Tierschutzskandale in Niedersachsen: Eine Schweinerei

Ein Landwirt im niedersächsischen Ohne lässt Tiere qualvoll verrecken. Tierschützer filmen ihn. Wieder ein Einzelfall. Oder doch System?

Ein Schwein liegt auf Spaltboden vor einer dreckigen Wand, guckt mit verdrehten Augen in die Kamera und streckt alle viere von sich.

Bei sechs Schweinemästern haben die Tierschützer Verstöße gefilmt Foto: Deutsches Tierschutzbüro Berlin

HANNOVER taz | Oft bekäme er Hinweise ja von den Beschäftigten selbst, hat „Soko Tierschutz“-Gründer Friedrich Mülln in einem Interview einmal erzählt. Weil selbst die manchmal nicht mehr aushalten, was sie in den Ställen, Schlachthöfen und Laboren sehen.

Es ist seit Jahren das gleiche Spiel: Immer wieder decken Organisationen wie das Deutsche Tierschutzbüro oder die Soko Tierschutz katastrophale Zustände in Ställen und Schlachthöfen auf. Aktuell wird bei mindestens sechs verschiedenen Schweinemästern ermittelt. Oft geht es um Nottötungen, also um Tiere, mit denen selbst beim schlechtesten Willen kein Geld mehr zu verdienen sein sollte.

Das erinnert fatal an die großen Schlachthofskandale wie in Bad Iburg: Da ging es um Rinder, die eigentlich nicht mehr geschlachtet werden durften – die juristische Aufarbeitung ist immer noch nicht abgeschlossen, die Konsequenzen sind gleichwohl überschaubar.

Kurz nach Bad Iburg habe man in Düdenbüttel im Landkreis Stade einen kleineren Schlachthof mit einem ähnlichen Geschäftsmodell bloßgestellt, sagt Mülln. Von öffentlichen Gerichtsverhandlungen, Strafen oder Sanktionen wüsste er aber nichts. Mittlerweile wird der Schlachthof wohl im Namen der Ehefrau weiterbetrieben.

Die Verstöße bleiben oft straffrei

Es sind große Namen und große Verdiener, die am Ende dieser Ketten stehen: Wiesenhof, Tönnies, Vion, Westfleisch. Und es ist natürlich kein Zufall, dass diese Namen auch in der Corona­krise immer wieder auftauchen, wenn es um Massenausbrüche, prekäre Arbeits- und Wohnverhältnisse geht.

Warum – fragt die niedersächsische Grünen-Abgeordnete Miriam Staudte – beginnt man denn da nicht einmal mit der Gewinnabschöpfung, wie man es bei der sogenannten Clan-Kriminalität ja neuerdings erfolgreich praktiziere?

Tierschutzrecht bestehe bisher vor allem auf dem Papier, lautet das bittere Fazit des Wirtschaftsstrafrechtlers Jens Bülte von der Universität Mannheim: Es wird kaum kontrolliert und noch viel weniger sanktioniert. Von einer „faktischen Straflosigkeit institutionalisierter Agrarkriminalität“ spricht er.

In der Pflicht sind immer die anderen

Das liegt auch an der organisierten Verantwortungslosigkeit, mit der hier jeder mit dem Finger auf den anderen zeigt. Die niedersächsische Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast sieht ihre Berliner CDU-Kollegin Julia Klöckner oder die EU in der Pflicht, Klöckner findet, die Länder könnten ihre Möglichkeiten ja erst einmal ausschöpfen und verweist im Übrigen auch gern auf Brüssel. Europa wirft wiederum Deutschland vor, nicht einmal bestehende Richtlinien einzuhalten und steckt ansonsten in einem hoffnungslosen Spagat fest zwischen den nordeuropäischen Ländern mit – zumindest auf dem Papier – hohen Tierschutzstandards und ost- und südeuropäischen Ländern, die davon nichts wissen möchten.

Gleichzeitig fördert die Subventionspraxis munter riesige, einseitig spezialisierte Höfe statt auf regionale Kreisläufe zu setzen. Wobei die auch nur theoretisch besser zu kontrollieren sind – man müsste es halt auch tun.

Otte-Kinast setzt derweil weiterhin auf Arbeitskreise aller Art, spricht herzerwärmend über arme, überforderte Landwirte, verdrückt im Landtag sogar ein paar Tränen, als vom Schweine-Stau die Rede ist – am Ende kommt dabei eine Politik heraus, die eher die Interessen der Konzerne bedient. Die Rede von den Familienbetrieben um die Ecke verdeckt, dass das Problem eigentlich im brutalen Preisdruck und der industriellen Massentierhaltung liegt.

Niedersachsen wird nicht zufällig zum Schlupfloch

Das ließ sich auch bei der jüngsten Debatte um Transporte nach Nordafrika wieder hübsch beobachten. „Schluss mit dem Kuh-Tourismus“, forderte die empörte Landwirtschaftsministerin – als ob die Tiere die tagelange Reise per Lkw und Schiff auf sich nehmen würden, um sich in Marokko in die Sonne zu legen.

Tatsächlich war zumindest ein Teil der Tiere von Bayern aus auf die Reise nach Aurich geschickt worden – um dann wieder gen Süden transportiert zu werden. Das ist so offensichtlich unsinnig, das es dann mal wieder für Empörung sorgt.

Dabei hat Deutschland 2020 rund 37.000 Rinder lebend in Drittländer exportiert, was so gut wie immer bedeutet, dass deutsche Veterinäre ihren Stempel in ein Fahrtenbuch machen, ohne wirklich kontrollieren zu können, dass die Tiere unterwegs ordnungsgemäß versorgt werden – obwohl sie das nach EU-Recht müssten.

Und es ist natürlich kein Zufall, dass solche Transporte bevorzugt in Niedersachsen angemeldet werden: Erst im Februar hatte das NDR-Magazin „Panorama“ einen Fall aufgedeckt, bei dem die Auricher Veterinäre einen Transport durchgewunken hatten, obwohl die Fahrtzeiten nicht stimmten und auch kein zweiter Fahrer eingetragen war.

Auf der anderen Seite der fatalen Nahrungskette stehen dann die Verbraucher, die es oft nicht so genau wissen möchten, aber auch nicht so viele Möglichkeiten haben, an der Kasse abzustimmen: Das Bio-Angebot in den meisten Supermärkten ist eher mau, es fehlt an guten Siegeln und transparenten Bedingungen –, wer „anständiges“ Fleisch kaufen will, muss zusätzliche Wege und umfangreiche Recherchen auf sich nehmen. Da ist es am Ende vielleicht doch leichter, Vegetarier zu werden.

Mehr über Tierschutzverstöße in der Landwirtschaft lesen Sie im Wochenendschwerpunkt der taz nord in der gedruckten taz am wochenende oder hier

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