piwik no script img

Terrorismusvorwurf gegen KurdenPKK-nah, aber legal

Die Bundesanwaltschaft hat Yüksel Koç verhaften lassen. Sie wirft ihm Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor – kurz, nachdem die PKK sich aufgelöst hat.

Yüksel Koç im Jahr 2021 auf einer Demo in Napoli für die Befreiung von PKK-Gründer Abdullah Öcalan Foto: Antonio Balasco/imago

Berlin taz | Völlig überraschend hat die Bundesanwaltschaft den kurdischen Funktionär Yüksel Koç am Dienstag in Bremen durch das BKA verhaften lassen. Sie wirft Koç vor, von Juni 2016 bis Juli 2023 als „hauptamtlicher Kader der PKK“ tätig und dabei für „Öffentlichkeitsarbeit“ und „Propagandaaktivitäten in Europa“ zuständig gewesen zu sein. Koç wurde am Mittwoch einem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt. Anschließend wurde er für die Untersuchungshaft nach Bremen zurückgebracht.

Der Zeitraum, auf den sich die Vorwürfe beziehen, deckt sich exakt mit jenem, in dem Koç Vize-Vorsitzender des Kongress der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa (KCDK-E) war. Koçs Bremer Anwältin Fatma Sayın sagte gegenüber dem Portal ANF Deutsch, Grundlage der Vorwürfe sei der Paragraf 129b StGB („Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung“) und sie beträfen seine Tätigkeit für den KCDK-E.

Dabei handelt es sich um einem PKK-nahen, aber seit der Gründung vor vielen Jahren europaweit legalen kurdischen Dachverband. Außer Koç wurde soweit bekannt bisher kein Funktionär des KCDK-E für diese Tätigkeit juristisch verfolgt. Koç war 2023 turnusgemäß aus dem KCDK-E-Vorstand ausgeschieden.

Zuvor war er lange beim deutschen kurdischen Dachverband Yek-Kom, heute NAV-DEM, aktiv. 2016 nahm das BKA einen Türken fest, der Koç für ein Mordkomplott des türkischen Geheimdienstes ausgespäht haben soll. 2019 beteiligte sich Koç in Straßburg an einem monatelangen Hungerstreik für die Freilassung des PKK-Führers Abdullah Öcalan.

Signale Richtung Dialog mit den Kur­d:in­nen

Wie so oft bei Verfahren gegen politisch aktive Kur­d:in­nen werfen die Behörden dem heute 61-jährigen Gabelstaplerfahrer Koç keine eigentliche terroristische Aktivität vor. Stattedessen geht es um so genannte Organisationsdelikte – an sich legale Tätigkeiten, die nur strafbar sind, weil es das PKK-Betätigungsverbot gibt. Anwältin Sayın nennt Koçs Tätigkeiten „legal, öffentlich und politischer Natur“.

Verwunderlich ist der Schritt der Verfolgungsbehörden angesichts der jüngeren politischen Entwicklung: Am 12. Mai löste sich die seit 1978 bestehende PKK auf, um Raum für zivile Wege zur Lösung der kurdischen Frage zu schaffen. Sowohl rechte Kräfte in der Türkei als auch die AKP-geführte Regierung hatten zuletzt deutliche Signale Richtung Dialog mit den Kur­d:in­nen ausgesandt.

Deutschland hatte die Verfolgung der PKK seit dem Verbot 1993 stets auch mit dem Verhältnis zum türkischen Staat begründet. Am Mittwoch reichte die PKK in Berlin eine Klage gegen die Bundesregierung ein, weil diese die bereits 2022 beantragte Aufhebung des Betätigungsverbots abgelehnt hatte.

Es sei rätselhaft, weshalb die Festnahme ausgerechnet jetzt erfolge, sagte der taz ein Vertreter der kurdischen Gemeinde in Bremen, der seit Jahrzehnten mit Koç zusammenarbeitete: Drei Jahre nach Ende von Koçs Vorstandstätigkeit und in einer Phase der Entspannung in der Türkei. „Natürlich gibt es Kräfte, die gegen den Friedensprozess sind. Aber ob das der Grund für die Festnahme ist, wissen wir nicht“, sagte der Mann, dessen Name aus Sorge vor weiterer Repression nicht veröffentlicht werden soll.

„Merkwürdiger Kriminalisierungsversuch“

Koç habe nach dem Ausscheiden aus dem KCDK-E und dem Hungerstreik „ein bisschen Ruhe und Zeit für sich“ gebraucht, sei aber trotzdem politisch aktiv geblieben. „Nach über 35 Jahren kann man damit nicht einfach aufhören.“

Dass die Bundesanwaltschaft nun offenbar die legale KCDK-E mit der PKK gleichsetze, um Kur­d:in­nen verfolgen zu können, sei ein „merkwürdiger Kriminalisierungsversuch“, so der Vertreter der Gemeinde. Angesichts des Friedensprozesses sei das Signal Deutschlands an die Kurd:innen: „Ihr seid für uns immer noch Terroristen“.

Dass die Verhaftung auf Betreiben des neuen CSU-Innenministers Dobrindt erfolgt sei, glaubt der Vertreter nicht: „Sowas wird lange vorbereitet und der Haftbefehl wurde schon am 4. April ausgestellt.“

Die kurdische Gemeinde in Bremen rechnet mit Untersuchungshaft von ein bis zwei Jahren. „Solange dauert sowas immer, egal, was am Ende beim Gerichtsverfahren rauskommt.“ Immerhin sei Koç nach Bremen gebracht worden. „So kann er wenigstens Besuch bekommen.“

Deutsches Signal an die Kur­d:in­nen

Kerem Schamberger, der 2023 ein Buch über die politische Verfolgung der Kur­d:in­nen in Deutschland geschrieben hat, nennt Koç einen der „bekanntesten politischen Repräsentanten in Europa“. Der Terrorparagraf 129b sei das „krasseste Schwert der Strafandrohung“. Koç habe in legalen Organisation über Jahre öffentlich agiert. „Wenn das Terrorismus sein soll – warum wird er dann erst 10 Jahre später festgenommen?“

Die kurdische Freiheitsbewegung durchlaufe eine Neuformierung, sagt Schamberger: „Nach der Selbstauflösung kommt ein neues Paradigma: Die Waffen schweigen, demokratische Elemente sollen in den Vordergrund rücken.“ In dieser Zeit sende Deutschland mit der Verhaftung nun „das Signal, dass es für die Fortsetzung des Krieges gegen die Kur­d:in­nen steht“. Schamberger verweist darauf, dass derzeit in der Türkei eine Reform des Terrorismusparagrafen diskutiert werde, um zu verhindern, dass die „Verhaftungen wegen vermeintlichem Terrorismus immer weiter gehen“.

Was in der Türkei passiert, sei „entweder in Deutschland noch nicht angekommen, oder es gibt in der Justiz eine Torschlusspanik, noch schnell Leute abzuurteilen, bevor es keine öffentliche Legitimation dafür mehr gibt“, so Schamberger. Deutschland habe auch die nicht verbotenen kurdischen Vereine „beständiger Repression ausgesetzt“. Unter anderem seien die Namen der Vorstände regelmäßig an den türkischen Geheimdienst weitergeleitet worden, Festnahmen seien die Folge gewesen.

Seit etwa drei Jahren habe Deutschland gehäuft Auslieferungsersuchen an europäische Staaten gestellt, um Aktivist:innen, die zuvor in Deutschland aktiv waren, vor Gericht stellen zu können. „Das kann die Türkei nicht direkt machen.“ Derzeit gebe es in Deutschland so viele gefangene kurdische Ak­ti­vis­t:in­nen wie seit langem nicht mehr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!