni Nowgorod Foto: Mikhail Solunin/imago images

taz | MOSKAU Eine Frau setzt sich auf eine Bank. Sie kramt in ihrer Tasche, ihr linker Arm fängt an zu brennen. Ein Mann eilt ihr zur Hilfe, sie schiebt ihn zurück. Er haut mit seiner Jacke auf die Flammen. Die Frau brennt am Boden weiter. Der Mann geht zur Seite, sein Telefon in der Hand. Die Frau ist tot.

Das Video, das über Telegram-Kanäle öffentlich wurde, zeigt einen extremen Fall von Selbsttötung am vergangenen Freitag. Das Opfer ist die Journalistin Irina Slawina, 47, Chefredakteurin der unabhängigen Internetzeitung KosaPress in Nischni Nowgorod, knapp 450 Kilometer östlich von Moskau. Das Medium finanziert sich über Spenden, Slawina gründete das Portal 2015, als sie zum dritten Mal ihre Stelle verloren hatte, weil sie immer wieder gegen die Zensur ankämpfte. Sie wusste, worauf sie sich eingelassen hatte: Sobald sich der russische Staat mit jemandem konfrontiert sieht, der unbequeme Fragen stellt, lässt er diesen die volle Macht des Apparats spüren.

„Ich bitte darum, die Russische Föderation für meinen Tod verantwortlich zu machen“, hatte die Journalistin am vergangenen Freitag bei Facebook geschrieben. Dann zündete sie sich an. Einen Tag zuvor hatten Beamte des Ministeriums am frühen Morgen ihre Wohnung durchsucht.

Verantwortung übernehmen

Holen Sie sich Unterstützung, wenn Sie selbst oder Menschen in Ihrem Bekanntenkreis Suizidgedanken entwickeln. Ihnen stehen zahlreiche Hilfsangebote zu Verfügung.

Die Telefonseelsorge bietet rund um die Uhr und kostenfreie – und auf Wunsch anonyme – Beratung an: 0800-111 0 111 oder 0800-111 0 222 oder 116 123. Unter www.telefonseelsorge.de können Sie außerdem mit Seel­sor­ge­r*in­nen chatten.

„Ich stand noch nackt da, als sie kamen“, schrieb Slawina über die Razzia, bei der die Männer und Frauen USB-Sticks, Laptops, Computer, Telefone und Notizblöcke mitgenommen hatten. Es war nicht die erste Durchsuchung bei ihr. Immer wieder geriet die „unbeugsame Unparteiische“, wie ihre Weggefährten sie nennen, mit dem Sicherheitsapparat aneinander. Sie sollte als Zeugin im Strafverfahren gegen die Organisation Offenes Russland aussagen. Die Organisation des in Ungnade gefallenen einstigen Oligarchen Michail Chodorkowski hat den Stempel „Ausländischer Agent“, weil sie in den Augen der Behörden politische Bildung betreibt und vom Ausland finanziert wird.

„Sie war eine kluge und keine gleichgültige Frau. Sie schied freiwillig und schrecklich aus dem Leben. Ich kann es nicht glauben“, schrieb Gleb Nikitin, der Gouverneur des Gebiets Nischni Nowgorod. Nawalny – auch über dessen Vergiftung hatte Slawina berichtet – forderte indes per Twitter, nicht nur regionale Sicherheitsstrukturen zur Verantwortung zu ziehen, sondern auch „diejenigen im Kreml, die ihnen die Befehle gegeben haben“.

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie da­rüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/111 0 111 oder 08 00/111 0 222) oder www.telefonseelsorge.de besuchen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.