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The Cambridge Habermas LexiconEin ganz besonderes Geschenk

Kurz vor dem 90. Geburtstag des großen Sozialphilosophen ist ein Habermas-Lexikon erschienen. Es reicht von „Ästhetik“ bis „Welterschließung“.

Fast 90 und geistig topfit: Jürgen Habermas Foto: dpa

Kurz vor seinem 90. Geburtstag am 18. Juni wurde Jürgen Habermas im „Forschungskolleg Humanwissenschaften“ in Bad Homburg das 809 Seiten starke „Cambridge Habermas Lexicon“ überreicht. Es enthält 122 Stichwörter von „Ästhetik“ bis „Welterschließung“ sowie 83 Artikel über Personen, deren Werk für Habermas Denken von prägender Bedeutung waren. Die Liste reicht von Theodor W. Adorno, Karl-Otto Apel und Ernst Bloch über Dieter Henrich und Michael Theunissen zu Albrecht Wellmer, umfasst aber auch „Klassiker“ von Kant, Hegel und Marx über Jaspers und Kierke­gaard bis zu Nietzsche und Hannah Arendt sowie zeitgenössische Wissenschaftler verschiedener Disziplinen.

Die Philosophin Amy Allen und ihr Kollege Eduardo Mendieta achteten als Herausgeber des Lexikons bei der Auswahl der über hundert Autorinnen und Autoren des Lexikons auf deren Kompatibilität mit den maßgeblichen Zügen im intellektuellen Profil des weltweit anerkannten Philosophen Jürgen Habermas. Die Mehrheit der Autorinnen und Autoren des Lexikons kommt nicht aus Deutschland, und viele unter ihnen sind junge Wissenschaftler aus verschiedenen Fachdisziplinen (Philosophie, Jurisprudenz, Geschichte, Psychologie, Theologie und Politikwissenschaft). Sie bürgen – wie Habermas selbst – für Interdisziplinarität und Zeitgenossenschaft sowie dafür, dass Habermas’ Werk und dessen Bedeutung künftigen Generationen von Studierenden und Lehrenden zugänglich bleibt.

Die einzelnen Artikel des Lexikons versuchen Schlüsselkonzepte und Begriffe – „frei von Jargon, klar und verständlich“ (Amy Allen, Eduardo Mendieta) – zu erklären und deren Ort und Funktion im Denken von Jürgen Habermas zu bestimmen. Die Artikel sind sehr kompakt und umfassen zwischen zwei und höchstens sieben Seiten. Die Durchsicht einiger Artikel belegt schnell, dass die Verdichtung alles andere als eine einfache Operation ist.

Im Kern geht es darum, dass die Lexikonautoren Habermas’ lebenslange Arbeit, methodische Ansätze unterschiedlicher Herkunft und Reichweite sowie komplexe Grundbegriffe und Konzepte aus verschiedenen sozialwissenschaftlichen Fachdisziplinen in theoriearchitektonischer Absicht zusammenzufügen beziehungsweise zu verweben und gleichsam zu konterkarieren, indem sie das Resultat dieser Arbeit – das filigrane Gewebe aus zahlreichen Fäden – Faden für Faden wieder auftrennen und in 205 Einzelartikeln präsentieren.

Riesiger intellektueller Horizont

Wie bei jedem Lexikon lässt sich über die Auswahl der Sachbegriffe und Personen streiten. Insgesamt ist die Auswahl gelungen, auch wenn es schwerfällt zu verstehen, warum Michael Hardt und Antonio Negri zu den Personen gehören sollen, „die wichtig sind für Habermas’ intellektuelle Entwicklung, Arbeit und/oder Rezeption“.

Das Lexikon verzeichnet zu Recht Personen, deren Bedeutung für Habermas oft unterschätzt oder verdrängt wird. Dazu gehören etwa der Soziologe Arnold Gehlen, die Philosophen Helmuth Plessner und Karl Löwith sowie der Verhaltensforscher Michael Tomasello. Auf jeden Fall zeigen die Porträts von Wissenschaftlern aus sehr vielen Disziplinen den riesigen intellektuellen Horizont des vitalen 90-jährigen Gelehrten, der sich ohne Manuskript in einer launigen Rede bedankte und offensichtlich freute.

Hilary Gaskin vom Verlag Cambridge University Press, in dem das Lexikon erscheint, betonte, dass Habermas der erste Philosoph in der langen List der Philosophen-Lexika des Verlags von Descartes bis Wittgenstein ist, der zu Lebzeiten mit einem Lexikon geehrt wird. Verlag und Veranstalter gaben der Präsentation des Lexikons den Titel „Book Launch“, was Habermas damit quittierte, noch nie einem Stapellauf – womit „launch“ auch übersetzt werden kann – ohne Wasser, ohne Schiff und ohne Bücher beigewohnt zu haben.

Das Buch

Amy Allen, Eduardo Mendieta (Ed.): „The Cambridge Habermas Lexicon“. Cambridge University Press 2019, 809 Seiten, 125 US-Dollar

Der Philosoph Rainer Forst wies darauf hin, dass Habermas weltweit in alle geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen hineingewirkt habe und nicht nur die Welt der großen Philosophie, sondern auch die Welt der Kritik des 20. Jahrhunderts in einzigartiger Weise geprägt habe.

Habermas bedankte sich für das Geschenk und versprach, gleich auf der Rückreise nach Starnberg mit der wohlwollenden Lektüre des Lexikons zu beginnen. Zum Schluss fragte sich Habermas, was wohl ­Adorno von einem „Adorno-Lexikon“ gehalten hätte. Man kann das nicht wissen, aber die Vermutung liegt nahe, dass er einem totalisierenden Verfahren gegenüber ebenso skeptisch gewesen wäre wie gegenüber Hegels „System“ – der großen Enzyklopädie –, das er verdächtigte, sich „dem abstrakten Primat des Ganzen“ auszuliefern.

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9 Kommentare

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  • Gute Idee, mal wieder Luhmann lesen.

    • @Heide Gehr:

      Gute Idee & bitte dann:

      Aber achteran



      Feg zusamm - die Eiskristalle



      Rieselnd von der Wand - & gern alle.

      unterm—-empfehl als antidot -



      de.wikipedia.org/wiki/Karl_W._Deutsch



      (Temporierte einst melatenblond MbgL



      Audimax - gefühlt drei Stunden ~ 68



      Unvergessen - Wie er die Menschen! 😈

  • Ach was! Schnackeldidackel - Haber’amus - habeo was verpaßt^¿* 🎭

    “Schon der unbekannte Philosophiestudent wagte die Konfrontation mit dem Meisterdenker seines Fachs, indem er 1953 Martin Heidegger öffentlich vorwarf, sein Engagement für den Nationalsozialismus im Lichte der dann eingetretenen Katastrophe nach dem Krieg mit Schweigen übergangen zu haben – ein im konservativen Geistesklima der frühen Bundesrepublik ziemlich singulärer Vorgang, der Habermas durchaus die Karriere hätte kosten können.

    * Ah ja! Doch. Doch & mit Verlaub -



    “…Bei Theodor W. Adorno und Wolfgang Abendroth** gewann Habermas das philosophische und politikwissenschaftliche Rüstzeug, mit dem er sich rasch einen Platz in der akademischen Welt eroberte. Seine 1962 erschienene Habilitationsschrift über den Stukturwandel der Öffentlichkeit avancierte alsbald zu einem vieldiskutierten Buch. Als anfänglicher Mentor der studentischen Protestbewegung von 1968 geriet Habermas ebenso in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit wie auch durch seine dann folgende Distanzierung, als er den rebellierenden Studenten Aktionismus und eine illusionäre Verkennung der Situation vorhielt, gipfelnd im Vorwurf eines „linken Faschismus“.…“ -



    www.deutschlandfun...:article_id=130473

    * Wolfgang Abendroth - & Däh! Fehlstelle?

    & Btw not only - Hans Blumenberg - too?

    Rätselhaft - ff & Rest

    • @Lowandorder:

      ff & Rest

      ** Wolfgang Abendroth -de.wikipedia.org/w...Wolfgang_Abendroth



      &



      unterm—Ol Cato dazu ceterum censeo



      “gestern, 07:28



      [RE]: Teddy - hat auch seinen Assi Jürgen Habermas - auch auf Druck von Horkie auf die Straße gesetzt. Weil der Heideggers Martel - zu recht - öffentlich angepißt hatte. Habil bei Wolfgang Abendroth.



      kurz - Gut doch - daß er bei sojet nicht das Maß aller Dinge ist.

      unterm—-empfehle

      Streichholzbriefe von Umberto Eco ~~~

      Die besten Gedanken hat man auf dem Scheißhaus.“

      & have a look at & Däh! Rudolf Walther



      www.taz.de/!5601004/

      “Adorno-Vorlesung in Frankfurt



      Kritik begründen



      Vor 50 Jahren starb Adorno. Anlässlich seines Todestags geht es in Frankfurt um den Einfluss des Philosophen auf die heutige Geisteswissenschaft.“

      Ha no. Paschd scho & freu mich aufs Nachblättern 😈

      kurz - Frag nur mal - & not by the way:



      Wie verschwiemelt ist das oben angesichts dessen denn doch?! Gelle.

      &! nochens -



      Wer Jürgen Habermas zuzuhören weiß



      Hat dazu keinerlei Anlaß •



      Nö. Normal nich.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Lowandorder:

        Bekanntermaßen war (ist?) das mit dem Zuhören von/ bei Habermas so eine Sache.

        Vielleicht trage ich Eulen nach Athen (aber auch das würde mir nichts ausmachen), wenn ich an dieser Stelle mal auf

        * Heinrich ("Heini") Brinkmann

        hinweise. "Heini" B., ein Bestandteil des Gießener Stadtbildes seit vielen Jahrzehnten hat wie Habermas eine Lippen-Gaumen-Fehlbildung (im Volksmund: Hasenscharte). Er selbst korrigierte die medizinische Bezeichnung Sprachfehler mit ... exakt ... Sprechfehler. Mit diesen Feinheiten waren und sind Mediziner häufig überfordert.

        Näheres:

        www.giessener-anze...heinrich-brinkmann ...

        Von einem ersten öffentlichen Aufeinandertreffen der beiden Männer gibt es übrigens eine nette Anekdote ...

        • @76530 (Profil gelöscht):

          Das ergänz ich - fürs von ehna angezogene - Zuhören - gerne:



          Länger her - ein WDR-Journalist(?) - hatte ein Interview mit ihm vor der Brust! & hatte sein Sony professionell am Start! & klar - Check it out & Sprechprobe - ala “Wuschepusch“👺 *



          & Klar



          “Guten Tag Herr …& Däh! = Taste false Wiedergabe!&einHecht Down Wisch😈

          (unterm—-* Apo theken Witz - 🎭

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @76530 (Profil gelöscht):

          Sehe gerade, dass der Link nicht funzt. Vielleicht geht es auf Umwegen über den Gießener Anzeiger. Sorry.

          Ich faxe denen gleich eine Briefbombe! ^^