Tobias Schlegl über seinen Berufswechsel: „Journalismus hat nicht gereicht“
Tobias Schlegl war Moderator bei Viva und im ZDF, dann ließ er sich zum Notfallsanitäter ausbilden und schrieb einen Roman darüber.
taz: Herr Schlegl, vor vier Jahren haben Sie Ihren Job als Moderator beim ZDF gekündigt, um eine Ausbildung als Notfallsanitäter zu machen. Sie waren auf der Suche nach etwas mit ein bisschen mehr Sinn, sagten Sie damals. Haben Sie den gefunden?
Tobias Schlegl: Ja, definitiv. Das ist wirklich ein sehr erfüllender Job. Einer, bei dem man ganz konkret helfen kann, und am Ende des Tages – das wurde mir versprochen – weißt du, was du geleistet hast. Im besten Fall konntest du Menschen helfen. Und das konnte ich tatsächlich.
Warum haben Sie im Journalismus keinen Sinn mehr gefunden?
Es ist ja nicht so, dass ich komplett gesagt habe: Journalismus macht jetzt gar keinen Sinn mehr. Der hat ja eine Art von Relevanz, definitiv. Es hat nur für mich nicht mehr ausgereicht. Weil es mich nicht mehr erfüllt hat, dass ich mich nebenbei politisch engagiert habe. Ich wollte, dass dieser Beruf des Notfallsanitäters der Mittelpunkt meines Lebens wird. Ein Grund war aber auch, dass ich sehr früh mit Journalismus angefangen habe: Mit 17 war ich schon bei Viva. Ich habe den Job dann also schon über 20 Jahre gemacht. Und habe mir nicht vorstellen können, dass es das Einzige ist, was ich mache, bis ich umfalle.
Die Ausbildung zum Notfallsanitäter ist nicht nur anstrengend, sondern auch schlecht bezahlt. Im Vergleich zu Ihren jüngeren Kolleg:innen in der Ausbildung müssen Sie finanziell in einer privilegierteren Position gewesen sein.
Natürlich sehe ich, dass ich privilegiert war, in dem Alter drei Jahre lang mit 800 Euro brutto monatlich klarzukommen. Aber es ist eine ganz andere Nummer, wenn du diese Ausbildung mit Ende dreißig machst. Du hast im Leben komplett andere Ausgaben: Du wohnst nicht mehr in einer WG oder wirst von den Eltern finanziert wie Anfang-zwanzig-Jährige, die sich ausprobieren können. Für die ist das teilweise nicht die letzte Ausbildung. Ich hatte das Gefühl, dass das ganze Gesellschafts- und Karrieresystem gegen mich arbeitet. Ohne Geldpuffer, wie ich ihn hatte, ist es für Ende-dreißig-Jährige fast unmöglich, nochmal komplett was anderes zu machen. Das ist einfach nicht vorgesehen.
Sie haben Ihre Erfahrungen in Ihrem Roman „Schockraum“ verarbeitet. Bei Ihnen als Journalist hätte man eher mit einem Sachbuch gerechnet. Warum ist es das nicht geworden?
Weil alle das erwartet haben. Es war nicht geplant, dieses Buch zu schreiben. Schon vor Ausbildungsbeginn bekam ich Anfragen für ein Sachbuch. Und die habe ich alle abgelehnt, weil ich das nicht wollte. Aber am Ende ist es ja eine Art Therapie gewesen, diesen Roman zu schreiben.
Therapie wofür?
Ich habe als Notfallsanitäter jede Menge heftige Einsätze erlebt. Die waren so intensiv, dass ich irgendwann Hilfe gebraucht habe. Die habe ich zum Glück auch bekommen. Und das Schreiben hat geholfen, das Erlebte zu verarbeiten.
Sie schildern in Ihrem Buch eine ähnliche Geschichte. Der Notfallsanitäter Kim leidet wegen eines traumatischen Einsatzes an einer posttraumatischen Belastungsstörung – ohne es zu Beginn zu merken.
Es ist quasi eine dunkle Version meiner Geschichte, die es aber so auch in der Realität gibt. Ich fand meine persönliche Geschichte zu uninteressant für ein Buch: Jemand, der aussteigt, der in den Rettungsdienst geht, der etwas Traumatisches erlebt, und dem wird geholfen. Mir selber lagen immer schon die melancholischen, düsteren Songs viel eher als die Gute-Laune-Songs. Ich fand es viel spannender, die Geschichte von einem zu erzählen, dem nicht geholfen wurde. Und dem plötzlich alles zerfällt. Also so ein Retter, der gerettet werden muss. Und so war es ja bei mir nicht. Man musste mich kurz retten, aber dann war auch wieder alles gut.
Tobias Schlegl, 1977 geboren, Journalist und Notfallsanitäter, jeweils in Teilzeit. Sein Roman „Schockraum“ erschien 2020 bei Piper.
Gerettet wird der Protagonist Kim von der Draufgängerin Luzi. Dieses Glück haben wohl die wenigsten Notfallsanitäter:innen. Wie läuft es meistens ab in der Realität?
Ich habe so oft erlebt, dass Kollegen aus dem Dienstplan verschwinden. Oder mal ein halbes Jahr weg sind und dann wieder auftauchen und danach Teilzeit arbeiten. Gesprächsangebote wie Supervision, die Möglichkeit, das Erlebte zu verarbeiten, gibt es nur auf Zuruf. Wenn man also selbst aufsteht und sagt: Ich brauche Hilfe. Dass es das nicht automatisch und regelmäßig gibt, das ist schade. Die, die wirklich was Dramatisches erleben, ähnlich wie Soldaten, die müssen selbst Hilfe einfordern. Ich kenne das von U-Bahn-Fahrern: Wenn die zum Beispiel einen Suizid erleben, werden sie sofort rausgezogen, denen wird ein Psychologe zur Seite gestellt. Die müssen auch nicht weiter fahren. Das ist gut. Dasselbe wünsche ich mir auch für den Rettungsdienst. Man muss da akut helfen: Solange das alles im Kopf noch flüssig ist wie frisch angerührter Beton, kann man das noch formen und verarbeiten. Wenn das aber mal nach Wochen hart geworden ist, wird das schwer, an diese Erinnerung ranzugehen.
Warum wird das bisher nicht gemacht?
Das ist natürlich schwierig aufgrund des Personalmangels. Notfallsanitäter müssen einfach weiter fahren. Das Problem ist die große Schlagzahl der Einsätze, gerade in Großstädten. Du kannst da nicht einfach jemanden ins Frei schicken.
An manchen Stellen liest sich Ihr Roman wie ein Appell oder ein Infoflyer. Zum Beispiel erklären Sie, wann man den Rettungsdienst rufen sollte, und wann es reicht, die 116 117, also den ärztlichen Bereitschaftsdienst, anzurufen. Warum war Ihnen das wichtig?
Dass Menschen bei uns anrufen, die eigentlich nicht anrufen müssten, ist so ein Grundleid. Damit kämpfen wir täglich im Rettungsdienst. Ich habe also in Kauf genommen, dass es ein paar erklärende Stellen gibt im Buch. Die Menschen wissen eben nicht, was im Rettungsdienst los ist. Die gucken sich vielleicht Sat1-Serien an. Aber die zeigen nicht die dunklen Seiten des Jobs.
Laut der Gewerkschaft Verdi arbeiten über 67.000 Beschäftigte im Rettungsdienst, verteilt auf 2.200 Rettungswachen in der Bundesrepublik. Eine wirkliche Lobby hat der Berufsstand nicht. Woran liegt das?
Das ist historisch gewachsen. Ärzte sind größtenteils in der Gewerkschaft, vor allem im Marburger Bund, haben eine riesige Lobby. Der Rettungsdienst und die Pflege nicht. Ich schätze mal, dass 20 oder 30 Prozent der Menschen im Rettungsdienst in der Gewerkschaft sind. Der Tenor ist: Was können die schon für uns tun? Natürlich kann sich aber nichts verändern, wenn man keine starke Lobby hat. Es ist ja verrückt, dass ich jetzt der bin, der plötzlich der Rettungsdienst-Klassensprecher ist. Ich wäre sehr glücklich darüber, wenn es noch andere Menschen gäbe, die die Probleme ansprechen würden.
In der Coronapandemie wurde systemrelevanten Berufen wie Pflegekräften applaudiert. An den Rettungsdienst haben die wenigsten gedacht. Coronabonus gab’s auch nicht. Enttäuscht Sie das?
Als ob so ein Bonus hilft. Man muss an die Strukturen ran, die Arbeitsbedingungen ändern. In der Pflege ändert sich ja auch nichts. Es gibt eine riesige Diskussion über den Pflegenotstand. Das finde ich völlig berechtigt. Da bin ich auf deren Seite. Ich verstehe nur nicht, warum man den Rettungsdienst da nicht mit ins Boot holt. Warum ich derjenige sein muss, der sagen muss: Es gibt da aber noch den Rettungsdienst und da sieht’s genauso schlecht aus; dass das nicht auf der Agenda des Gesundheitsministers steht. Im Rettungsdienst gibt es regelmäßig 50-Stunden-Wochen, das macht die Leute kaputt. Man gibt da das Familienleben auf, die Freunde. Man lebt dann nur für die Arbeit, bringt aber einen bescheidenen Lohn nach Hause. Da kann die Gewerkschaft noch so stark sein, am Ende ist es eine politische Entscheidung.
Meinen Sie, Gesundheitsminister Jens Spahn hat Ihr Buch schon gelesen?
Ich habe Jens Spahn ein Exemplar meines Romans geschickt und tatsächlich hat sich kürzlich sein Büro bei mir zurückgemeldet. Jens Spahn habe mein Buch gelesen und möchte sich mit mir treffen. Der Termin steht noch aus, aber es wird passieren. Es ist ein erster Schritt, ein erster Austausch. Ob sich allerdings politisch dadurch etwas für meine Kollegen ändert, wage ich stark zu bezweifeln. Dafür hat der Rettungsdienst zu viele Enttäuschungen erlebt.
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