Thriller „They Want Me Dead“ auf Sky: Schule des Überlebens
Hollywoodstar Angelina Jolie behauptet sich im Action-Thriller „They Want Me Dead“ als Feuerwehrfrau in unfreiwilliger Mission.
In fünf bis zehn Jahren werden sie ihr eigenes Label bekommen; sehr wahrscheinlich wird es ein bisschen pathetisch klingen. „Die verlorenen Filme“ oder so. Das Label wird für eine ganze „Generation“ von Produktionen stehen, die durch das Stop-and-go der Coronapandemie um ihren rechtmäßigen Platz an der Sonne, soll heißen in der Aufmerksamkeit des Zuschauers, betrogen wurden.
Taylor Sheridans „They Want Me Dead“ wird ganz sicher dazugehören, mit seinem wenig glücklichen Online-Starttermin gerade dann, wenn endlich einsetzendes Schönwetter und sinkende Infektionszahlen das potenzielle Publikum weg vom Sofa und raus ins Freie einladen.
Hinzu kommt, dass „They Want Me Dead“ der Starbesetzung mit Angelina Jolie zum Trotz wie eine Art Underdog daherkommt. Ein durchaus unterhaltsamer Actionfilm mit einer tapferen Feuerwehrfrau im Zentrum, der keine der üblichen Aufmerksamkeits-Trigger bedient: keine wahre Geschichte als Hintergrund, kein eingeführtes „Intellectual Property“ in neuer Verpackung, keine spektakuläre neue Technik am Anschlag, kein besonderes politisches Anliegen, dem Referenz erwiesen wird.
„They Want Me Dead“. Regie: Taylor Sheridan. Mit Angelina Jolie, Nicholas Hoult u. a. USA 2020, 100 Min. Läuft auf Sky
Einzig das versammelte Schauspielensemble funkelt ein bisschen unter dem Mantel der Bescheidenheit hervor. Das beginnt mit Jolie, die in den letzten zehn Jahren wenig in Erscheinung trat, es sei denn als böse Fee in „Maleficent“ oder Synchronstimme in „Kung Fu Panda“.
Versuch eines „Old School Films“
Und setzt sich fort mit Jon Bernthal, dessen Charakterkopf man aus Serien wie „The Walking Dead“ und „The Punisher“ kennt, mit Aiden Gillen, der von einst „Queer as Folk“ bis jüngst „Game of Thrones“ im Gedächtnis ist, und mit Nicholas Hoult, einem der wenigen Kinderstars („About a Boy“), dem fast nahtlos der Übergang in Erwachsenenrollen gelang. Die Laufzeit des Films von gerade einmal 100 Minuten scheint wiederum zu unterstreichen, dass das hier ein „Old School Film“ sein will, eine Art Rückkehr „back to basics“.
Letzteres passt zum Stil von Taylor Sheridan, der als Drehbuchautor von „Sicario“ (2015) und „Hell or High Water“ (2016) sich einen Ruf im Genre des „Neo-Western“ erarbeitete, den er dann mit seiner Regiearbeit „Wind River“ (2017) weiter ausbaute. Immer wieder versucht Sheridan in seinen Filmen die Elemente Genre und sozialen Realismus zusammenzubringen.
Stars lieben das: In „Hell or High Water“ verkörperten Jeff Bridges und Chris Pine einerseits die Kontrahenten einer Verfolgungsjagd in altmodischer Western-Manier, andererseits repräsentierten sie unterschiedliche Pole des modernen gesellschaftlichen Gefüges, Bridges’ Polizist den erzkonservativen republikanischen Texaner, Pine den kleinen Farmer, der vom Bankensystem durch systematische Verschuldung ausgebeutet wurde.
In „Wind River“ versuchen Jeremy Renner und Elizabeth Olsen den Mord an einer jungen indigenen Frau im Umfeld eines Reservats im kaltverschneiten Wyoming aufzuklären. Auch hier ging es um die Western-Themen von Individualismus und Selbstverteidigung, von Gewalt und Grenze der Zivilisation, um einsame Helden mit schwieriger Geschichte, die sich „against all odds“ gegen widrige Natur und fiese Feinde behaupten.
Aber auch in „Wind River“ waren die Genre-Elemente fest in eine konkrete soziale Realität eingebettet, in die präzise Beschreibung der schwierigen Koexistenz des Reservatslebens und der vorurteilsbeladenen Außenseitergemeinschaft drum herum.
Mafiosi setzen Haus in Brand
Sheridans neuer Film beginnt als Mafia-Thriller: Zwei Männer (Aiden Gillen und Nicholas Hoult) klingeln irgendwo in Florida an der Tür einer großzügigen Villa und treten ein mit dem Vorwand, sie müssten die Gasleitungen untersuchen. Kaum dass sie in der Szene danach das Haus verlassen, geht es im Rückfenster ihres Autos in Flammen auf.
Am anderen Ende der USA sieht der Buchprüfer Owen (Jake Weber) die Explosion in den Nachrichten und begreift, dass es ihn als Nächstes treffen wird. Hektisch packt er zusammen und steigt zusammen mit seinem kleinen Sohn Connor (Finn Little) ins Auto, um zu seinem Schwager Ethan (Jon Bernthal) nach Montana zu fliehen.
Mit dem Schauplatz Montana wechselt der Film ins „Blue collar“-Milieu: Dort in den Bergen beginnt die Waldbrand-Saison, und Polizist Ethan ist zunächst damit beschäftigt, die zu Streichen aufgelegten Feuerwehrmänner, zu denen seine Exfreundin Hannah (Angelina Jolie) gehört, im Zaum zu halten.
Hannah wird mit Bedacht als „eine der Jungs“ eingeführt – mit schnellem Mundwerk im Konkurrenzgeplänkel der Männer dabei, bei diversen Mutproben sogar vorneweg.
Hannah sah Kinder in den Flammen sterben
Warum diese Frau so lebt, wie sie lebt, was zwischen ihr und Ethan war und warum es scheiterte – all das spart das Drehbuch aus. Stattdessen erfährt man, dass sie im Vorjahr offenbar bei der Brandbekämpfung ein echtes Trauma erlebt hat: Vor ihren Augen kamen drei kleine Jungs zu Tode, denen sie zwar wie auf Sichtweite gegenüberstand, denen sie aber wegen ungünstiger Windrichtung nicht mehr helfen konnte.
Die weitere Handlung ergibt sich aus dieser Konstellation wie von selbst: Über kurz oder lang wird Hannah den kleinen Connor retten müssen, und zwar sowohl vor den mordenden Mafiamännern als auch vor dem zwangsläufig sich ausbreitenden Waldbrand.
Das Entscheidende ist einmal mehr das Wie: Sheridan setzt bei seiner Action-Inszenierung nicht auf überraschende Wendungen, nicht auf den eben noch Totgeglaubten, der dann doch noch einmal von hinten zuschlägt. Stattdessen bezieht „They Want Me Dead“ seine Spannung daraus, die einzelnen Figuren sehr präzise bei ihren Entscheidungen und ihren Überlebensstrategien zu beobachten.
Das schließt die beiden von Hoult und Gillen gespielten „Gangster“ mit ein, die nicht als „unterhaltsame“ Auftragskiller mit selbstdesigntem Mordstil à la „Breaking Bad“ auftreten, sondern als Proleten des Mordgeschäfts und selbst als Gezwungene und Ausgebeutete gezeigt werden.
Schwangere Ehefrau weiß sich zu verteidigen
Den heftigsten und sie damit durchaus überraschenden Widerstand leistet ihnen Ethans schwangere Frau Allison (Medina Singhore), von der an einer Stelle gesagt wird, sie leite eine „school for survival“ – eine hingeworfene Bemerkung, die große Realitätsmacht erlangt, wenn man ihre Techniken so in der Anwendung sieht.
Das eigentliche Drama des Films, Hannahs Beziehung zum kleinen Connor, verhandelt der Film angenehm knapp und unpathetisch. Eine Rückblende zu viel macht darauf aufmerksam, dass die Feuerwehrfrau die Chance auf ein „Wiedergutmachen“ erhält, aber die Redundanz wird wieder aufgewogen dadurch, dass hier wie selten in einem Actionfilm gerade die Frauen selbst angesichts lodernder Flammen ihre kühle Vernunft bewahren dürfen.
Zwar gelingt es Jolie nicht, wie etwa Kate Winslet aktuell in der Serie „Mare of Easttown“, ihren Star-Glamour unter schlecht gefärbten Haaren und Ungeschminkt-Maske völlig verschwinden zu lassen. Ihrer Feuerwehrfrau eignet ein entschieden nicht-hinterwäldnerischer Glanz, der auch im fernen Feuerbeobachtungsturm noch ein gewisses Augen-Make-up als Standard sieht.
Aber die Unwilligkeit, sich völlig „ohne“ zu zeigen, lässt zugleich die besondere Stärke von Jolie erstrahlen: Sie war schon immer großartig darin, das Rüstungshafte ihrer Schönheit auszustellen, um dahinter Verletzlichkeit und Verwundbarkeit sichtbar werden zu lassen. Auch wenn also „They Want Me Dead“ in der noch zu erwartenden Filmflut des Jahres 2021 untergehen wird, gebührt ihm in der Filmografie von Angelina Jolie auf jeden Fall ein besonderer Platz.
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