Terroranschlag in Kabul: Bombenangriff auf Schule
Bei einem verheerenden Anschlag in Afghanistans Hauptstadt Kabul sterben Dutzende Schülerinnen. Der Angriff galt der schiitischen Minderheit.
An der angegriffenen Sajed-al-Schuhada-Schule lernen insgesamt 7000 Jungen und Mädchen in getrennten Schichten. Die Bombe ging hoch, als gerade die Mädchen die Nachmittagsschicht verließen. Laut Innenministerium sind viele Opfer Schülerinnen zwischen elf und 15 Jahren. Das könnte darauf hindeuten, dass die Attentäter die Bombe bewusst zündeten, um der von vielen Islamisten abgelehnten weltlichen Mädchenbildung zu schaden. Unter den Opfern des Anschlags sind zwei Freundinnen einer Kabuler Kollegin des Autors.
Zawulistani nannte den Anschlag „Teil einer genozidalen Kampagne gegen eine spezifische ethnische und religiöse Minderheit.“ Die Schule liegt im mehrheitlich von Schiiten bewohnten Stadtteil Dascht-e Bartschi. Der waren bereits mehrfach Ziel ähnlicher Anschläge mit mehreren Dutzenden Toten. Im vergangenen Mai griffen Bewaffnete die Mütterstation eines Krankenhauses an und brachten gezielt Neugeborene, Schwangere und medizinisches Personal um. Im Oktober 2020 und Dezember 2017 sprengten sich Selbstmordattentäter in einem Tutorenzentrum und einem soziokulturellen Zentrum in die Luft. Im September 2018 traf es einen Ringerclub; anschließend zündeten die Attentäter eine Autobombe unter den Fliehenden.
Zu einigen dieser Anschläge bekannte sich der afghanische Ableger des Islamischen Staates, genannt IS-Khorasan-Provinz (ISKP), andere blieben ohne Bekennererklärung. „Diese Generation der [schiitischen] Hasaras wird ohne jede Schuld zum Opfer eines Massenmords,“ schrieb unmittelbar nach dem Anschlag ein Bewohner von Dascht-e Bartschi an Partner bei einem deutschen Verein mit Schulprojekten in Afghanistan.
„Islamischer Staat“ drohte Schiiten
Zu dem Anschlag am Samstag bekannte sich bisher niemand. Allerdings hatte ISKP drei Tage zuvor vor Anschlägen auf die schiitische Gemeinschaft sowie die wirtschaftliche Infrastruktur des Landes gewarnt. Zuvor war berichtet worden, die afghanische Regierung könnte gefangene nichtafghanische Mitglieder der Gruppe an Herkunftsstaaten ausliefern. Über die folgenden Tage bekannte sich ISKP zu Anschlägen auf Öltanklaster und Stromleitungen, die in Kabul zeitweise zu einem Blackout führten. Der ISKP betrachtet Schiiten als Abweichler vom Islam.
Afghanistans Präsident Aschraf Ghani lastete in einer auf seiner Webseite verbreiteten Erklärung den Anschlag den Taliban an. Sie hätten damit „erneut gezeigt, dass sie nicht bereit sind, die aktuelle Krise friedlich und grundlegend zu lösen.“ Stattdessen sabotierten sie die Chance, den Konflikt endgültig beizulegen – eine Anspielung auf die stockenden innerafghanischen Friedensgespräche in Katars Hauptstadt Doha und die Weigerung der Taliban, sich an einer geplanten Friedenskonferenz in Istanbul zu beteiligen, so lange sich noch ausländische Soldaten in Afghanistan befänden.
US-Präsident Joe Biden hatte einen Truppenabzug bis zum 11. September angeordnet. In Washington wird aber auch ein früherer Abschlusstermin debattiert, etwa der 4. Juli.
Die Taliban hingegen wiesen die Anschuldigung zurück, beschuldigten ISKP und verurteilten den Anschlag. Gegenseitige Beschuldigungen und möglicherweise Angriffe unter „falscher Flagge“ gehören in dem zunehmend unübersichtlichen Krieg zur psychologischen Kriegführung.
Taliban greifen vermehrt an
Gleichzeitig eskalieren aber die Taliban seit der US-Truppenabzugsankündigung ihre bewaffneten Aktionen. Sie griffen in den letzten Tagen mehrere Distriktzentren an, besetzten mindestens zwei sowie eine wichtigen Staudamm. Ein von afghanischen Journalist:innen aufgezogener Monitoring-Dienst teilte am Sonntagmittag mit, in den vorangegangenen 24 Stunden habe es 20 Taliban-Angriffe in zehn Provinzen mit 222 Toten gegeben. Am Mittwoch waren es 137 in 25 Provinzen.
Nach dem Anschlag vom Samstag griffen aufgebrachte Menschen Krankenwagen und medizinisches Personal an, die Verletzte bergen wollten. Viele in der schiitischen Gemeinschaft beschuldigen die Regierung, zu wenig zu ihrem Schutz zu tun.
Der austro-afghanische Journalist und taz-Autor Emran Feroz berichtete am Samstag auf Twitter von einem Vorfall im März in Dascht-e Bartschi. Bei einem nur schlecht gesicherten Sportwettbewerb dort habe er einen Soldaten angesprochen, der mit „rassistischen Beleidigungen“ antwortete und erklärte, „sollen sie doch die Hasaras töten“. Auch Regierungsvertreter äußern sich zum Teil öffentlich antischiitisch.
Die Schiiten reagieren in mehreren Provinzen mit Selbstbewaffnung. Daran sind auch Warlords aus ihren Reihen beteiligt, die wiederum undifferenziert gegen andere Gruppen vorgehen. Als die Regierung im Februar einen von ihnen festnehmen wollte, kam es in der Provinz Maidan-Wardak zu Protesten, bei denen die Polizei mehrere Zivilisten erschoss.
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