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Thüringer FlüchtlingsprogrammSeehofer verbietet Aufnahme

Die rot-rot-grüne Landesregierung wollte bis zu 500 Flüchtlinge aufnehmen. Doch der Bund stellt sich quer – wie schon bei Plänen des Berliner Senats.

Kinder aus überfüllten Flüchtlingslagern kommen in Athen an. Bundesländer dürfen Sie nicht aufnehmen Foto: Angelos Tzortzinis/dpa

Berlin dpa | Thüringen darf über die Zusagen des Bundes hinaus keine zusätzlichen Asylbewerber aus den überfüllten Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln aufnehmen. Einen entsprechenden Antrag der Landesregierung hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) abgelehnt.

In einem Schreiben von Innenstaatssekretär Hans-Georg Engelke an den Thüringer Justizminister Dirk Adams (Grüne) heißt es: „Mit Blick auf eine bundeseinheitliche Behandlung ist zu vermeiden, dass für denselben Personenkreis die Aufnahme in Deutschland aufgrund zweier verschiedener Rechtsgrundlagen und mit zwei verschiedenen Rechtsfolgen erfolgt.“ Bei einem Landes-Aufnahmeprogramm werde direkt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, beim Hilfsprogramm des Bundes durchliefen die Aufgenommenen dagegen ein ergebnisoffenes Asylverfahren. Über die Ablehnung hatte zuerst der Spiegel berichtet.

Im Rahmen einer europäischen Hilfsaktion war vereinbart worden, dass mehrere EU-Staaten zusammen etwa 1.600 Minderjährige von den griechischen Inseln aufnehmen. Wegen der Corona-Pandemie kam es dabei zu Verzögerungen.

Thüringens Migrationsminister Adams zeigte sich enttäuscht. „Ich bedauere es sehr, dass die Bundesregierung die Hilfsbereitschaft Thüringens nicht nutzt, sondern beschneidet“, sagte er. Nun solle die Begründung geprüft werden. „Klar ist, dass unsere Bereitschaft, Menschen aus den Flüchtlingscamps in Griechenland aufzunehmen, weiterhin besteht.“ An den katastrophalen Zuständen dort habe sich weiter nichts geändert, betonte Adams.

500 Flüchtlinge sollten kommen

Nach zähen Verhandlungen auch innerhalb der Minderheits-Koalition aus Linke, SPD und Grünen hatte sich die Landesregierung darauf verständigt, 500 Flüchtlinge aus griechischen Lagern aufnehmen zu wollen. Das Programm sieht vor, dass bis Ende 2022 bis zu 500 besonders schutzbedürftige Menschen nach Thüringen kommen können. Von Anfang an stand das Vorhaben aber unter dem Vorbehalt einer Zustimmung des Bundes.

Die Thüringer Linke-Fraktion kritisierte die Entscheidung des Bundesinnenministeriums. „Die Weigerung Seehofers gegenüber Thüringen bei der Aufnahme Geflüchteter aus Griechenland sein Einvernehmen zu erteilen, ist absolut inhuman, menschen- und völkerrechtswidrig“, erklärte die Vizevorsitzende Katja Mitteldorf. Die Thüringer CDU-Fraktion dagegen begrüßte Seehofers Durchgreifen. „Der Bund kann gar nicht anders, als hier ein klares und richtiges Stopp-Signal zu setzen“, erklärte der migrationspolitische Sprecher Markus Malsch.

Seehofer hatte bereits einer Anfrage des Landes Berlin für ein eigenes Aufnahmeprogramm für bis zu 300 Flüchtlinge eine Absage erteilt. Vertreter der Landesregierung reagierten verärgert.

Unabhängig vom Wunsch einzelner Länder, eigene Aufnahmeprogramme zu starten, will der Bund 243 kranke Kinder und deren Kernfamilien aus griechischen Lagern nach Deutschland holen. Die Innenminister von Bund und Ländern hatten sich im Juni bei einem Treffen in Erfurt darauf verständigt, dass bei der Verteilung der Flüchtlinge jene Bundesländer bevorzugt berücksichtigt werden können, die bereit sind, mehr Flüchtlinge aufzunehmen als über den üblichen Schlüssel vorgesehen wäre. Thüringen hatte daraufhin signalisiert, dass es sehr kurzfristig 200 Flüchtlinge unterbringen könne.

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7 Kommentare

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  • Seehofer dürfte seine Kompetenzen überschritten haben. An Ramelows Stelle würde ich nun trotzdem - oder gerade deswegen - demonstrativ mit der Aufnahme beginnen. Was soll Seehofer dann dagegen machen? Die GSG 9 schicken? Dann steht er da wie Trump mit seiner Karnevalstruppe "Bundespolizei".

  • Wann ist der Seehofer zu alt? Gibt es überzeugt ein gesetzlich festgelegtes Alter, das ein weiteres Üben eines Mandats verhindert?

  • Für dieses Land kann man sich nur noch schämen. Ohne weitere Worte...

  • Kann man diese Bande eigentlich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit [1] drankriegen?

    Ich träume von diesem Tag.

    [1] de.wikipedia.org/w...die_Menschlichkeit

    • @tomás zerolo:

      Nein, kann man nicht. Denn dem Link folgend, ist ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" so definiert:

      „Verbrechen gegen die Menschlichkeit, unter anderem: Mord, ethnische Ausrottung, Versklavung, Deportation und andere unmenschliche Akte gegen die Zivilbevölkerung oder: Verfolgung aufgrund von rassistischen, politischen und religiösen Motiven; unabhängig davon, ob einzelstaatliches Recht verletzt wurde.“

      Nur weil etwas nicht "für die Menschlichkeit" getan wurde, ist es automatisch "gegen die Menschlichkeit".

      • @Puky:

        Vielleicht ist Beihilfe drin?

        Immerhin wird Frontex mit viel Aufwand aufgebaut (und die lybische Küstenwache mit Geld überhäuft), um die Flüchtlinge wieder nach "da unten" [1] [2] zu bringen -- in vollem Wissen dessen, was ihnen dort erwartet.

        Immerhin wird auch der Fall eines "kleinen Wachmanns" [3], dem keine direkte Tatbeteiligung nachgewiesen werden kann (endlich!) aufgearbeitet. Warum sollte Seehofer sich darum drücken können?

        Mir geht es nicht um Strafe. Noch weniger um Rache, das ist alles sinnlos.

        Nur um Aufarbeitung. Darum, gemeinsam zu verstehen, dass das nicht OK war.

        [1] sowas wie "egal wohin, nur nicht 'bei uns'"



        [2] taz.de/Aufklaerung...zagentur/!5692484/



        [3] taz.de/Mildes-Urte...Wachmann/!5695416/

      • @Puky:

        wer aber bei massenhafter Ausübung von Unmenschlichkeit zusieht, wissentlich untätig bleibt und aktiv dazu beiträgt, dass etwas dagegen unternommen werden kann, macht sich mitschuldig; siehe viele historische Prozessbeispiele, u.a. Auschwitzprozesse.



        Es zeigt sich immer mehr wie politisch und rechtlich untragbar der Minister ist.



        Weiter so Herr Seehofer.