Telefonseelsorgerin über Corona-Folgen: „Was ist, wenn ich sterbe?“
Die Hilferufe bei der Telefonseelsorge nehmen zu. Einsame Menschen werden in der Coronakrise noch einsamer, sagt eine Telefonseelsorgerin.
taz: Frau Kandis, was hat sich mit der Coronakrise bei den Anrufer*innen geändert?
Ute Kandis*: Die Menschen, die jetzt anrufen, sind Menschen, die schon vorher einsam waren und jetzt noch einsamer sind. Leute, die zum Beispiel früher noch die Möglichkeit hatten, beim Bäcker um die Ecke einen Kaffee zu trinken und dabei ins Gespräch zu kommen. Solche Dinge fallen jetzt weg. Allein der Gedanke, dass sie jetzt gar nicht mehr rauskönnen, verstärkt ihre Einsamkeit. Vielen fehlt auch die Arbeit, und wenn’s nur ein kleiner Nebenjob ist. Da fehlt dann das Geld, da fehlt der Kontakt, da fehlt die Aufgabe. Die fragen sich, wofür braucht die Gesellschaft mich noch?
Welche anderen Themen tauchen auf?
Natürlich rufen Leute an, die sagen, ich würde gerne meine Mutter besuchen, aber darf das nicht. Und die Mutter ruft an, ich würde so gerne meine Tochter sehen, heute habe ich noch mit niemandem richtig gesprochen. Auch Leute, die irgendwo ihren Unmut loswerden müssen, melden sich vermehrt. Die haben zum Beispiel Streit mit ihrem Mann oder ihrem Chef und wissen nicht, mit wem sie darüber reden sollen.
Gibt es Anrufer*innen, die in therapeutischer Behandlung sind?
Manche ja, die rufen dann am Wochenende an, weil ihre Therapeuten da nicht verfügbar sind. Die meisten unserer Anrufer sind aber „austherapiert“. Die kriegen entweder keine Therapie mehr oder müssen lange warten, bis sie eine neue bewilligt bekommen.
Ute Kandis* ist nicht der richtige Name der Interviewten. Der Grund: Gespräche der Telefonseelsorge sind grundsätzlich anonym, sowohl die Hilfesuchenden als auch die Seelsorger*innen am Telefon bleiben anonym. Die Interviewte arbeitet seit vielen Jahren ehrenamtlich für die von Telefonseelsorge in Berlin-Brandenburg. Dort ist auch ein Corona-Sorgentelefon eingerichtet worden (Tel.: 030-403 665 885).
Welche Rolle spielt Corona in den Gesprächen?
Es gibt Anrufe, da geht’s primär um Corona. Die Leute sind voller Angst, sich irgendwo anzustecken. Die fragen dann: „Soll ich einen Mundschutz tragen oder nicht? Und was ist, wenn ich sterbe, und keiner kriegt’s mit?“
Äußern die Anrufer*innen auch Suizidabsichten?
Es fällt schon mal der Satz „Am liebsten würde ich mich umbringen“. Damit wird aber oft nur das Maß der Verzweiflung ausgedrückt. Im Gespräch kommen wir dann oft auf ganz andere Sachen. Wenn sie am Ende sagen „Jetzt geht es mir besser“, weiß ich, dass das Gespräch gut gelaufen ist.
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