Leben auf dem Mars: Haribos gegen den Lagerkoller

In Bremen hat Geophysikerin Christiane Heinicke ein Modell für ein Habitat gebaut, das Leben und Arbeiten auf dem Mars ermöglichen soll.

Raketenmodule halb unter einer Betonkuppel, davor weißes Hügelchen

Computeranimierte Marsbasis: So könnte das Habitat mal aussehen Foto: Space Is More

BREMEN taz | Der Vinylboden unterhalb des „Habitats“ zeigt den rostfarbenen Marsboden samt Geröll. An den Seiten sind Leinwände mit Mars-Panorama und Sternenhimmel angebracht. Schnell wird deutlich: In dieser Halle des Bremer Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie (ZARM) ist man eigentlich ganz weit weg.

Im Mittelpunkt der bebilderten Marslandschaft steht das massive „Habitat“: ein sechs Meter hohes, silbernes Modell ohne Fenster, das so aussieht wie Tic-Tac-Lutschdragees in Groß. So oder so ähnlich könnte der Bau aussehen, der das Leben über Monate und auch Jahre auf einem anderen Planeten ermöglichen soll.

„Erst Mond, dann Mars“, die Augen des Ingenieurs Marcus Stadtlander leuchten aufgeregt, wenn er über das Vorhaben spricht. Sechs Module sollen einmal gebaut werden: zum Schlafen, Kochen, Entspannen und vor allem zum Arbeiten. Miteinander verbunden ergeben die verschiedenen Module dann das „Habitat“.

In Bremen steht das Modell des Labor-Moduls. Eine kleine Treppe führt in das Innere, wo es aussieht wie in einem Science-Fiction-Film: Metallische Schränke an der Wand, Mikroskope und ein Handschuhkasten. Eine steile Treppe führt in eine zweite Etage, herunter geht es per Rutschstange, wie bei der Feuerwehr. Marvin, ein Mini-Roboter, ist die künstliche Intelligenz im Habitat. Er soll eines Tages als Allwissender mit auf Mission gehen und alle offenen Fragen der Crew beantworten. Marvin kann aber auch Musik spielen, klar.

Wichtig ist die Gruppendynamik

Wie wichtig alltägliche Dinge wie Musik und Filme in der kompletten Isolation des Alls sein können, weiß Christiane Heinicke. Die Geophysikerin ist die Initiatorin des „Habitat“-Projekts und hat die Erde schon einmal für ein Jahr verlassen – fast zumindest: Als erste Deutsche nahm sie am Nasa-Projekt „HI-SEAS“ teil.

Gemeinsam mit fünf anderen WissenschaftlerInnen verbrachte Heinicke ein Jahr in einem vergleichbaren Habitat auf 2.500 Metern Höhe auf dem hawaiianischen Vulkan Mauna Loa, der in diesem Fall den Mars simulieren sollte. Ihr Habitat durften sie nur im Raumanzug für angekündigte Missionen verlassen, das Wasser war knapp, alle frischen Nahrungsmittel waren gefriergetrocknet (staubtrocken) und die Kommunikation zur „Erde“ nur eingeschränkt möglich.

Dieses Nasa-Experiment diente vor allem psychologischen Forschungszwecken: Was macht es mit Menschen, wenn sie ein Jahr lang auf engstem Raum abseits von anderem Leben eingesperrt werden? Die Frage ist, natürlich, nicht einheitlich zu beantworten.

Für Heinicke ist nach diesem Jahr aber klar, dass die Dynamik unter den Crew-Mitglieder ausschlaggebend ist für eine erfolgreiche Mission: „Bei Streit und Uneinigkeiten muss man sich immer wieder daran erinnern, dass man ein gemeinsames Ziel und die gleiche Motivation hat. Damit lässt sich vieles klären.“

Sehr wichtig sei auch, dass man die Launen der anderen akzeptiert und jedem die Möglichkeit des Rückzugs gibt, „soweit man auf dem engen Raum überhaupt davon sprechen kann“.

Gegen Depressionen und Heimweh hätten die WissenschaftlerInnen den Einsatz von Virtual-Reality-Brillen getestet, zu sehen war der Lieblingsstrand oder die Heimatstadt. „Das macht im ersten Moment vielleicht glücklich, aber es ist auch sehr frustrierend, weil es am Ende doch auch zeigt, was man gerade verpasst.“ Ein paar Haribo-Tüten hatten die WissenschaftlerInnen dabei, die hätten laut Heinicke immer sofort einen positiven Effekt gezeigt.

Christiane Heinicke hat das Nasa-Projekt vor allem auch für ihre eigene Forschung und ihre Pläne für das Habitat genutzt. Etwas, was ihr nach dem Jahr in der Isolation Kopfschmerzen bereitet: Wasser. Die Frage, wie man eine kleine Gruppe von Menschen über ein Jahr auf dem Mond oder Mars mit Wasser für Nahrung, Hygiene und Forschung versorgt, bleibt bisher ungeklärt.

Was macht es mit Menschen, wenn sie ein Jahr lang auf engstem Raum abseits von anderem Leben eingesperrt werden?

Beteiligte WissenschaftlerInnen wollen eine Filteranlage entwickeln, die nicht nur Abflusswasser wieder sauber bekommt, sondern auch Wasser, das beispielsweise mit toxischem Mondstaub kontaminiert ist. Dass diese Filteranlage beim Stichwort Wasserknappheit auch für irdische Zweck von Belang sein könnte, ist für Ingenieur Stadtlander ein Argument mehr, das Projekt zu unterstützen. Die Raumfahrt sei immer auch von Nutzen für die „irdische“ Wissenschaft. „Das erkläre ich auch immer Leuten, wenn sie fragen: ‚Wieso das Ganze?‘“, sagt er.

Zurzeit wird das Habitat-Projekt mit rund 380.000 Euro von der Klaus Tschira Stiftung finanziert. Wann und wie das Habitat tatsächlich mal auf dem Mond oder Mars landen soll, ist bisher noch unklar. Kooperationen mit der Nasa beispielsweise seien wegen der aktuellen Regierung schwierig, sagt Stadtlander sagt. Unter Trump ist für 2024 eine neue, rein amerikanische, Mondmission geplant.

„In der Community fragt man sich, ob das wirklich sein muss“, sagt Stadtlander, da die Mission namens Artemis keine neuen Erkenntnisse bringe. Und: „Wenn da was passiert, jemand verunglückt und das in die Öffentlichkeit kommt, ist auch unser Projekt erst mal auf Eis gelegt, dann können wir das nicht mehr rechtfertigen.“

Aber für den Fall, dass ihr Projekt in die Tat umgesetzt wird, will Heinicke als Astronautin mitfliegen. Ingenieur Stadtlander zögert: „Mond auf jeden Fall, Mars bin ich mir nicht sicher.“ Heinicke lacht: „Das ist dann doch ein bisschen länger.“ Ein kleines bisschen.

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