„Terror-Propaganda“-Urteil in der Türkei: Haftstrafe für Ärztepräsidentin
Ärztepräsidentin Fincancı hatte eine Untersuchung eines mutmaßlichen C-Waffen-Einsatzes der türkischen Armee gefordert. Ein Gericht verurteilte sie deswegen.
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Fincancı saß seit dem 27. Oktober in Untersuchungshaft. Die Rechtsmedizinerin hatte in einem Fernsehinterview die Untersuchung eines mutmaßlichen Einsatzes chemischer Waffen durch die türkische Armee gegen kurdische Kämpfer gefordert.
Prokurdische Medien und Oppositionsvertreter hatten die türkische Armee beschuldigt, chemische Waffen gegen die Kämpfer der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) eingesetzt zu haben. Die PKK gab an, dass bei einem solchen Angriff 17 ihrer Kämpfer in den Bergen des Nordiraks getötet worden seien.
Der türkische Verteidigungsminister nannte die Anschuldigungen „Verleumdung“. Staatschef Recep Tayyip Erdoğan warf der Ärztin vor, „die Sprache des Terrorismus“ zu sprechen. Das Justizverfahren gegen die Vorsitzende des Ärzteverbands wurde international als politisch motiviert angeprangert.
Die Höchststrafe für „terroristische Propaganda“ liegt in der Türkei bei siebeneinhalb Jahren Gefängnis. Das Urteil kann daher als Rückschlag für die türkische Staatsanwaltschaft gesehen werden. In der Türkei sitzen tausende politische Regierungsgegner, darunter viele Kurden, hinter Gittern.
Lob aus Berlin
Die PKK kämpft seit Mitte der 80er Jahre für mehr Rechte für die Kurden in der Türkei und gegen den türkischen Staat. Sie wurde in der Vergangenheit immer wieder für Anschläge in der Türkei verantwortlich gemacht. Sie wird von der Regierung in Ankara sowie den meisten westlichen Staaten, darunter die USA und die EU, als Terrororganisation eingestuft.
Der Prozess gegen Fincancı fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Sowohl im Gerichtsgebäude als auch davor gab es eine starke Polizeipräsenz. Vor der Absperrung am Gericht versammelten sich am Mittwoch Unterstützer Fincancıs, die für ihre Freilassung demonstrierten. Die Medizinerin sagte in ihrem Schlusswort vor Gericht, dass sie keinen fairen Prozess erwarte.
Wegen Fincancıs Zusammenarbeit mit Rechtsmedizinern der UN an Orten wie Bosnien bekam der Prozess gegen sie viel internationale Aufmerksamkeit. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg, nannte Fincancı „eine der mutigsten Stimmen der Türkei“.
Die irische Menschenrechtsorganisation Front Line Defenders verurteilte die Entscheidung in „diesem politisch motivierten Prozess“ als „ungerecht“. Das Urteil müsse in der Berufung gekippt werden, hieß es. Es sei „gut, dass Fincancı aus ihrer Untersuchungshaft entlassen wurde, doch sie darf keine Zeit mehr hinter Gittern verbringen“.
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