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Tierschutz in NiedersachsenSchluss mit Schwanz ab

Angeblich zum Schutz der Schweine: Schon Ferkeln wird der Ringelschwanz abgeschnitten. Niedersachsen will das nun beenden.

Bleibt bloß weg mit der Klinge: Ich will mein Schwänzchen behalten! Foto: dpa

BERLIN taz | Als erstes Bundesland zahlt Niedersachsen Bauern künftig eine Prämie, wenn ihren Schweinen die Schwänze weder gekürzt noch abgebissen werden. „Ist der Schwanz unversehrt, ist auch die Haltung tiergerecht“, sagt Agrarminister Christian Meyer (Grüne).

Die Tiere beißen sich unter anderem wegen des Stresses oder der Monotonie in den engen und reizarmen Ställen gegenseitig. Um die damit verbundenen lang andauernden Schmerzen zu verhindern, schneiden Züchter fast allen konventionell gehaltenen Ferkeln die Ringelschwänze etwa mit einer Klinge ab.

Ab Mittwoch jedoch können niedersächsische Mäster pro Schlachttier mit unversehrtem Schwanz 16,50 Euro Zuschuss beantragen. Das ist viel Geld für die Betriebe, die bei den derzeitigen Preisen nach Branchenangaben rund 20 Euro Verlust pro Tier machen.

Allerdings ist die Haltung von Schweinen mit vollständigen Ringelschwänzen auch teurer: Das Land Niedersachsen fordert von den Antragstellern zum Beispiel, dass sie ihre Ferkel im eigenen Betrieb produzieren oder zumindest immer von denselben Lieferanten bekommen. Hintergrund ist, dass auch die Bedingungen der Ferkelaufzucht Schwanzbeißen verursachen können.

Zudem müssen die Landwirte sich auf unterschiedlich gewichtete Maßnahmen verpflichten, die das Wohlbefinden ihrer Tiere erhöhen sollen. Am höchsten bewertet werden Erfahrung mit dem Verzicht aufs Schwanzkupieren, mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben und Beschäftigungsmaterial wie Stroh oder Torf. Betriebe aus der Biolandwirtschaft dürften diese Anforderungen leicht erfüllen.

Um kleine und mittlere Höfe zu stärken, so Meyer, werde die Prämie für maximal 1.000 Schweine pro Mastdurchgang gezahlt. Voraussetzung ist auch, dass kupierte und unkupierte Schweine nicht in einer Gruppe zusammen gehalten werden. Zudem müssen mindestens 70 Prozent der Tiere, für die das Geld beantragt wird, immer unversehrte Schwänze haben. Die Landwirte müssen sich schulen, beraten und kontrollieren lassen.

Das Geld reicht für 1,7 Millionen Schweine

Zwar stehen für 5 Jahre insgesamt nur bis zu 28 Millionen Euro bereit, die von der EU, dem Bund und dem Land aufgebracht werden. Das reicht für höchstens 1,7 Millionen Schweine – so viele werden in Niedersachsen in lediglich einem Monat geschlachtet. In Wirklichkeit werden noch weniger Prämien gezahlt, da von den 28 Millionen Euro auch noch ein Programm für bessere Legehennenställe finanziert werden soll.

Dennoch findet Eckehard Niemann, Pressesprecher der ökologisch orientierten Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in Niedersachsen: „Die Ringelschwanzprämie ist eine tolle Sache. Es wird den Nachweis geben, dass es funktioniert, auf das Kupieren zu verzichten.“ Und das werde „die Blockade der Schweinehalter“ in diesem Punkt brechen.

Tatsächlich unterstützt die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschland die Prämie. Im Gegenzug sagt Meyer in Interviews derzeit nicht mehr, dass er das Kupieren 2016 verbieten will – nur noch, dass er das „prüfen“ werde.

Der Deutsche Tierschutzbund, der die Prämie auch lobt, beharrt aber auf einem Verbot. Zudem fordern die Tierschützer, dass nicht nur 70 Prozent der Schweine unversehrte Schwänze haben müssten. Derzeit würden „30 Prozent verletzte Schwänze und damit großes Tierleid akzeptiert“.

Agrarminister Meyers Ministerium geht aber davon aus, dass die Erfüllungsquote in der Praxis viel höher als 70 Prozent liegen wird. „Wer investiert hat in Stallmanagement, Bestandszahlen verringern, Beschäftigungsmaterial und so weiter, wird nie das Risiko eingehen wollen, dass er diese 70-Prozent-Marke anpeilt“, sagte sein Sprecher Klaus Jongebloed der taz.

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6 Kommentare

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  • Nette Idee, sie hat aber nach dem jetzigen Konzept einen Haken: Ob die Prämie gezahlt wird oder nicht, wird bei Stallkontrollen nicht am Schlachthof ermittelt. Es ist so also durchaus möglich, dass für ein Schwein, das am Schlachthof keinen Ringelschwanz mehr hat, eine Prämie gezahlt wird: "Mindestens 70 % der Mastschweine müssen zu jedem Zeitpunkt während der Mast einen gesunden Ringelschwanz haben." Quelle: http://www.landtag-niedersachsen.de/Drucksachen/Drucksachen_17_2500/2001-2500/17-2484.pdf?page=2

  • Für mehr Geld sind die Landwirte bereit und in der Lage alles zu produzieren, was der Markt fordert.Landwirte, ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wertvorstellungen sind käuflich im Guten, wie im Schlechten. Leider führt das zu immer mehr Bürokratie und einem eher realitätfremden Normen- und Kontrollwesen, was absolut überflüssig wäre,wenn Bauern sich mal wieder auf ihre Verantwortung für das Leben besinnen würden und sich aüs der Knechtschaft des Agrobusiness und der Gier befreien.

  • Herr Maurin,

     

    Ihre These "Die Tiere beißen sich unter anderem wegen des Stresses oder der Monotonie in den engen und reizarmen Ställen gegenseitig." ist gewagt. Selbst die Bedingungen des Öko-Landbaus schützen die Ferkel nicht: http://www.animal-health-online.de/gross/?p=29674

  • Und wieder einmal wird die Massentierquälung durch meine Steuergelder unterstützt. Es ist doch zum Kotzen.

  • Der gehäuft auftretende Verbiss von bereits kupierten Schwänzen ist ein Indikator für schlechte Haltungsbedingungen. (zu wenig Platz/Licht/Luft/unzureichend Betreuung/Beschäftigungsmaterial/freier Tränkezugang, Möglichkeit kranke Tiere aus der Gruppe herauszunehmen und gesondert aufzustallen. etc.), in so einem Betrieb muss sich sehr schnell viel ändern.

     

    Das bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass in einem Betrieb in dem alles zum Besten des Tieres stimmt kein Schwanzverbiss bei unkupierten Schwänzen mehr vorkommt. Sonst wäre Schwanzverbiss in der Biohaltung mit großem Platzangebot in Außenklimaställen mit Terassenauslauf kein Thema - ist es aber.

     

    30% tolerierte Nekrosen bei der "Aktion Ringelschwanz" sind zu viel und gegenüber z.T. bis auf Einzelfälle nahezu 0% Verbiss in vielen (konventionellen) Betrieben mit kupierten Schänzen ein riesiger Berg von unötigem Tierleid (siehe Grundgesetz)

     

    Wobei das extrem kurze Kupieren meiner Ansicht sogar unnötig wäre, es reicht (hier müste intensiv empirisch geforscht werden!) den Ferkeln nur die Schwanzspitze zu kupieren.

     

    Das Schwein bildet dann immer noch im Verlauf seines Wachsrums einen für die Gattung typischen Ringelschwanz aus aber ohne die gefühllose quastige Schwanzspitze an denen die SchweinekollegInnen (auch in Biobetrieben), vom beknabberten Schwein fatalerweise zuächst unbemerkt, rumgeschnuckelt wird bis sich eine blutige Nekrose bildet und das Schwein plötzlich einen großen "Fanklub" hat.

     

    Das Kupieren dient in der Praxis eben nicht dazu die Tiere aus reiner Bosheit zu quälen sondern um sie vor unnötigem Schwanzverbiss zu schützen.

  • Entschuldigung, aber Schweine werden hier besser geschützt als Kinder.

     

    Thema: Beschneidung