Türkei geht gegen linke Partei HDP vor: „Rekrutierungsbüro für die PKK“

Vor den Wahlen möchte die türkische Regierung noch schnell die Konkurrenz ausschalten. Die erste Hürde zum Verbot der HDP hat sie genommen.

Eine Personengruppe wird von Polizisten eingekesselt

Anhänger der prokurdischen HDP werden während eines Protests im November in Istanbul eingekesselt Foto: Dilara Senkaya/reuters

ISTANBUL taz | Im Verbotsverfahren gegen die kurdisch-linke Partei der Völker (HDP) hat am Dienstag der Generalstaatsanwalt vor dem Verfassungsgericht plädiert. Erwartungsgemäß forderte Bekir Şahin ein Verbot der Partei. Als Begründung gab er an, die HDP sei auf „organische Weise“ mit der „Terrororganisation PKK“ verbunden. Die HDP fungiere wie ein „Rekrutierungsbüro für die PKK“. Als Beweis sagte er: „Unsere ganze Gesellschaft weiß darüber Bescheid.“

Die HDP war bei den letzten Wahlen mit rund 6 Millionen Wählern drittgrößte Partei im türkischen Parlament geworden und stellt insgesamt 56 Abgeordnete. Viele Beobachter gehen davon aus, dass die Partei noch vor den spätestens im Juni dieses Jahres stattfindenden neuen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen aus dem Rennen genommen werden soll, um die Opposition zu schwächen. Nimmt die HDP dagegen an den Wahlen teil, könnte sie zum entscheidenden Faktor sowohl bei der Wahl eines neuen Präsidenten als auch für die Mehrheiten im Parlament werden.

Schon Ende letzter Woche hatte das Verfassungsgericht mit einer knappen Mehrheit von 8 zu 7 Stimmen die HDP vorläufig von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen, bis über das Verbotsverfahren entschieden ist.

Urteil soll noch vor den Wahlen kommen

Für ein Verbot muss allerdings eine Zweidrittelmehrheit der 15 Verfassungsrichter zustimmen. Rein formal bekommt die Partei nun erst einmal selbst die Gelegenheit, zu den Vorwürfen des Generalstaatsanwaltes Stellung zu nehmen. Dafür hat die Partei 30 Tage Zeit. Danach wird der zuständige Berichterstatter aus dem Richterkollegium eine Entscheidung vorbereiten. Liegt die Empfehlung vor, kann das Gericht jederzeit ein Urteil fällen.

Innerhalb der HDP rechnet man damit, dass das Urteil noch vor den Wahlen kommt. Entsprechend hat die Partei sich vorbereitet und eine Alternative aufgebaut. Die Partei Linke-Grüne, die bislang unter dem Dach der HDP existierte, soll so ausgebaut werden, dass sie notfalls statt der HDP antreten kann.

Die Opposition hat sich in einem Bündnis von sechs Parteien zusammengeschlossen und will einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten ins Rennen schicken. Die HDP ist nicht Teil dieses Bündnisses, hat aber in einer ähnlichen Konstellation bei den Kommunalwahlen 2019 in den Städten, in denen sie selbst keine Chance hatte, den Oberbürgermeister zu stellen, zur Wahl des Oppositionskandidaten aufgerufen. Dadurch gelang es dem Bündnis von sozialdemokratischer CHP und nationalistischer İyi-Partei, die wichtigsten Großstädte wie Istanbul und Ankara zu gewinnen. Allerdings hat die HDP dem Bündnis jüngst angedroht, selbst einen Präsidentschaftskandidaten zu nominieren.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist angesichts der Wirtschaftskrise und der extrem hohen Inflation angeschlagen und muss um seine Wiederwahl fürchten – wie noch nie in den 20 Jahren, die er nun bereits regiert.

Mit dem möglichen Verbot der HDP versucht die Regierung nun, die Konkurrenz bereits im Vorfeld der Wahlen auszuschalten – genauso wie zuvor schon mit einem politisch motivierten Urteil gegen den Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu, der als gemeinsamer Präsidentschaftskandidat der Opposition gehandelt wird.

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