Texte der Schwarzen Poetin Audre Lorde: Schmerz in Produktivität verwandeln
Audre Lorde war „Schwarze Frau, Poetin, Lesbe, Mutter, Liebhaberin, Lehrerin, Freundin, Kämpferin“. Sie inspirierte die afrodeutsche Bewegung.
Audre Lorde steht da, ein Mikrofon in der linken Hand, die rechte streckt sie den Berliner Studierenden des Jahres 1984 entgegen. Ihre Lippen sind gespitzt, sie spricht gerade. Eindringlich, auffordernd blickt Lorde auf der Schwarzweißfotografie, die sie bei einer Vorlesung am John F. Kennedy Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin zeigt.
„Ich bin eine Schwarze Frau Poetin Lesbe Mutter Liebhaberin Lehrerin Freundin Kämpferin und ich bin schüchtern, stark, fett, großzügig, loyal und launisch, unter anderem“, schrieb die Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde in einem Text mit dem Titel „Poesie macht etwas möglich“.
Darin zeigt sie sich überzeugt: „Wenn ich nicht alles, was mich ausmacht, in das, was ich mache, mit einbringe, erschaffe ich gar nichts.“ So kämpfte Lorde nicht hier gegen Homophobie, dort gegen Rassismus und an anderer Stelle für den Feminismus – sie kämpfte einen ganzheitlichen Kampf, in den sie ihr ganzes Wesen einbrachte.
Lorde wurde 1934 als Tochter karibischer Eltern in Harlem, New York City, geboren. Die studierte Bibliothekarin erlebte das Amerika der Rassentrennung, kannte die alltägliche Gewalt gegen Frauen, sah die Folgen des Apartheid-Regimes in Südafrika. Wie sehr Lorde vermochte, diesen Schmerz in Produktivität zu verwandeln, zeigen mehrere Texte und Reden, die 2015 in dem Büchlein „Vertrauen, Kraft und Widerstand“ erstmals auf Deutsch erschienen sind.
„Balsam für das Herz“
„Wir müssen lernen, auch für uns selbst zu sorgen, und wir müssen lernen, zärtlich zu uns zu sein“, schrieb Lorde. Viel zu lange sei von Schwarzen Frauen erwartet worden, „für alle möglichen Leute alles Mögliche zu sein und alle möglichen Positionen zum Ausdruck zu bringen – nur nicht unsere ureigenen.“
„Wir müssen lernen, auch für uns selbst zu sorgen, und wir müssen lernen, zärtlich zu uns zu sein“
Herausgegeben wurde der Sammelband von AnouchK Ibacka Valiente. „Ich frage mich manchmal, ob Audre Lorde wusste, wie wichtig ihre Worte sind, Feuer für den Verstand und Balsam für das Herz“, schreibt Valiente – und erzählt im Nachwort von der Herausforderung, Lordes Texte zu übersetzen.
Die deutsche Sprache benennt Geschlechter viel eindeutiger als das Englische. Valiente bemühte sich um Gendersensibilität, setzte Sternchen und Unterstriche, schrieb Schwarz groß und weiß mit kursivem ersten Buchstaben – um zu zeigen, dass nicht Identitäts-, sondern Analysekategorien gemeint sind. Entsprechend handelt es sich bei dem Buch um Valientes eigene Interpretation der Texte Lordes.
Zu Besuch in Berlin
Lorde ermutigte unentwegt Schwarze Frauen, ihre Stimme zu erheben. „Wenn ich gewartet hätte, bis ich das Richtige sage, bevor ich überhaupt etwas sage, würde ich jetzt kleine kryptische Nachrichten über den Seelenschreiber senden, Klagen aus dem Jenseits“, schrieb Lorde, die jahrelang gegen ihre Krebserkrankung kämpfte.
Von 1984 bis zu ihrem Tod im Jahr 1992 kam sie immer wieder nach Berlin. Sie ließ dort ihren Krebs naturheilkundlich behandeln und unterstützte maßgeblich die afrodeutsche Bewegung, die sich damals gerade erst formierte. Lorde beeinflusste Frauen wie die Schriftstellerinnen May Ayim und Katharina Oguntoye, wichtige Figuren der afrodeutschen Bewegung in Deutschland.
Auf die räumlichen Spuren Lordes in Berlin führt die „Audre Lorde Berlin City Tour“. Die Onlinekarte markiert wichtige Stationen, präsentiert Fotos und Informationen – darunter auch die Fotografie aus dem Hörsaal der Freien Universität. Auch der Film „The Berlin Years“ von 2012 erzählt von der politischen und literarischen Verbindung der Poetin zu Berlin und zur Schwarzen Community in Deutschland. Am 29. August läuft er im Lichtblick-Kino in Berlin in Anwesenheit der Regisseurin Dagmar Schulz.
Leser*innenkommentare
Toni@
das buch wurde nicht von der herausgeber*in übersetzt sondern von Pasquale Virginie Rotter
mowgli
Schönes Statement, dieses: "Wir müssen lernen, auch für uns selbst zu sorgen, und wir müssen lernen, zärtlich zu uns zu sein".
Schade eigentlich, dass Edith Kresta an "kleine kryptische Nachrichten über den Seelenschreiber" nicht glaubt. Aber Dank Dinah Riese können ja nun andere, noch lebende Personen Frau Kresta in ihr (vermutlich auch bloß nicht vorhandenes) Stammbuch schreiben, wie Encouragement nach Audre Lorde geht. Die Frau war schließlich US-Amerikanerin. Als sogenanntes Role Model eignet sie sich also sicher ganz hervorragend.
Vielleicht nimmt ja Frau Kresta eine Weisheit an, wenn sie von hinter dem Großen Teich gekommen ist. Ein Glaube, heißt es, kann ja manchmal Berge... - und so weiter. Nun also denn, versuchen wir es angepasst: Viel zu lange ist von arabischen Frauen erwartet worden, dass sie für alle möglichen Leute alles Mögliche sind und alle möglichen Positionen zum Ausdruck bringen – nur nicht ihre ureigenen. Und das ist ein Problem. Wenn diese Frauen nämlich nicht alles, was sie ausmacht, in das, was sie machen, mit einbringen dürfen, erschaffe sie rein gar nichts neues. Vor allem keine Freiheiten. Das gute Gefühl, das westliche Führerinnen dann womöglich haben beim Blick in ihren Spiegel, wäre damit entschieden zu teuer erkauft.
An die Frauen aber, um die sich westliche mit muslimischen Feministinnen gerade in den Haaren liegen, könnte man vielleicht die folgende Botschaft senden im Namen von Audre Lorde: Wenn ihr warten wollt, bis ihr das Richtige sage, bevor ihr überhaupt etwas sage, könnt ihr dabei schwärzer werden als ich jemals war. Ohne Übung ist noch nie einer zum Meister geworden. Auch keine westliche Feministin. Die haben alle nur schon längst vergessen (machen wollen), wie sie mal angefangen haben: Ganz klein und unsicher nämlich.