Tinder warnt LGBTQ-Reisende: Ein Schritt zurück

Die Dating-App will Reisende ihrer LGBTQ-Community schützen. Zu diesem Zweck versteckt sie die Profile jener, die sich in Gefahrenländern aufhalten.

Ein erleuchtetes Tinder-Icon auf einem Smartphone-Display

Neue Alarmfunktion auf Tinder: Die App will LGBTQ-Reisende schützen – indem sie sie versteckt Foto: dpa

Auch im Jahr 2019 drohen LGBTQ-Menschen noch in zu vielen Ländern dieser Welt aufgrund ihrer Sexualität Haftstrafen, Folter und öffentliche Gewalt. Die Dating-App Tinder will die Nutzer*innen ihrer LGBTQ-Community vor diesen Gefahren schützen und hat ein System entwickelt: Die betroffenen Profile werden von der App versteckt.

Tinder, seit 2012 auf dem Markt, verläuft nach einem einfachen System. Nutzer*innen können anhand von Profil- und Standortangaben, Vorlieben sowie Fotos für sie interessante Nutzer*innen auswählen. Kommt es zu einem Match, stellt die App einen Kontakt her. Das Geschäft boomt, gefühlt tindern alle. Mittlerweile hat die Dating-Plattform, die von Los Angeles aus betrieben wird, Nutzer*innen in über 190 Ländern – ein globaler Erfolg also.

Zurück zum vermeintlichem Schutz-System: Profile von Nutzer*innen, für die ihre Sexualität auf Reisen eine Gefahr darstellt, werden von der App automatisch verborgen. Tinder meldet sich bei den Betroffenen per Pop-up-Nachricht. Sie erhalten einen „Traveler-Alert“, zu deutsch einen „Reisenden-Alarm“, wie es die App nennt. „Deinem Standort nach zu urteilen, befindest du dich an einem Ort, an dem die LGBTQ-Gemeinde bestraft werden kann. Wir wollen, dass du Spaß hast, aber deine Sicherheit steht für uns an erster Stelle.“

Dieser Text wird zukünftig auf dem Handy erscheinen, sobald die App das GPS von seinen Nutzer*innen in einem der 70 Länder ortet, die das Unternehmen als gefährlich einstuft, darunter Saudi-Arabien, Iran und Ägypten. Eine Karte des Verbands ILGA World, mit dem Tinder kooperiert, informiert über den Gefahrenstatus. Es folgt der Hinweis, beim Kennenlernen neuer Leute besondere Vorsicht walten zu lassen. Über einen, der Erklärung beigefügten Link, gelangen Nutzer*innen dann zu einer Informationsseite. Hier wird die Nutzer*in über die Lage im Land aufgeklärt.

Sexuelle Orientierung bleibt verborgen

Ab diesem Punkt können Nutzer*innen dann entscheiden: Soll ihr Profil für die Zeit ihres Aufenthalts unsichtbar bleiben, oder soll es – gegen den Rat von Tinder – wieder freigeschaltet werden? Der Knackpunkt: Will die Nutzer*in nicht versteckt werden und macht ihr Profil wieder öffentlich, bleibt die sexuelle Orientierung für die gesamte Zeit des weiteren Aufenthalts versteckt. Ebenso die Angaben zu Geschlecht und Identität – ob dies gewollt ist oder nicht.

Die Dating-App zeigt sich gegenüber der LGBTQ-Community immer wieder bewusst offen. Vergangene Woche erst machte Tinder mit einer bunten „Pride Slide“ in New York auf sich aufmerksam. Bilder der riesengroßen Regenbogen-Rutsche verbreiteten sich im Netz. Alles nur reine Marketingstrategie?

Wenn ja, war diese mehr als erfolgreich. US-Medien zeigen strahlende Gesichter auf der Riesen-Rutsche und loben die App für ihren Einsatz. „Diskriminierung in jeglicher Form verletzt die grundlegenden Werte von Tinder. Wir glauben an Gleichberechtigung, und indem wir unsere Millionen Nutzer dazu aufrufen, ihre Unterstützung zu zeigen und aktiv zu werden, hoffen wir, zu einer echten Veränderung für die LGBTQ+ Community beizutragen“, äußerte sich Elie Seidman, CEO von Tinder, öffentlich zu der Kampagne.

Am Tag der Regenbogen-Rutsche veröffentlichte Tinder auf seinem Blog die englischsprachige, öffentliche Erklärung zum „Traveler-Alert.“ Um einen Zufall handelt es sich dabei wohl nicht. Das Unternehmen zeigt sich bunt und weltoffen und dagegen ist nun wirklich nichts einzuwenden. Denn bunt ist immer gut.

Sind Nutzer*innen auf Backpacker-Tour in verschiedenen Ländern unterwegs, in denen ihnen aufgrund ihrer Gender-Identität oder sexuellen Orientierung Gefahr droht und sie vergessen das GPS auszuschalten, wäre ihr Standort auf Tinder theoretisch einzusehen – auch für die falschen Leute. Dass die App durch das neue System hier einschreitet, um Nutzer*innen – insbesondere solche ohne große Reiseerfahrung – vor möglichen Gefahren zu schützen, ist lobenswert.

Doch der Verlust der Entscheidungsgewalt darüber, ob und wie Nutzer*innen ihre sexuelle Orientierung kommunizieren, scheint weder in die heutige Zeit, noch in die Werte von Tinder zu passen. Warum greift das Unternehmen also zu einer solchen Maßnahme? Vielleicht dient diese nicht zuletzt auch dazu, die Plattform bei eventuellen Übergriffen nicht in die Schusslinie geraten zu lassen.

Ein rückständiges Signal

Tinder sagt von sich selbst: „Wir sind der Meinung, dass jeder das Recht hat, so zu leben, wie er leben will, und den zu lieben, den er lieben will.“ Durch das Alarm-Sytsem wolle man sicherstellen, dass kein Mensch ungeahnt in Gefahr gerät, einfach nur dadurch, dass er ist, wie er ist. Tinder scheint die Liebe zu zelebrieren – und alles was sich auf dem Weg dorthin befindet. Die Plattform gibt sich weltoffen.

Die Entscheidung, die sexuelle Orientierung ohne Zustimmung der Nutzer*innen in bestimmten Ländern zu verbergen, widerspricht diesem Bild. Eine Unterwerfung in die falsche Richtung – auch wenn die Gefahr in den betroffenen Ländern keineswegs zu relativieren ist. Es ist ein rückständiges Signal, das nicht zum Auftritt der App zu passen scheint. Tinder sollte vielmehr den gegenläufigen Weg einschlagen, wie es dies an anderen Punkten schon lange tut, und den Kampf für mehr Sicherheit in den betroffenen Ländern unterstützen, für die Freiheit anstatt für das Verstecken plädieren.

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