"The North Face"-Näherinnen in El Salvador: "Kaum jemand wehrt sich"
Die Näherinnen von Outdoor-Textilien der Marke "The North Face" in El Salvador können von ihrem Lohn allein nicht leben, sagt Gewerkschafterin Jeaneth Pineda.
taz: Frau Pineda, als Gewerkschafterin haben Sie die Arbeitsbedingungen in einer Fabrik in El Salvador dokumentiert, die für die Marke "The North Face" Outdoor-Textilien fertigt. Können die ArbeiterInnen dort von den Löhnen leben?
Jeaneth Pineda: Nein, für eine Familie mit zwei Kindern reicht das Geld nicht aus. Die Bezahlung liegt nur auf der Höhe des staatlich festgesetzten Mindestlohns. Dieser beträgt umgerechnet 174 Dollar pro Monat, wovon drei Prozent Krankenversicherung und 6,2 Prozent für Rente abgezogen werden.
Welche durchschnittlichen Lebenshaltungskosten stehen dem Einkommen denn gegenüber?
JEANETH PINEDA, 36, arbeitet in der Textilindustrie El Salvadors. Als Gewerkschafterin hat sie die Arbeitsbedingungen dokumentiert.
Löhne, die nicht zum Leben ausreichen, überlange, oft erzwungene Überstunden und Verbot von Gewerkschaftstätigkeit - so sehen oft die Bedingungen in Zulieferbetrieben weltbekannter Outdoor-Marken wie "The North Face" (USA) aus. Die Zustände in der Fabrik Brooklyn Manufacturing Ltd. dokumentiert die Christliche Initiative Romero. Die Käufer scheint das nicht zu stören, obwohl sie sich selbst als politisch bewusst und oftmals grün-nah einordnen. Die Umsätze beispielsweise von "The North Face "steigen rasant. Trotzdem verweigert die Firma die Mitgliedschaft in der Fair Wear Foundation, die die Arbeitsstandards kontrolliert. (koch)
Die Miete für ein Haus kostet beispielsweise 64 Dollar monatlich. Hinzu kommen zwölf Dollar für Strom, 36 für das Schulessen der Kinder und etwa 60 Dollar für die öffentlichen Busse. Damit ist der Lohn fast aufgebraucht - aber die Erwachsenen selbst haben noch nichts gegessen. Im Gegensatz zu den Versprechen der Firmen ist die Existenz vieler Arbeiterinnen durch die niedrigen Mindestlöhne nicht gesichert.
Wie kommen die Beschäftigten dann über die Runden?
Indem sie Nebenjobs machen. Nach der Fabrikarbeit gehen die Frauen ins Restaurant, wo sie als Kellnerinnen arbeiten. Oder sie verkaufen am Wochenende Altkleider auf der Straße. Sie schuften quasi den ganzen Tag.
Können die ArbeiterInnen mehr verdienen, wenn sie in der Textilfabrik Überstunden leisten?
Ja, es gibt bezahlte Überstunden, die den Lohn aufbessern. Manche Überstunden werden aber auch nicht honoriert.
Wieso wird diese Zusatzarbeit denn nicht vom Arbeitgeber entlohnt?
Das Unternehmen Brooklyn in der Freihandelszone von San Marcos, das wir untersucht haben, lässt die ArbeiterInnen unterschreiben, dass sie an bestimmten Tagen bezahlte Überstunden leisten. Außerdem kommen die meisten Beschäftigten aber fast jeden Morgen eine Stunde früher zur Arbeit, damit sie das Tagessoll der Produktion schaffen. Dieses ist nämlich so hoch angesetzt, dass es ohne die zusätzliche Arbeitsstunde kaum zu bewältigen ist. Aber die Extrastunde morgens bezahlt das Unternehmen nicht.
Die Beschäftigten leisten also regelmäßig fünf unbezahlte Überstunden pro Woche, 20 im Monat?
So ist es. Obwohl sie kein Geld dafür erhalten, fangen die meisten um sechs Uhr morgens an, statt erst zum normalen Arbeitsbeginn um sieben. Aber kaum jemand wehrt sich - aus Angst, die Arbeit zu verlieren.
Versuchen sich die ArbeiterInnen zu organisieren, um gegen diese Zustände vorzugehen?
Nein. Das Unternehmen will auch keine Gewerkschaft. Es erklärt, die gesetzlichen Bestimmungen und Verträge würden eingehalten. Deshalb sei eine Vertretung der Beschäftigten überflüssig. Um die ArbeiterInnen bei Laune zu halten, macht die Firma ihnen allerdings freiwillige Zugeständnisse. So gibt es einen Fabrikladen, in dem man billige Lebensmittel kaufen kann, einen Kindergarten und Geschenkkörbe zu Weihnachten.
Könnten die europäischen Konsumenten etwas tun, um die NäherInnen in El Salvador und anderswo zu unterstützen?
Auch in Deutschland können die Menschen darauf drängen, dass die Firmen der Outdoor-Branche die Arbeitsstandards anheben. Außerdem sollten alle Firmen Mitglied einer glaubwürdigen Initiative werden, die die Bedingungen in den Zulieferfirmen effektiv kontrolliert. Mammut, Odlo und Jack Wolfskin sind einer solchen bereits beigetreten. Um Druck auszuüben, können die Konsumenten zum Beispiel kritische Briefe an die Unternehmen schreiben.
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