Teilweise Haushaltssperre: Zwei Bundeshaushalte in Gefahr
Das Finanzministerium hat eine teilweise Haushaltssperre verhängt. Experten raten zu einem Nachtragshaushalt und zur Verschiebung des Haushalts 2024.
Nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts hat das Finanzministerium am Dienstagnachmittag auch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) gesperrt. Am Montagabend hatte es bereits zahlreiche Vorhaben auf Eis gelegt, die aus dem Klimafonds finanziert werden sollten.
Dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts weitreichende Folgen für den Haushalt hat, war allen Beteiligten bereits vergangene Woche klar. Daher hatte der Haushaltsausschuss für diesen Dienstag eine Anhörung mit Experten anberaumt, um zu diskutieren, wie es nach dem Urteil weitergehen kann. Der Rat an die Koalition aus SPD, Grünen und FDP war deutlich. Mehrere Experten empfahlen, den laufenden Bundeshaushalt 2023 zu überprüfen und den Etat für 2024 nicht übereilt zu verabschieden. Rechtsprofessor Hanno Kube von der Universität Heidelberg stellte die „Verfassungsmäßigkeit“ des diesjährigen Budgets infrage und nannte die Zahlen für kommendes Jahr „nicht beschlussreif“.
Eigentlich wollen SPD, Grüne und FDP den Bundeshaushalt 2024 kommende Woche im Bundestag beschließen lassen. Das ganze Verfahren steht allerdings auf der Kippe, weil das Bundesverfassungsgericht vergangene Woche in einem Urteil auf Klage der oppositionellen Union der Bundesregierung 60 Milliarden Euro gestrichen hat. Das waren nicht verbrauchte Corona-Staatsschulden aus dem Jahr 2021. Die Ampel hatte die Gelder unter anderem für nächstes Jahr als Ausgaben im Klima- und Transformationsfonds eingeplant. Das wertete das oberste Gericht als Verstoß gegen die Schuldenbremse im Grundgesetz.
Viele geplante öffentliche Investitionen sind nun gefährdet. Das Geld war beispielsweise dafür gedacht, Solarmodulhersteller beim Bau neuer Fabriken zu fördern, Stahlproduzenten den Übergang von Kohle zu grünem Wasserstoff zu erleichtern und die Ansiedlung von Chip-Fertigungsanlagen in Sachsen-Anhalt und Sachsen zu subventionieren.
Schon in der Anhörung erklärte Finanz- und Steuerrechtler Kube, auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds falle unter das Urteil. Der Beschluss für die Kreditaufnahme stamme aus dem Jahr 2022, ein Teil der Mittel sei aber erst 2023 aufgenommen und für die Energiepreisbremsen verwendet worden. Gemäß Bundesverfassungsgerichtsurteil müsse beides jedoch im selben Jahr stattfinden. Seine Schlussfolgerung: Die Ampelkoalition solle einen Nachtragshaushalt für 2023 beschließen.
Haushalte 2023 und 2024 bauen aufeinander auf
Zum Etat 2024 erläuterte Kube, im Kernhaushalt fielen möglicherweise einige Milliarden Euro zusätzlicher Ausgaben an, die die Regierung nicht mehr aus dem Klimafonds bezahlen könne. Diese Veränderungen müssten jetzt berechnet und eingearbeitet werden. Kube plädierte für einen „Kassensturz“. „Die Haushalte 2023 und 2024 bauen aufeinander auf.“
In eine ähnliche Richtung argumentierte Jan Keller vom Bundesrechnungshof, der die Staatsfinanzen kontrolliert. Seine Institution halte „sowohl den Haushalt 2023 als auch den Regierungsentwurf für den Haushalt 2024 in verfassungsrechtlicher Hinsicht für äußerst problematisch“, sagte Keller.
Nicht alle waren bei der Anhörung dieser Meinung. Wirtschaftsprofessor Jens Südekum von der Universität Düsseldorf hielt den „Kernhaushalt 2024 für ausverhandelt“. Man könne ihn jetzt verabschieden und nächstes Jahr eventuell einen Nachtragshaushalt hinterherschieben, um zusätzliche Ausgaben zu ermöglichen.
Unions-Vizefraktionschef Mathias Middelberg sah seine Partei, die die Verfassungsbeschwerde eingereicht hatte, dennoch bestätigt. Nach der Anhörung betonte er, dass die Milliarden Euro, die in diesem Jahr für die Energiepreisbremsen an Privathaushalte und Firmen gezahlt wurden, eigentlich nicht zur Verfügung gestanden hätten. „Sie wurden nicht korrekt verbucht.“ Die Schlussfolgerung des CDU-Finanzpolitikers: Ein Nachtragshaushalt für 2023 sei „zwingend“ notwendig. Außerdem hielt er es für ratsam, den Bundeshaushalt 2024 „sorgfältig“ und „verfassungsfest auszugestalten“, was wohl dazu führen müsse, die Beratung zu verschieben.
Sperre für Klimafonds und Bundeshaushalt
Umstritten waren in der Anhörung und danach auch Antworten auf die Frage, woher das fehlende Geld kommen solle. Inzwischen hat Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nicht nur eine Haushaltssperre für den Klimafonds verhängt, sondern auch eine für den Bundeshaushalt 2023, soweit es dabei um Mittel für 2024 geht. Davon könnten schon jetzt einige Investitionsprojekte betroffen sein, die noch keine rechtsverbindliche Zusage erhalten haben – etwa geplante Subventionen für Solar- und Chipfabriken.
Ein partieller Ausweg aus der Finanzmisere bestünde nun darin, erneut eine Notlage für 2023 auszurufen, wie das Grundgesetz sie ausnahmsweise erlaubt. Das schlug selbst CDU-Politiker Middelberg vor. „Damit wäre die Schuldenbremse gebrochen“, beschrieb er jedoch die Konsequenzen. Das ist einerseits eine erstaunliche Bewegung, denn die Union will die Bremse unbedingt einhalten.
Andererseits: Wenn Ausgaben des Wirtschaftsstabilisierungsfonds mit Schulden bezahlt wurden, die nicht erlaubt waren, gibt es kaum eine andere Lösung, als zusätzliche Kredite aufnehmen. Dies allerdings würde der Politik von Finanzminister Christian Lindner (FDP) zuwiderlaufen, der die Bremse unbedingt einhalten will.
Und 2024? Für nächstes Jahr konkurrieren zwei Lösungsansätze. SPD-Fraktionschef Mützenich sprach sich dafür aus, die Schuldenbremse auszusetzen: „Wir werden aus meiner Sicht nicht darum herumkommen, für 2024 die Ausnahmeregel zu ziehen – womöglich auch länger.“ Wirtschaftsprofessor Dirk Meyer von der Bundeswehr-Universität in Hamburg erklärte dagegen während der Anhörung, Ausgabenkürzungen etwa bei der Kindergrundsicherung seien unausweichlich.
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