Theaterstück „Mission Mars“ in Oldenburg: Menschheit unter Laborbedingungen

In Oldenburg spekuliert die Uraufführung von Björn SC Deigners „Mission Mars“ über die Zukunft der Menschheit – und ihre Fallstricke.

Drei Astronauten auf rotem Gestein auf einer Theaterbühne.

Ob man es sich hier gemütlich machen kann, wenn die Erde endgültig klimaverschrottet worden ist? Foto: Stephan Walzl

OLDENBURG taz | Es braucht noch technischen Fortschritt, damit wir irgendwann auf dem Mars leben können. Noch besser wäre allerdings, wenn wir uns auch emotional und sozial ein bisschen in Form brächten, damit nicht schon die ersten Gehversuche so wie im Oldenburgischen Staatstheater in offenen Wahnsinn umschlagen: Astronautin Alex steht draußen auf Socken vor dem Habitat und harkt den Mars, im Hintergrund jagt Ulf eine imaginäre Ziege über die Bühne, während Kollege Christian mechanisch immer wieder nach dem Hörer des Notfall­telefons schnappt, mit dem sich dieser Spuk hier beenden ließe – wenn denn mal jemand ranginge.

Gänzlich vorbei ist’s jedenfalls mit der geradezu meditativen Ruhe, in der Kevin Barz’ Regie diese „Mission Mars“ anklingen ließ. Über eine Stunde hatten sich die drei in ihren schweren Raumanzügen durch den roten Marssand gewuchtet. Wie in mobile Echokammern gestopft sind diese aufgeplusterten Astronaut*innen über die Oldenburger Bühne gestapft, haben hinter ihren von innen beleuchteten Helmvisieren nur über Funk gesprochen – und das dann meistens mit sich selbst: hübsch poetische Monologe über das Leben, über Einsamkeit und Kuriositäten der Raumfahrt- und Wissenschaftsgeschichte.

Geschrieben hat Björn SC Deigner diesen Text am Delmenhorster Hanse-Wissenschaftskolleg. Dort war er „Writer in Residence“ und konnte sein Weltraum-Stück im Austausch mit Naturwissenschaftler*in­nen ver­schiedener Fachrichtungen entwickeln. Die hier heruntergeratterten Fakten (über Temperatur, Druck, Atmosphäre, Beschaffenheit, Terraforming, Trallala) sind spannend, letztlich aber doch eine Nebensache.

Sehr viel fordernder ist Deigners Frage, was das eigentlich soll mit diesen Marskolonien. Warum die Menschheit immer nach vorn prescht, statt hinter sich aufzuräumen? Was es bedeutet, einen klimaverschrotteten Planeten zu verlassen und es sich auf dem nächsten gemütlich zu machen. Vor allem aber: Was treibt eigentlich diese Menschen an, die sowas tatsächlich machen?

„Mission Mars“: am 28. und 31. 3., jeweils 20 Uhr, Oldenburgisches Staatstheater, Exerzierhalle

Dass die Antwort von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ausfällt, macht die Inszenierung auf subtile Weise begreiflich, während die Charaktere immer weiter aus ihren klobigen Anzügen geschält werden. Als Missionsleiterin Alex schreitet Franziska Werner bereits auf der Außenmission eilig voran und ist oft schon wieder von der Bühne, wenn die anderen nachkommen.

Das schreibt sich so fort, wenn sie dann später übergriffig am Hautausschlag des einen Kollegen herumfummelt, oder dem anderen das Ende seines Krimis verrät, weil sie es nicht aushält, ihm beim stundenlangen Lesen zuzugucken. Daneben demütig Matthias Kleinert als Astronaut Ulf aus Gladbach, über den der Dritte im Bunde einmal sagt: „Ich glaube, er fühlt sich wie das dritte Rad am Wagen. Und das Schlimme ist, es stimmt.“ Das war Fabian Kulp als Christian, dem es hier vor allem ums Geld geht.

Anika Wieners Bühne ist vorn ein klar begrenzter Sandkasten, gefüllt mit roten Krümeln: Pflanzgranulat oder irgendwelche Hülsenfrüchte und ein paar Felsen. Dahinter stehen zwei Leinwände, auf denen versetzt gedoppelte Marslandschaften aufleuchten oder Videoprojektionen von Darsteller*innen aus dem Off. Hier tritt auch Tobias Schormann als unangenehm smarter Typ von der Bodenkon­trolle auf, der sich mit Anweisungen und Witzchen zu Wort meldet („Kennt ihr schon das neue Restaurant auf dem Mars? Gutes Essen, aber keine Atmosphäre.“). Eine herrlich unaufrichtige Lockerheit, die angesichts des sich anbahnenden Lagerkollers zunehmend zynischer klingt.

In ihrer Stringenz und Dichte fordert diese Inszenierung tatsächlich viel vom Schauspiel. Und das geht erfreulicherweise ziemlich gut. Ganz besonders Franziska Werner wechselt trittsicher zwischen der Sondierung eigener Verletzbarkeit und den Übergriffen auf die Kollegen.

„Mission Mars“ seziert die Menschheit unter Laborbedingungen. Das ist eine existenzialistische Übung, die es dazu noch fertigbringt, sich selbst zu erklären: Alex räsoniert darüber, wie sie Wetter, Landschaft und überhaupt den Mars allein durch Messgeräte und Schutzausrüstung wahrnimmt. Und dieser Moment, nach etwas zu greifen und doch immer wieder nur ins Innere der eigenen Handschuhe zu fassen – das ist eine Erfahrung, die wir früher oder später alle machen. Auch ohne Raumschiff.

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