Telekom-Vorstand outet sich als schwul: Unaufgeregt, beiläufig
Seit Sonntag gibt es erstmals einen offen schwulen DAX-Vorstand – und keiner hat’s gemerkt. Das Coming-out erfolgte in einem Nebensatz.
![Ein Pferd wälzt sich im Staub. Ein Pferd wälzt sich im Staub.](https://taz.de/picture/1022086/14/15370288.jpeg)
Es beginnt belanglos. Ein netter Plausch über Reitsport. Telekom-Vorstand Niek Jan van Damme wird vom Interviewer der Welt am Sonntag gebeten, ein Kunststück zu zeigen. „Piaffe, Passage, Pirouette“. Van Damme sagt: „Die Kunststücke überlasse ich meinem Mann, der beruflich Grand Prix reitet.“
Es geht weiter mit Pferden. Keine Nachfrage wie „Ihr Mann?“, ganz so, als wäre das selbstverständlich, nichts Neues. Später erst eine Frage, wie die Homosexualität – das Wort selbst wird übrigens im gesamten Interview nicht erwähnt, ebenso wenig wie „schwul“ – im Unternehmen aufgenommen wurde. Van Damme erzählt, dass die Kollegen seinen Mann kennen, dass er nie Anfeindungen erlebt habe. Dass er aber auch „nicht als Botschafter vorangehe“. Er will nicht als jemand gelten, „der aus Diversity-Gründen dort ist, wo er ist.“
Man kann davon ausgehen, dass das Ganze exakt geplant und mit dem Journalisten abgesprochen war. Denn es ist ein heikles Thema – noch immer. Von gut 180 männlichen DAX-Vorständen war bis Sonntag keiner offen homosexuell. Statistisch schier unmöglich. Insider sprechen von 10 bis 15 schwulen DAX-Vorständen, die ihnen bekannt sind. Einige machen daraus im Unternehmen und in Hintergrundgesprächen mit Journalisten kein Geheimnis. Andere fühlen sich genötigt, ein Doppelleben zu führen.
Großkonzerne hinken damit der gesellschaftlichen Realität hinterher. Homosexuelle in Medien, Politik und Showbusiness sind heute kein Problem mehr. Doch die Wirtschaft ist konservativer. Topmanager sind eine äußert homogene Gruppe: heterosexuelle Männer aus dem Bürgertum. Ein schwuler Mann passt in diese mächtigen Männerzirkel nicht hinein, in denen es um Geld und Image geht. Ein offen schwuler Mann hat es häufig schwerer, überhaupt in Top-Positionen aufzusteigen, über die meist diese älteren Heteromänner entscheiden.
Niek Jan van Damme machte aus seiner Homosexualität im näheren Umfeld kein Geheimnis, wollte sie bislang aber nicht medienöffentlich machen. Mit der Telekom hat er dafür allerdings auch einen dankbaren Arbeitgeber.
„Weiche“ Branche
Das Unternehmen ist Vorreiter in Sachen Diversity. In den „harten“ traditionellen Branchen wie Metall- oder Automobilindustrie wird man auf einen offen schwulen Topmanager dagegen noch länger warten müssen. Hier gelten andere Regeln als in den „weichen“ Branchen wie Telekommunikation oder Medien.
Vor eineinhalb Jahren – kurz nachdem sich Apple-Chef Tim Cook als schwul geoutet hatte – war auch in Deutschland die Diskussion über homosexuelle Führungskräfte entbrannt. Experten sagten damals, dass sich von den deutschen Topmanagern wohl niemand als Erstes rauswagen will, weil man homophobe Reaktionen, einen Karriereknick und eine negative Medienwelle fürchte. Van Damme hat es jetzt trotzdem getan, dafür gebührt ihm Respekt und Dank – auch dafür, wie er sich geoutet hat – unaufgeregt und beiläufig.
Das befürchtete Medienecho zu seinem Coming-out blieb bislang aus – was sicher auch daran liegen mag, dass die Welt am Sonntag es verdammt gut versteckte. Weder im Titel noch im Teaser fand die Neuigkeit Erwähnung. Trotzdem: Es zeigt, dass der Umgang mit Homosexualität etwas entspannter geworden ist.
Eine letzte, große Bastion der Heteros aber bleibt: der Profifußball. Wie entspannt die Gesellschaft tatsächlich ist, wird sich dann zeigen, wenn der erste aktive Spieler sich outet. Vielleicht müssen selbst wir dann nicht mehr darüber berichten.
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