piwik no script img

Tierversuche mit Gentech-TierenDas Leiden der Laborratten

Immer mehr Versuchstiere sind gentechnisch verändert, damit sie bestimmte Krankheiten entwickeln. „Nicht hinnehmbar“, finden die Grünen.

Ethisch vertretbar? Foto: dpa

Berlin taz | Wissenschaftler in Deutschland experimentieren immer mehr mit gentechnisch veränderten Tieren. „Seit 2004 haben sich die Zahlen fast verdreifacht“, heißt es in einem neuen Bericht des Gentechnik-kritischen Vereins Testbiotech für die Grünen-Bundestagsfraktion. 2013 seien laut Agrarministerium nahezu eine Million solcher Tiere verwendet worden – vor allem Mäuse und Ratten. Damit seien ein Drittel aller Versuchstiere gentechnisch verändert. Diesen Trend gebe es auch in anderen Ländern. Die Grünen verurteilten das als „nicht hinnehmbar“.

Das Erbgut von Tieren lässt sich seit einigen Jahren vergleichsweise leicht gentechnisch verändern. So entwickeln sie zum Beispiel Krankheiten, die sich dann anhand der Tiere untersuchen lassen, um Therapien zu entwickeln. Die Autoren kritisieren, dass bei der Erzeugung einzelner gentechnisch veränderter Säugetierlinien viele Tiere „aufgrund von Gendefekten nicht lebend geboren werden oder aber getötet werden müssen, weil sie krank oder nicht wie erwartet gentechnisch verändert sind.“ Der Bericht weist auch darauf hin, dass Tiere leiden, deren Erbgut so manipuliert wurde, dass sie krank werden.

Neue Gentechnikverfahren wie CRISPR/Cas würden zu noch mehr Tierversuchen führen, so der Bericht weiter. Denn mit diesen Methoden ließen sich Tiere noch effizienter manipulieren.

Allerdings sei das Leid ethisch kaum vertretbar: „Ein unmittelbarer medizinischer bzw. therapeutischer Nutzen ist mit dieser Forschung häufig nicht verbunden“, schreiben die Autoren. So seien laut offizieller Tierversuchsstatistik 516.670 transgene Mäuse für die Grundlagenforschung verwendet, für die Entwicklung von medizinischen Produkten dagegen nur 22.009, für die Diagnose menschlicher Krankheiten 1.606 und für vorgeschriebene Sicherheitsprüfungen lediglich 43. Grundlagenforschung beschäftigt sich allerdings per Definition mit den Grundlagen einer Wissenschaft – und wird nicht auf unmittelbare praktische Anwendung hin betrieben.

Aber auch anwendungsorientierte Experimente stellt Testbiotech infrage. Insbesondere Tierversuche zu menschlichen Krankheiten wie Cystische Fibrose, Alzheimer, Parkinson und Diabetes hätten bislang keine medizinischen Erfolge gebracht, bemängelt der Bericht. „Insgesamt erscheint der medizinische Nutzen gentechnisch veränderter Tiere oft zweifelhaft.“

Patente auf Versuchstiere

Besonders kritisieren die Autoren, dass Forscher Patente auf gentechnisch veränderte Tiere anmelden. „Von den Patenten geht ein wirtschaftlicher Anreiz aus, der insgesamt zu einem deutlichen Anstieg von Tierversuchen führen kann.“ Das Europäische Patentamt habe bereits über 1.500 Patente auf Versuchstiere erteilt. Die Patentinhaber hätten dann ein wirtschaftliches Interesse daran, dass möglichst viele dieser Tiere benutzt würden.

Der Bericht empfiehlt deshalb unter anderem, Patente auf Tiere und auf die Verwendung von Tieren in Versuchen in Europa zu verbieten. Auch gentechnische Experimente an bestimmten Tierarten wie Primaten sollten untersagt werden.

Tierversuche werden nur dann durchgeführt, wenn es keine Alternativen gibt“, schreibt die Forschungsorganisation Max-Planck-Gesellschaft zu dem Thema auf ihrer Internetseite. „Die verschiedenen Faktoren, die den Blutdruck regulieren, lassen sich aber nur in einem lebenden Organismus untersuchen.“ Bei jedem Tierversuch an einem Wirbeltier prüften die Behörden, ob er unerlässlich ist oder ob die angestrebten Erkenntnisse auch auf andere Weise gewonnen werden können.

Auf Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung basieren laut den Max-Planck-Forschern neue Therapien und Medikamente – auch für die Tiere selbst: „Fast 90 Prozent aller bei Mensch und Haustier verwendeten Medikamente sind identisch.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • 6G
    65572 (Profil gelöscht)

    „Fast 90 Prozent aller bei Mensch und Haustier verwendeten Medikamente sind identisch.“

    Ja, über Viagra freut sich Hamster, Tiger & Co.

  • Es gibt bereits sehr viele Methoden, die nicht nur der Tiere wegen sondern auch aus Gründen der besseren Übertragbarkeit auf Tiere verzichten. Hier sollte also investiert werden, um eine Forschung zu ermöglichen, die eine bessere Sicherheit bieten als die unsicheren und schlecht übertragbaren Tierversuche. Jeder weiß, dass Tiere sich von uns nich tnur durch die Größe unterscheiden, dass sie andere Lebensmittel verzehren und vertragen (Kaninchen sogar Knollenblätterpilze, derlei Beispiele gibt es viele). Sicher gibt es hier auch noch Forschungsbedarf. Dennoch fließt nur ein winziger Bruchteil der Forschungsgelder in diese Methoden. Warum? Die Tier-Systeme sind etabliert und es braucht immer viel Mühe, Systeme zu ändern. Widerstand kommt besonders von denen, die im System drinstecken und ihr unterschwelliges schlechtes Gewissen bislang effektiv in Schach gehalten haben. Sie haben Angst, auf einmal an Wert zu verlieren. Doch sie sollten ihre Angst überwinden. Es gibt immer lange Übergangszeiten - dies würde sogar der Fall sein, würde man Tierversuche morgen abschaffen, was wohl leider nciht geschehen wird. Aber ein Umsteuern durch Anreize und umverteilung der Mittel hin zu den besser übertragbaren Alternativen ist nötig - und überfällig!

  • Die Zahl der Tierversuche in der pharmazeutischen Industrie wird durch gesetzliche Vorgaben im Zulassungsverfahren von Arzneimitteln und von der Notwendigkeit bei der Forschung bestimmt. Auch wenn die Patentinhaber ein Interesse am Verkauf ihrer Tiere haben, so wird das keinen Einfluss auf die Zahl der Tierversuche haben. Kein Labor wird mehr Geld als irgendwie notwendig ausgegeben.

  • Guten Tag,

     

    Grundlagenforschung ist absolut notwendig. Erst wenn man z.B. Alzheimer oder Parkinson versteht, kann man Therapien entwickeln. Das kann ein langer Weg sein.

     

    Wenn der Sensenmann an die Tür klopft, werden auch die Grünen Arzneimittel aus Tierversucher akzeptieren.

  • Solange wir alle nicht bereit sind Tierleid durch Verzicht auf tierische Produkte, was heutzutage bei uns relativ einfach ist, massiv zu reduzieren ist die Moraldebatte über das Tierleid bei Tierversuchen reine Heuchelei.

    Das wäre ja fast so als würde der Mörder Mord verurteilen.

    Über Sinn und Unsinn von Tierversuchen ist es weitaus schwieriger zu entscheiden als darüber ob man tierische Produkte konsumieren muss: Da kann man 100 % eindeutig sagen: NEIN ! Fangen wir doch an dieser Stelle erst mal an.

  • Nett, dass es so in rot herausgehoben wird, dass Grundlagenforschung nicht auf die unmittelbare Anwendung zielt.

     

    Aber, ohne die Grundlagenforschung gäbe es überhaupt keine Anwendungsforschung.

     

    Es macht also keinen tieferen Sinn die beiden Zahlen nebeneinander zu stellen und die eine als gut und die andere als schlecht zu indizieren.

  • Die Massentierhaltung ist eine viel größere Quelle von Leid. Vielleicht sollte man dort mit der Empörung anfangen. Und nicht bei Tierversuchen, die quantitativ kaum ins Gewicht fallen und wenigstens einen Nutzen haben, der über die Befriedigung unserer Fressgelüste hinausgeht.

     

    Bei den Grünen hat man leider immer den Eindruck, dass es nicht um rationale Leidvermeidung geht, sondern um ein ideologisches Bild von "Natürlichkeit". Viele Grüne sind zum Beispiel Gegner der Präimplantationsdiagnostik und befürworten damit den staatlichen Zwang zur Weitergabe von Erbkrankheiten. Leid ist also in Ordnung, solange es natürliche Ursachen hat.

    • 6G
      65572 (Profil gelöscht)
      @Thomas Friedrich:

      "und wenigstens einen Nutzen haben, der über die Befriedigung unserer Fressgelüste hinausgeht."

      Der primäre Nutzen ist, die Verlängerung der Möglichkeit, diese Fressgelüste auszuüben.