Theater über Rechtsextremismus: Nazis in Schwarz-Weiß
Das Hamburger Ernst-Deutsch-Theater positioniert sich mit „Weißer Raum“ gegen Rassismus. Aber die Geschichte bleibt viel zu holzschnittartig.
Da niemand auf der Bühne dagegen argumentiert, müssen die Zuschauer sich selbst dazu verhalten. Das Ernst-Deutsch-Theater beweist mit seiner jüngsten Produktion, Lars Werners mit dem Kleist-Förderpreis ausgezeichneten Stück „Weißer Raum“, wie unbedingt das Haus im Schatten der Mundsburg-Türme im Scheinwerferlicht zeitgenössischer Diskurse stehen möchte. Es ist ja längst keine Oase mehr für Opas Theater – die Bühne auch allabendlich zum Nachdenken leer geräumt von naturalistischem Schnickschnack, abstrakt designt und apart ausgeleuchtet.
Inszenatorisch und schauspielerisch fehlt dem künstlerischen Leitungsteam noch der Befreiungsschlag, da wird eher klassisch moderne Betulichkeit gepflegt – mit psychorealistisch und linear erzählten Geschichten von Problem-Prototypen. Handwerklich soll das überzeugen und Haltung beweisen: „Gegen Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung, für Toleranz, Vielfalt und Respekt“. Intendantin Isabella Vértes-Schütter notiert im Spielzeitheft all die Worte, die wohl von den meisten Theatergängern sofort unterschrieben würden.
Pressesprecher Friedrich Carl behauptet, die 78-prozentige Auslastung der Spielzeit 2017/18 sei auch in der folgenden Saison nicht unterboten worden. In dieser Saison widmet sich Haye van der Heyden mit „Irrwege“ einer Ehe in Zeichen von Demenz, in „Träum weiter“ lässt Nesrin Şamdereli eine gescheiterte griechisch-türkisch-deutsche Familie nach Identität suchen. Deutlich weiter soll „Weißer Raum“ gehen. Ein „starkes Stück gegen rechts“ ist angekündigt. Was einerseits die moralische Stoßrichtung des Hauses meint. Aber ist es auch ein künstlerisch starker Abend?
Netter Verlierertyp
Ein weißes Teppichgeviert fläzt sich aus dem Parkett quer durch den Spielraum in den Schnürboden, soll kontrastierend Unter- und Hintergrund des politischen Lehrstücks sein. Darüber tupft ein Schlagzeuger atmosphärische Klänge, nur einmal wird er laut und schüttelt wild mit einer Metallkette herum beim Anschlag des rechten Mobs auf einen vermeintlichen Verräter.
Initiiert hat die Tat der oben beschriebene Patrick. Weil er zweimal „so einen Araber ein bisschen fertig gemacht hat“, sitzt er nun im Knast. Vater Uli drömelt derweil durch einen öden Security-Job. Bis er einen Vergewaltigungsversuch beobachtet – und den aus Marokko stammenden Täter zu Tode prügelt. Anschließend gilt Uli nicht als Verbrecher, sondern als Held. Etwas plump, aber immerhin ist so angedeutet, wie Gewalt geflüchteter und migrierter Männer zur Stimmungsmache für rechte Propaganda instrumentalisiert wird.
Das Opfer, die chronisch aufrechte Journalistin Marie, will aber kein Opfer, sondern auch Täterin sein und recherchiert, warum Uli ihr wohl geholfen hat. Schnell wird klar, er verlor bereits eine Anstellung als Pförtner, weil er „einen frechen Schoki geohrfeigt hat“, wie Patrick sagt. War seine Attacke auf den Vergewaltiger also weder Unfall noch Notwehr, sondern befriedigende Rache für die Degradierung? Mord?
Der weiße Raum wird gefüllt
Die Stimmung wandelt sich, der weiße Raum wird gefüllt mit Anti-Nazi-Sprüchen, Uli verliert erneut seinen Job. „Arbeitslos wegen eines notgeilen Afrikaners“, kommentiert Patrick. So sieht es dann bald auch sein Vater und lässt sich zur Identifikationsfigur der „Bewegung“ seines Sohnes stilisieren, mit der sein Gefängnisaufseher konspiriert, auch eine Pastorin sympathisiert – bis sie auch vom Verfassungsschutz per V-Mann-Geld alimentiert wird.
Autor Lars Werner behauptet die während der NSU-Ermittlungen stets geleugneten rechten Netzwerke, die sich in alle Ebenen der Gesellschaft verzweigen und die es „ohne die Unterstützung der Verfassungsbehörden“ nicht gegeben hätte, wie es im Plädoyer von Opferanwalt Mehmet Daimagüller im Münchner Prozess gegen Beate Zschäpe hieß. Eine ungemütliche und nicht so schnell wegzudiskutierende These. Nur leider wird sie so pamphletisch in Szene gesetzt, wie auch die Logik behauptet, mit der Uli sich vom ausgegrenzten Minderverdiener zum ernst genommenen Ausländerhasser entwickelt.
Sa, 12. 10., 19.30 Uhr, Ernst-Deutsch-Theater; Termine bis 9. 11.; Podiumsdiskussion mit Lars Werner und der Historikerin Cordelia Heß: Di, 22. 10., nach der Vorstellung
Fiese Pfiffigkeit
Das soll mit fieser Pfiffigkeit auf der Bühne funktionieren: Uli ist ein zum Mitfühlen einladender, kleinmütig netter Verlierertyp mit stark angeknackstem Selbstwertgefühl und Jedermannsnaivität. Wer ihm empathisch zuschaut, der akzeptiert vielleicht auch nebenbei seine Rhetorik der Xenophobie, wie er Ängste schürt mit Schlagworten und Herabwürdigung hoffähig macht – mit der eigenen möglichen Empfänglichkeit dafür konfrontiert „Weißer Raum“ die Zuschauer.
Beispielhaft kommt dabei Marie zu Wort, die ehrlich genug ist festzustellen, „irgendwie wollte ich auch, dass er weitermacht“ – damit meint sie Ulis tödliche Aggression gegen ihren Angreifer. Dabei verweist das Stück auf Mechanismen, mit deren fremdenfeindlicher Agitation derzeit Sympathien gewonnen werden.
Aber Regisseur Hartmut Uhlemanns setzt auf das Holzschnittartige der Figuren, Dialoge und Narration, sodass die szenische Ausarbeitung des Stoffes eben nicht aufreizend ambivalent, sondern arg klischeehaft daherkommt.
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