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Texte von Thomas Brasch im Gorki Berlin„Etwas, das zu mir gehört“

Mit ‚It’s Britney, bitch!‘ emanzipierte sich Lena Brasch von ihrer Familiengeschichte. Im Maxim Gorki Berlin inszeniert sie nun Texte ihres Onkels.

Porträt von Regisseurin Lena Brasch im Maxim Gorki Theater – Im Studio Я, wo auch ihr Stück im Februar läuft Foto: Anna Tiessen

Jetzt also doch Thomas Brasch. Eigentlich hatte die Regisseurin Lena Brasch in ihren ersten drei Repertoire-Inszenierungen einen Umweg um ihren berühmten Onkel gemacht, sich lieber mit Frauen in Pop und Fußball beschäftigt oder fürs Fernsehen Literatursendungen konzipiert. Aber jetzt, glaubt die 32-Jährige, drücken seine Texte genau „dieses Lebensgefühl“ aus: „Wir stehen kurz vorm Krieg, die Faschisten sind sooo nah dran, wie geht man damit um?“

Am 19. Februar wäre der Autor, Filmemacher und Shakespeare-Übersetzer Thomas Brasch 80 Jahre alt geworden; zwei Tage später wird am Maxim Gorki Theater „Brasch –Das Alte geht nicht und das Neue auch nicht“ in der Regie seiner Nichte Premiere feiern.

Im sagenhaft ungemütlichen Brinkmann-Zimmer am Gorki strahlt Brasch große Offenheit aus und erzählt eloquent und ungeschützt drauflos, wie sie sich schon als Kleinkind selbst Lesen und Schreiben beigebracht und die erste Schulklasse übersprungen hat: „Weil ich kleiner und jünger war als die anderen, hatte ich das Gefühl, das durch meine sprachliche Kompetenz ausgleichen zu müssen.“

Vererbte Sprachbegabung

Die Sprachbegabung, schriftlich wie mündlich, wurde der 1993 in Berlin-Pankow Geborenen nicht nur von ihrer Mutter, der Autorin und Journalistin Marion Brasch in die Wiege gelegt, sondern auch vom Vater, dem Radiomoderator und Theaterregisseur Jürgen ­Kuttner, der berühmt dafür ist, die Welt in einem Satz erklären zu können, auch wenn der zwanzig Minuten dauert.

Klar, die Familie, in der sich die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts spiegelt, hat ihr viele Türen geöffnet; oft war es trotzdem nicht leicht, auch hindurchzugehen. Gab es Erwartungsdruck? „Früher war’s ’ne Belastung, weil ich immer dachte: ‚Ich muss‘“, sagt Lena Brasch. „Aber ich kann’s mir ja aussuchen.“

Seine Texte können diesem Land helfen, Verständnis füreinander zu entwickeln

Noch als Schülerin hospitiert sie 2010 bei Vater Kuttner, der mit Tom Kühnel am Deutschen Theater Peter Hacks’ „Die Sorgen und die Macht“ inszeniert, und merkt, dass nicht Schauspiel, sondern Regie sie interessiert. Nach dem Abitur assistiert sie festangestellt am Deutschen Theater Re­gis­seu­r:in­nen wie Sebastian Hartmann, Stephan Kimmig, Jan Bosse und Jette Steckel.

Sie lernt viel, auch, „wie ich’s nicht machen möchte“: „Es gibt einfach Umgangsformen und Hier­archien am Theater, die mir fremd sind. Gerade als Regieassistentin habe ich gemerkt, dass man dafür sorgen muss, dass es allen gut geht, dann ist man am kreativsten.“

Siebentägige Hundert-Stunden-Wochen

Der damals mit 1.200 Euro noch irrsinnig schlecht bezahlte Job bedeutet während der Endproben oft siebentägige Hundert-Stunden-Wochen: „Teilweise hab ich im Thea­ter geschlafen und mir von der Requisite ’ne Zahnbürste geben lassen. Das war hart, aber ich hab’s auch geliebt.“ Brasch hält vier Jahre durch, also etwa so lang, wie ein Regiestudium gedauert hätte.

Learning by doing, glaubt sie, war für sie die bessere Wahl. Doch dann bietet Intendant Ulrich Khuon ihr eine Abschlussinszenierung an, und „ich dachte auf einmal, ich weiß gar nicht, was ich zu erzählen habe. Ich spürte keine Dringlichkeit. Mein Onkel hat immer gesagt: ‚Kunst kommt von nicht anders können‘, und ich konnte damals anders.“

Stattdessen wird in der Literaturagentur von Matthias Landwehr aus einem Volontariat schnell ein Job. „Ich war eine extrem faule Agentin“, findet Lena Brasch, „aber Matthias Landwehr, wahrscheinlich der Mentor meines Lebens, hat trotzdem an mich geglaubt.“

Weil Schreibtischarbeit nicht ihr Ding ist, schickt er sie raus in die Welt und ins Nachtleben, um Leute zu treffen und Geschichten zu sammeln. Bei einem Rap-Konzert lernt sie Hendrik Bolz kennen, der damals schon über seine Erfahrungen in den Baseballschlägerjahren in Stralsund schreibt, und vermittelt ihn an Kiepenheuer & Witsch, wo sein Debüt „Nullerjahre“ erscheint.

Britney Spears, Tragödin der Gegenwart

Dann fragt ihre Freundin Sina Martens, Schauspielerin am Berliner Ensemble, ob sie nicht die Regie für einen Solo-Abend mit ihr im Werkraum übernehmen will. Begeistert nehmen sie Intendant Oliver Reeses Idee auf, Britney Spears als Tragödin der Gegenwart zu betrachten, und stürzen sich in die Recherche: „Wir wussten sofort, wir müssen Britney auf Moll drehen. Das ganze funkelnde, weichgespülte, rosa Pop- und Barbieding weglassen!“

Dem Problem, dass Britney auch im Theater vom Publikum konsumiert wird, begegnet die Inszenierung mit Widerhaken in Musik und Textcollage, indem sie von väterlicher Entmündigung, übergriffigen Medien und einer sich häutenden, aber auch wieder verpuppenden Frau erzählt.

Aus dem Miniprojekt wird ein Überraschungserfolg, der demnächst zum 100. Mal auf der großen Bühne spielt. „Durch ‚It’s Britney, bitch!‘ habe ich die Liebe zum Theater wiedergefunden und konnte mich von meiner Familiengeschichte emanzipieren“, sagt Lena Brasch, die letzten Sommer, wieder zusammen mit Sina Martens, mit „Spielerfrauen“ am BE nachgelegt und sich mit patriarchalen Strukturen im Profifußball befasst hat.

Popkulturelle Stoffe ins Theater

„Ich habe das Gefühl, mit solchen popkulturellen Stoffen kann ich auch jüngere Leute ins Theater holen.“ Stimmt: Das Britney-Publikum ist deutlich jünger als das des BE-Kanons. Ähnlich funktioniert auch ihre TV-Literatursendung „Long­reads“ mit Helene Hegemann, wobei hier Bücher eher der Anlass sind, um Leuten aus einer popaffinen urbanen Szene beim Ausgehen zuzuschauen.

Anfang 2024 folgt Lena Brasch einer anderen Lebensspur, inszeniert Michel Friedmans autofiktionalen Text „Fremd“ über das Aufwachsen als Kind von Holocaustüberlebenden, die ins Land der Täter zurückkehren. Im Gorki-Studio umspielen sich Schauspielerin Vidina Popov und Geigerin Rahel Rilling wechselseitig mit Melodien und Sätzen, zwei pure, ungeschützte Stimmen.

Vor allem eine Szene geht unter die Haut. Popov scheint darin fieberhaft jemanden zu suchen, während sie ruft: „Wer bin ich? Wer – bin – ich? Ich bin wer, aber WER?“ Fast passt die Frage besser zur Regisseurin als zum Autor, auch wenn Lena Brasch sagt: „Für mich ist die jüdische Identität wie die Ost­identität oder die als junge Frau oder Theaterregisseurin etwas, das zu mir gehört.“

Über diese verschiedenen Identitäten, erzählt sie, schreibt sie jetzt auch ein Buch. Ihre Großeltern waren jüdische Exilanten, allerdings kehrten sie nach dem Krieg ins sozialistische Deutschland zurück, wo Großvater Horst Brasch als stellvertretender Kulturminister zur Nomenklatura gehörte und seinen Sohn Thomas anzeigte, als der gegen die sowjetischen Panzer im Prager Frühling protestierte.

Auf die Frage, wie es ihr seit dem 7. Oktober in Berlin geht, zeigt Lena Brasch auf ihren Ring mit Davidstern, wegen dem sie schon „von Faschos“ angepöbelt wurde: „Wenn ich mich in der U-Bahn festhalte, dreh ich den jetzt lieber um.“

Diskursverschiebung nach rechts

Klar triggern die wachsenden AfD-Prozente und die Diskursverschiebung nach rechts Ängste, aber auch ihren Widerstandsgeist. Genau da kommt Thomas Brasch ins Spiel, der nach Knast, Strafarbeit und Publikationsproblemen in der DDR 1976 nach Westberlin ging und dort „gegen Wände aus Gummi lief“.

Dass er jetzt so berühmt ist, wie er zu Lebzeiten vielleicht nie war, dass sich zuletzt viele Ost­künst­le­r:in­nen in Büchern, Filmen, Theaterinszenierungen und sogar Musikalben mit seinen Texten und ihm als Künstlerfigur beschäftigen, liegt wohl auch daran, dass er seinem Nichteinverstandensein mit Ost wie West eine immer neue poetische und politische Form gab.

Im Gorki-Studio will sie deshalb Braschs Stück „Mercedes“ mit anderen seiner Texte konfrontieren – und auch mit einem eigenen. „Ich habe echt das Gefühl“, sagt Lena Brasch, „seine Texte können diesem Land helfen, Verständnis füreinander zu entwickeln.“

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