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Theatertage in BerlinVorwärts nimmer, blutig immer

Das Theater stellt sich vielen Problemen, lösen kann es sie nicht. Das wird deutlich bei den Au­to­r:in­nentheatertagen in Berlin mit neuen Stücken.

Samuel Koch als zeitreisende „Nationaldichterin“ zwischen den Gesichtern der Eltern Foto: Christian Kleiner

Wenige Wochen nach dem Theatertreffen hat am 8. Juni ein weiteres hochkarätiges Theaterfestival in Berlin begonnen: Die Au­to­r:in­nentheatertage. Vor 25 Jahren hat sie Ulrich Khuon, damals Intendant in Hannover, initiiert, um die zeitgenössische Dramatik zu stärken. Das Festival konzentriert sich auf die Inszenierungen neu geschriebener Stücke und endet mit einer „Langen Nacht“, in der drei neue Texte uraufgeführt werden.

Mit dem Intendanten Ulrich Khuon sind die Au­to­r:in­nentheatertage zuerst an das Thalia Theater in Hamburg gewandert und dann weiter nach Berlin, wo Khuon seit 2010 das Deutsche Theater leitet. Das Jubiläum des Festivals fällt in das letzte Jahr seiner Intendanz. Glücklicherweise kann auf dem Platz vor dem Theater wieder gefeiert werden, was in den letzten beiden Jahren pandemiebedingt nicht möglich war.

Zum Jubiläum ist im Alexander Verlag Berlin ein kleines Buch erschienen, „Das Glück zu sprechen, ohne zu wissen mit wem“, für das viele durch das Festival gegangene Au­to­r:in­nen Texte beigetragen haben. Ulrike Syha listet darin „25 Gründe, die für und gegen das Theater sprechen“ auf, und umfasst damit einen ganzen Kosmos.

Darunter sind Theatermomente hinter der Bühne: „Drei ältere Herren in Shakespeare-Kostümen, die Füße in Rollschuhen, rauchen und unterhalten sich in der Pause zwischen dem zweiten und dritten Akt über ihre fehlende Altersvorsorge. Konsens kann nicht hergestellt werden, die Diskussion wird hitzig. Beinahe hätte man noch den Einruf verpasst“. Das ist eine schöne Miniatur über eine Seite des Theaters, die man als Zuschauerin eher nicht erlebt. Ihre zehnte Bemerkung heißt: „Theater kann Magie, aber aus Diskursgründen zweifelt es selbst daran.“ Damit ist ein Feld umrissen, das viele Theaterabende anstrengend und halbgar erscheinen lässt.

Diskurs und Magie

Magie mit Diskurs zu vereinigen, war offensichtlich ein Anliegen von Milena Michalek, Theaterautorin und Regisseurin aus Wien und Berlin, die mit „Koralli Korallo“ zu den Theatertagen kam. Sie hat die Aufführung mit dem Ensemble des Kosmos Theater Wien entwickelt: Vielen Szenen spürt man das Erwachsen aus Improvisiationen an, ständig werden entstandene Situationen von den fünf Darstellern neu gelesen und umgedeutet. Eine Expedition ist unterwegs, es könnten Wissenschaftler sein oder auch Freunde, deren einer Teil sich um die Motivationskrisen der anderen sorgt.

Besucht wird ein Korallenriff, dem es schlecht geht. Die Schauspielerin, die es liegend verkörpert, und einfach nur ihre Ruhe haben will, gleicht in ihren Zurückweisungen des Expeditions-Teams aber Obdachlosen, die sich dem bürokratischen Zugriff entziehen will.

So überschreiben soziale und psychologische Themen und Deutungsmöglichkeiten einen Kontext, der mehr in der Sorge um die Lebewesen, mit denen Mensch die Erde teilt, wurzelt. Alle spüren, dass etwas zuende geht, und finden keinen Ausweg. Das Fantastische der Inszenierung, wie die Mutation in Wesen mit Krakenarmen, macht zwar Spaß und lindert den Schrecken; das Nachdenken über die Rechte der Natur und einen respektvollen Umgang mit ihr, letztendlich notwendig, um auch den eigenen Arsch zu retten, bleibt aber unscharf.

Das Theater stellt sich vielen Problemen, aber lösen kann es sie nicht. „Dem Krieg gegenüber ist das Theater machtlos“, notiert Ulrike Syha als 14. Grund für und gegen das Theater. Von einem Krieg, der seine Forderungen an die Überlebenden und deren Nachkommen auch nach seinem Ende immer weiter stellt, spricht das Stück „Wounds are forever. (Selbstporträt als Nationaldichterin)“ von Sivan Ben Yishai. Die Autorin hat dafür dieses Jahr den Mülheimer Dramatikerpreis erhalten. Noch ein Grund mehr, neugierig zu sein auf das Gastspiel vom Nationaltheater Mannheim.

Wilder Ritt durch die Geschichte

Es gibt viele Erkenntnisse, die man aus diesem Stück mitnehmen kann: Nicht nur einem Narrativ zu trauen. Selbstermächtigung nicht mit Rache zu verwechseln. Bei Dogmatismus abzuspringen. Auf den Glauben verzichten zu müssen, zwischen Guten und Bösen, Opfern und Tätern ließe sich immer eine eindeutige Linie ziehen.

Der Text von Sivan Ben Yishai bewegt sich durch jüdische, israelische, deutsche und palästinensische Geschichte. Sie selbst wird zur Kunstfigur, die wie ein Mutant verschiedene Identitäten annimmt, Holocaust-Überlebende, über das Meer Flüchtende, nirgendwo Willkommene, Partisanin, Soldatin einer Fliegerstaffel, Beteiligte an der Gründung des Staates Israel, und wieder Flüchtende, diesmal vor einer Stimmung der Paranoia zwischen Hamas-Attentaten und Vergeltungsaktionen. Sie ist dabei nicht nur eine vielfach Gequälte, sondern auch eine, die von der Gewalt nicht mehr loskommt, in ihren Taten und in ihrer Fantasie.

In der Inszenierung von Marie Bues wird die Hauptfigur verkörpert von dem Schauspieler Samuel Koch, der seit einem Unfall mit Querschnittslähmung auf einen Rollstuhl angewiesen ist, sich damit sehr virtuos bewegt und das hier als Stilmittel einsetzt. Er ist, wie auch alle anderen Darsteller, mit einem fleischfarbenen Panzer kostümiert, eine Betonung der Versehrtheit: Sie gleichen einer Armee von Zombies. Und tatsächlich erzählt ja auch der Text von den Toten, die durch die Lebenden weitergeistern, ihnen den Weg vorschreiben, sie nicht aus ihrem klammernden Griff lassen.

Daneben aber hat es Sivan Ben Yishai „als Nationaldichterin“ noch mit zwei sehr lebendigen Kritikern zu tun: Ihren Eltern. Die Autorin spielt selbst ihre Mutter und ihren Vater, – als Projektion zu sehen -, die am Telefon mit ihrer Tochter in Deutschland reden und höchst skeptisch über ihren Stückauftrag sind. „Was wollen diese Leute wirklich von Dir?“ fragt ihre Mutter. Und vermutet: „Sie bezahlen dich, um mit der Kippa auf dem Kopf dein Lamento herunterzubeten, ihren Antisemitismus mit deinem jüdischen Selbsthass zu füttern.“

Die Freiheit des Schreibens

Diese Elterntelefonate sind durchaus komische Szenen. Vor allem aber geben sie dem Stück eine reflexive Klammer, in der deutlich wird, wer alles mitspricht in der vermeintlichen Freiheit des Schreibens.

Text und Inszenierung arbeiten mit vielen Unterbrechungen und Fußnoten. Pause und Neuanfang verlangen die Darstellenden immer wieder, wenn sich die Geschichte wiederholt in eine Sackgasse manövriert hat, aus der herauszukommen nur Gewalt helfen kann. Das wirkt auf die Dauer allerdings auch manieriert. Zudem sind die vielen Anspielungen auf historische Kontexte nicht immer verständlich, was der Rezeption des Stückes leider Abbruch tut.

Noch bis zum 18. Juni sind bei den Theatertagen am Deutschen Theater Berlin weitere Gastspiele zu sehen, unter anderem “Eleos“ von Caren Jeß, „Lärm. Blindes Sehen. Blinde Sehen“ von Elfriede Jelinek, “Eure Paläste sind leer“ von Thomas Köck.

Das Festival ist den Dra­ma­ti­ke­r:in­nen gewidmet. Es soll ihr Fest sein. Da kommt von der Seitenlinie ein kritischer Einwurf. Der Verband der Thea­ter­au­to­r:in­nen (VTheA) hat einen offenen Brief geschrieben: „Faire Bezahlung jetzt!“ Sie fordern, dass die Auftragshonorare steigen müssen, 9.000 Euro für Berufseinsteiger:innen, und eine Honorierung ab 20.000 Euro für Profis. Von dem, was jetzt durchschnittlich bezahlt werde, ist ein Alltag kaum ökonomisch zu sichern, schon gar nicht mit Familie oder mit dem unausweichlichen Prozess des Älterwerdens. Das ist sicherlich auch ein Thema für die Theatertage.

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