Thriller „Die Kairo-Verschwörung“ im Kino: Campus der Intrigen
Ein Student gerät zwischen Muslimbrüder und Geheimdienst: Der Film „Die Kairo-Verschwörung“ führt in das Innere einer islamischen Universität.
Adam lebt mit seinen zwei Brüdern und seinem Vater im Nordosten Ägyptens, in der Nähe des Nildeltas auf dem Land. Jeden Morgen rudert er seinen Vater in einem Boot zum Fischen auf den lagunenartigen Manzalasee hinaus, danach fährt er in die Moschee, um zu lesen, um zu lernen. Ein Stipendium für die angesehene Al-Azhar-Universität verschlägt ihn nach Kairo. Statt des Fischens ist sein neues Leben gefüllt mit gemeinsamen Gebeten, Vorträgen der Lehrenden, Kalligrafie.
Doch die Azhar, mehr als 1.000 Jahre alt, ist mehr als nur eine Universität des sunnitischen Islams. Die Institution, die zur Zeit der Dynastie der Fatimiden um eine Moschee herum entstand, ist zentral für das fragile Verhältnis von Staat und Religion in Ägypten, und Adam findet sich in „Die Kairo-Verschwörung“, dem neuesten Film des schwedischen Regisseurs Tarik Saleh, mitten im Spannungsfeld dieses Verhältnisses.
Während eines Vortrags bricht der Großimam, der als Scheich der Azhar zugleich Oberhaupt der Institution ist, hustend zusammen. Besorgt verfolgen die Studenten die Nachrichten zum Gesundheitszustand des Oberhaupts der Institution auf dem Fernseher in der Küche der Universität. Wenig später ist der Geistliche tot. Unter Leitung des machthungrigen ägyptischen Militärs versucht die ägyptische Politik, die Situation zu nutzen und ihren politischen Einfluss auf die Azhar durch die Wahl eines ihr wohlgesinnten Kandidaten auszubauen.
Das Leben an der Universität kommt in der Zwischenzeit zum Erliegen, die riesigen Räume und Höfe liegen verlassen. Zu groß ist die Gefahr, sich durch unliebsame Äußerungen zu diskreditieren. Gerade ist der Assistent eines der Geistlichen als Zuträger der Regierung enttarnt worden.
„Die Kairo-Verschwörung“. Regie: Tarik Saleh. Mit Tawfeek Barhom, Fares Fares u. a. Schweden/Frankreich/Finnland/Dänemark 2022, 126 Min.
Als Neuling ohne schon bestehende Bindung an eine der Fraktionen gerät Adam als idealer Nachfolger in den Blick der Politik. Er bemerkt die plötzliche Aufmerksamkeit voller Unbehagen, weiß aber nicht, wie er sich ihr entziehen soll. Dann wird der Mann, der ihn anwerben soll, im Hof der Azhar ermordet. Adam ist gezwungen, die Welt der Azhar jeden Abend zu verlassen für klandestine Treffen mit dem Colonel des „Staatssicherheit“ genannten Inlandsgeheimdienstes, der in der Sache des Mordes ermittelt.
Gewirr der Interessen
Trotz der dauernden Präsenz des langen Arms der Politik in Person von Colonel Ibrahim (Fares Fares) verlagert Regisseur Tarik Saleh den Fokus der Handlung zunächst zurück in die Azhar und zeigt das interne Ringen um die Leitung als Auseinandersetzung über die Ausrichtung des Islams und über seine Rolle in den Gesellschaften der arabischen Welt. Muslimbrüder, kritische und staatsnahe Theologen wetteifern um das einflussreiche Amt. Adam versucht in erster Linie, am Leben zu bleiben und in dem Gewirr der Interessen nicht unterzugehen.
Schon bald setzt ihn Colonel Ibrahim auf die Fährte einer Gruppe Muslimbrüder, die sich nachts in der verwaisten Moschee zum gemeinsamen Gebet treffen. Nach einigen Nächten wird Adam eingeladen, sich der Gruppe anzuschließen, die sich tagsüber unter dem Vorwand trifft, die Rezitation des Korans zu verbessern. Als Adam das erste Mal vorträgt, ist die Gruppe entsetzt, er singe verbotenerweise den Koran, statt ihn nüchterner vorzutragen.
In diesen Szenen und dem Wettstreit der Dozenten mit ihren Gruppen von Anhängern im Hof der Universität erinnert der Film an Youssef Chahines „Das Schicksal“ von 1997. Chahine verarbeitete die Bedrohung durch die Muslimbrüder in den 1990er Jahren als Historienmusical über das Wirken des Philosophen Averroes/Ibn Rushd in Andalusien unter arabischer Herrschaft im 12. Jahrhundert. Chahine stellt den lustfeindlich-mörderischen Fundamentalisten eine Gruppe lebensbejahender Anhänger Averroes’ gegenüber. In Salehs Film erscheinen die Muslimbrüder pappkameradenhafter.
Thriller vor politischem Hintergrund
Im Kontrast zu Chahines Film wird deutlich, wie dezent Saleh politische Elemente aufgreift. „Die Kairo-Verschwörung“ ist denn auch kein dezidiert politischer Film, der einem europäischen Publikum das komplexe Verhältnis von Staat und Religion in Ägypten aufdröseln möchte, sondern ein Thriller vor politischem Hintergrund. Getragen wird der Film vom Kontrast zwischen Fares Fares’ bärbeißig-schratigem Colonel Ibrahim und dem in Ränkespielen unerfahrenen, aber klugen Adam, gespielt vom israelisch-palästinensischen Schauspieler Tawfeek Barhom.
Ibrahim hat auf nahezu unerklärliche Weise alle Umbrüche der ägyptischen Politik in der Staatssicherheit überlebt. Saleh unterstreicht diese Überzeitlichkeit Ibrahims, indem er ihn auf Autofahrten klassische ägyptische Popmusik hören lässt. Adam lässt sich nur widerwillig auf seine Rolle als Informant ein. Immer wieder setzt Ibrahim ihn unter Druck, um ihn bei der Stange zu halten, droht ihm, lockt ihn mit Geld für eine Operation des Vaters. Gemeinsam haben die beiden ungleichen Figuren, dass sie von ihrem Umfeld nicht selten unterschätzt werden.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „Die Kairo Verschwörung“
Das filmische Werk von Regisseur Saleh ist schwer zu bündeln. Saleh begann mit Dokumentarfilmen über Che Guevara und das US-Gefangenenlager in Guantánamo. 2009 realisierte er den animierten Science-Fiction-Film „Metropia“ über eine Welt, der das Öl ausgeht, mit Vincent Gallo, Udo Kier und Stellan Skarsgård in Sprecherrollen. Es folgten zwei Musikvideos für die schwedische Sängerin Lykke Li. 2014 besetzte Saleh Li in seinem ersten nicht animierten Spielfilm, dem halbgaren Thriller „Tommy“.
Aufwind bekam seine Regiekarriere, als sich Saleh auf seine ägyptische Herkunft besann. „Die Nile Hilton Affäre“ von 2017 entrollt vor dem Hintergrund des beginnenden Arabischen Frühlings einen Kriminalfall. Kurz vor Beginn der Dreharbeiten wurde das Team des Landes verwiesen und Saleh gilt in Ägypten bis heute als unerwünschte Person.
Preis für das beste Drehbuch
Fares Fares, der in Deutschland vor allem für seine Rolle als Kriminalassistent Hafez el-Assad in der Verfilmung der Bestseller von Jussi Adler-Olsen bekannt ist, spielt auch in „Die Nile Hilton Affäre“ einen Kriminalpolizisten. Fares’ Rolle im Vorgänger ähnelt in vielem der Figur des Colonel Ibrahim in seinem neuesten Film.
„Die Nile Hilton Affäre“ feierte auf dem Sundance-Festival Premiere, „Die Kairo-Verschwörung“ 2022 in Cannes, wo der Film mit dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet wurde. Noch vor der „Kairo-Verschwörung“ entstand der Action-Thriller „The Contractor“, der wegen der Pandemie jedoch erst einen Monat vor seinem Nachfolger in den USA in die Kinos kam.
„Die Kairo-Verschwörung“ ist ein visuell konventioneller Film, der seine Handlung linear aufrollt. Die Kunst des Films liegt in seinen Dialogen, die, dem Geist einer theologischen Universität gemäß, Dinge oft unterschwellig thematisieren. Wenn die Figuren auf Ereignisse anspielen, weiß man nie recht, ob es sich um ein Gleichnis handelt oder um eine bewusste Verzerrung.
Saleh entspinnt all das, ohne komplexer zu werden als nötig, und durchwebt die Interaktion seiner Charaktere mit der Unsicherheit über deren Motive. Selten ist im Moment des Handelns klar, mit welcher Absicht ein Ereignis herbeigeführt wird. „Die Kairo-Verschwörung“ ist ein ebenso kluger wie unterhaltsamer Film. Keine häufige Kombination und darum umso sehenswerter.
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