Tod durch Tetra-Pak-Deckel: So gefährlich ist Plastikmüll für Meerestiere
Forscher sind überrascht, wie wenig Kunststoff tödlich für Meerestiere sein kann. Ein Delfin stirbt, wenn er Plastik in Fußballgröße gefressen hat.
Sie leben 600 Kilometer vor Australiens Ostküste. Und dennoch füttern die Vögel auf der abgelegenen Lord-Howe-Insel ihre Küken vor allem mit Plastikteilen. Forscher*innen fanden in den Mägen sezierter Tiere Flaschenverschlüsse, Tetra Pak-Deckel, Besteck oder Wäscheklammern. Manche Seevögel hätten bei der Berührung geknackt, andere bezeichneten die Wissenschaftlicher*innen als „Ziegelvögel“, weil ihre Bäuche wie feste, kompakte Ziegel waren, durchsetzt mit Plastikteilen.
Wie gefährlich der Verzehr auch schon von geringen Mengen des menschlichen Mülls für die Seelebewesen ist, zeigt eine neue Untersuchung der US-Umweltorganisation Ocean Conservacy, die in der Fachzeitschrift Proceedings der US-Akademie der Wissenschaften (PNAS) veröffentlicht wurde.
Die Forscher waren überrascht, wie wenig Plastik schon tödlich sein kann: Ein Delfin stirbt laut der Untersuchung in 90 Prozent der Fälle, wenn er weiches Plastik in der Größe eines Fußballs gefressen hat. Für Meeresschildkröten liegt die fast immer tödliche Menge bei einer Menge Plastik entsprechend zwei Baseball-Bällen. Ein Atlantikpapageientaucher mit einer Körpergröße von im Schnitt 30 Zentimetern stirbt schon häufig durch die Einnahme von drei Gummiteilchen, die kleiner als eine Erbse sind.
Noch viel weniger Plastik ist nötig für eine Sterblichkeitswahrscheinlichkeit von 50 Prozent: Danach tötet der Verzehr von weniger als einem zuckerwürfelgroßen Plastikstück jeden zweiten Papageientaucher, weniger als ein halber Baseball Plastikmasse lässt jede zweite Schildkröte verenden, ein Plastikstück von der Größe eines Sechstel Fußballs tötet jeden zweiten Schweinswal. „Das ist beunruhigend, wenn man bedenkt, dass jede Minute mehr als eine Müllwagenladung Plastik in den Ozean gelangt“, sagte Hauptautorin Erin Murphy, Leiterin der Meeresplastikforschung bei Ocean Conservancy.
Fast die Hälfte der Meeresschildkröten mit Plastik im Magen
Für die Analyse wurden 10.000 verendete Seevögel, Meeresschildkröten, Robben, Seelöwen und Delfine untersucht, die weltweit gesammelt worden waren. Fast die Hälfte (47 Prozent) aller Meeresschildkröten, ein Drittel (35 Prozent) der Seevögel und 12 Prozent der Meeressäugetiere in der Datenbank hatten zum Zeitpunkt ihres Todes Plastik im Verdauungstrakt. 4,4 Prozent aller Schildkröten, 1,6 Prozent der Vögel und 0,7 Prozent der Meeressäuger waren erkennbar durch Plastik gestorben.
Die Forscher*innen fanden heraus, dass die Art des aufgenommenen Kunststoffs ausschlaggebend für das Überleben des jeweiligen Tieres ist: Gummi ist am gefährlichsten für Seevögel, weiche Kunststoffe und Netze stellen das größte Risiko für Meeressäuger dar, sowohl harte als auch weiche Kunststoffe bedrohen vor allem Schildkröten. Laut früheren Untersuchungen schlucken Vögel Plastikfragmente häufig wegen ihres Geruchs, Schildkröten verwechseln Plastiktüten häufig mit Quallen. Der Kunststoff verstopft oder verletzt den Magen-Darm-Trakt der Tiere.
Wissenschaftler schätzen, dass jedes Jahr mehr als elf Millionen Tonnen Plastik in die Ozeane gelangen. Menschen haben die Weltmeere danach inzwischen mit mehr als 170 Billionen Plastikteilen gefüllt und so einen „Plastiksmog“ erzeugt, der sich etwa alle sechs Jahre verdoppelt. Erst Mitte August war die Einigung auf ein globales Abkommen gegen Plastikmüll vorerst gescheitert. Rund 180 Länder konnten sich nach drei Jahren Verhandlungen in Genf nicht auf einen Vertragstext einigen.
Laut Bundesumweltministerium hat sich die Kunststoffproduktion seit den 1970er Jahren bis 2020 auf 367 Millionen Tonnen im Jahr versiebenfacht, ohne Gegenmaßnahmen könnten es 2050 fast 600 Millionen Tonnen im Jahr sein. Einen großen Teil machen den Angaben zufolge Einwegprodukte aus, darunter Verpackungen.
Insgesamt seien bislang 8,3 Milliarden Tonnen Kunststoff produziert worden und davon 6,3 Milliarden Tonnen zu Abfall geworden, der großenteils auf Deponien landete. In Flüssen und Ozeanen haben sich laut den Schätzungen weltweit bislang 152 Millionen Tonnen Plastikabfälle angesammelt.
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