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Foto: Serena Bilanceri

Technoszene in JordanienSand und Bässe

Jordanien ist eher für seine Felsenstadt Petra berühmt als für Techno-Partys. Doch Techno-Musiker*innen wollen nun raus aus der Nische.

Serena Bilanceri
Von Serena Bilanceri aus Wadi Rum und Amman

D ie Sandsteinberge in Wadi Rum, dem größten Wüstental Jordaniens, sehen aus, als hätten sich Wind und Zeit an sie gekrallt und tiefe Furchen hinterlassen. In dieser Nacht werden sie von drei rotierenden Flutlichtern blau angestrahlt. Unter dem Bergmassiv leuchtet ein großes Zelt in gelben und roten Tönen – Licht in einer sonst perfekten Dunkelheit, über der man oft die Milchstraße funkeln sehen kann.

Aus den Lautsprechern im Zelt ertönt der rhythmische tiefe Klang der Bässe, vor dem Mischpult tanzen Dutzende junge Männer und Frauen auf arabischen Teppichen, im Einklang mit dem Beat. Plötzlich gehen die Lichter aus, eine Handylampe wird eingeschaltet, der Tanz geht weiter. Ein kühler Wind zieht um die Tanzenden – fünf Grad sind es an diesem Freitagabend. Die Kälte in der nächtlichen Wüste ist schonungslos, doch die Teil­neh­me­r*in­nen des Sand Rave-Festivals tanzen weiter, eingemummelt in dicke Jacken, Schals und Mützen.

Jordanien, ein mehrheitlich muslimisches Königreich, das an Saudi-Arabien, Israel, die palästinensischen Gebiete, Irak und Syrien grenzt, ist kein typisches Ziel für Technofans. Und doch: Etwas ändert sich. Eine neue Generation von DJs wächst heran, die elektronische Musik etablieren möchten – raus aus der Nische, in der sie bisher ein eher marginales Dasein gefristet haben. „Sie wollen sich einen Namen machen, etwas erreichen. Die Community ist größer geworden“, sagt Aladdin Alajlouni, einer der Veranstaltenden des Sand-Rave.

Vor etwa vier Jahren kam Bewegung in die Szene: DJ Hani Obaidat, auch bekannt als H2O, trägt eine halbgeränderte Brille, er spricht ruhig, doch wenn er auf der Bühne seine „Melodic acid techno“-Tracks auflegt, kann er kaum still halten. 2018 sei das Jahr des großen Schwungs gewesen, sagt der 27-Jährige. Das habe auch an den sozialen Netzwerken gelegen, die mittlerweile rund 66 Prozent der Jor­da­nie­r*in­nen nutzen. Sie verbinden die Fans, machen die Szene bekannter. Ein weiterer Grund sei, dass Veranstaltende nach immer neuen Orten für ihre Partys suchten. „Die Technoszene wird schrittweise immer besser, sowohl was die Zahl der Veranstaltungen als auch die Qualität angeht“, erzählt Obaidat. Davor, da war er noch ein Neuling in der Technogemeinde, habe es einige Raves in Wadi Rum gegeben, die seien aber „verschwiegener“ gewesen, und eher auf HipHop fokussiert.

Die jordanische Wüste ist ein beliebter Ort für Tou­ris­t*in­nen

„Die Menschen in Jordanien sind heute insgesamt interessierter an elektronischer Musik“, sagt Alajlouni, der die langen Haare zu einem Zopf gebunden trägt. In dieser Nacht unterbrechen 82 Männer und Frauen die Stille der Wüste – etwas mehr Aus­län­de­r*in­nen als Jordanier*innen. Doch das Sand Rave, inzwischen in seiner achten Ausgabe, ist nicht das erste Elektro-Festival in Wadi Rum. Das Distant Heat-Festival brachte zwischen 2003 und 2010 einige Tausende Feiernde und Dutzende namhafte DJs in die südjordanische Wüste.

Sie ist ein beliebter Ort für Tourist*innen. Und mit der Wüste – Dünen, Felsen, rosaroter Sand soweit das Auge reicht – verwandeln sich so auch die Menschen, die in ihr leben. Die Nomadenfamilien, die früher mit Kamelen und Ziegen durch das Gebiet zogen, haben die Stille der Wüste mittlerweile oft gegen das bunte Getöse der Dörfer getauscht. Viele, vor allem in Wadi Rum, arbeiten im Tourismus, führen ausländische Gäste durch die Wüstenberge oder eröffnen einen Luxuscamp zwischen den Dünen. Tradition und Moderne vermengen sich. Nur wenige wollen – oder können – noch von Tierzucht und Subsistenzwirtschaft leben.

Die Menschen hier, sagt Alajlouni, seien offen und erfahren im Umgang mit Reisenden. Und wiederkehrende Events böten „ein großes Potenzial, die Touristenzahl zu erhöhen“. Salem, ein junger Beduine, arbeitet im Camp mit. Er möge das Event: „Uns macht das nichts aus, wir hören alles, jede Musik“, erklärt der 18-Jährige im brauen Gewand und um den Kopf geschlungenem Kefiyah-Tuch, während er die Soundanlage aus einem alten, roten Jeep lädt.

Doch nicht alle in der konservativen jordanischen Gesellschaft sind feiernden Par­ty­gän­ge­r*in­nen gegenüber so aufgeschlossen: Das Distant Heat-Festival scheiterte offenbar an bürokratischen Hürden und offiziellen Genehmigungen. Aus dem darauffolgenden Donröschenschlaf ist die Szene nun erwacht.

Auch in der Hauptstadt Amman zieht die Szene an

Amman, Koshok-Club. Noch ist es leer. Auf der abgedunkelten Tanzfläche steht eine junge Frau, alleine, den Rücken gerade, die Füße gegen den Boden gestemmt, die Hände an den Hüften, die Augen fix auf das Mischpult gerichtet. Aus den Boxen schießt plötzlich der Klang von Bässen. Farah Hattar, 23 Jahre alt, lässt die Bässe von zwei Technikern noch ein weiteres Mal anspielen, lauscht konzentriert. Nach dem Soundcheck bereitet sie Mischpult und Boxen vor, ein letzter Blick aufs Handy, dann geht es los.

Kamele rund um das Rave-Gelände Foto: Serena Bilanceri

Aus den Lautsprechern strömt eine westasiatisch klingende Melodie, blaue Lichter strahlen auf die Tanzfläche. Das Mischpult blinkt, Hattar dreht an einem Rädchen, bewegt sich im Takt des Basses. Eine ätherische, weibliche Stimme singt, der Bass setzt wieder ein, arabische Trommeln und eine melodische Oud – eine für Westasien typische Kurzhalslaute – kommen hinzu. Hattar ist ganz in ihre Musik vertieft.

Der Koshok-Club besteht aus einem Raum über einem griechischen Restaurant in der Altstadt Ammans. Meist liegt hier der fruchtige Duft von Shi­shatabak in der Luft. Vorbei am Türsteher öffnet sich die Schiebetür auf eine Sitzecke mit Bar und Billardtisch. Dahinter beginnt die noch leere Tanzfläche. Denn es ist früh – die Tanzwilligen kommen meist erst ab Mitternacht.

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Die Techno- und Elektroszene der jordanischen Hauptstadt ist nicht besonders groß, unvergleichbar etwa mit der Berlins. Doch seit einigen Jahren wächst sie rasant, sagen Beobachter*innen. Das hat auch Fahed Mohammad Hassan bemerkt, der das Koshok besitzt und deshalb beschlossen hatte, eine zusätzliche Etage zu eröffnen. Eingeweiht habe man diese mit einer Technoparty, erzählt er. Und: „Es hat funktioniert.“ Man werde die Party wiederholen.

Weibliche DJs haben es in Jordanien noch etwas schwerer

Daraus soll nun ein fester Termin entstehen, nur für Techno. Die Zeit ist reif, hofft Hassan. Zwar ist elektronische Musik in Amman noch nicht so populär wie andere Genres, doch sie gehört inzwischen für viele zum Wochenende. „Bei meinem ersten Event hatte ich Angst, ob Techno hier funktionieren würde. Meine Gäste kennen mich für einen anderen Musikstil. Doch dann kamen viele“, erzählt der 31-Jährige. Der Koshok-Club ist vor allem für seine Afropartys berühmt. Die Einrichtung ist rustikal, die Wände zur Hälfte mit Parkett und zur anderen Hälfte mit unverputzten Steinen überzogen, LED-Ketten spenden Licht – ein typischer Stil für Downtown-Amman.

Inzwischen finden Technopartys an den verschiedensten Veranstaltungsorten statt: Luxushotels, Garagen, größere Hallen außerhalb des Zentrums. Vier, fünf Events pro Wochenende. Das bedeutet aber nicht, dass junge Musikmachende es nun leichter haben – vor allem dann, wenn sie weiblich sind. Das kennt die Autodidaktin Hattar, Künstlername Farah, nur zu gut. Sie hat nun beschlossen, ein Kollektiv zu gründen. Junge, lokale DJs sollen unterstützt werden, vor allem Frauen. „Ich sehe selten Frauen als DJs in der Szene. Aber ich will beweisen, dass wir Potenzial haben, dass wir gut sind“, betont sie.

DJ Hani Obaidat legt auf dem Musikfestival Sand Rave auf Foto: Serena Bilanceri

Doch die konservative jordanische Kultur legt den Musikerinnen immer noch einige Steine in den Weg. Frauen sind hier selten spät in der Nacht unterwegs – das gehöre sich nicht, ist für viele der Konsens. Diese Steine will Hattar wegräumen, Unterstützung anbieten, die sie selbst damals nicht bekommen hat. „Ich konnte damals als Anfängerin keinen guten Ort finden, um aufzulegen. Den will ich weiblichen DJs jetzt geben. Wir verdienen gleiche Chancen.“

Eine Karriere in der elektronischen Musik gilt zudem als unsicher. Selbst in Europa, mit seiner etablierten Elektroszene, dürfte es oft kaum für Enthusiasmus in der Familie sorgen, wenn das Kind verkündet, es wolle DJ werden. Ebenso wenig begeistert waren Farahs Eltern. „Sie dachten nicht, dass ich das ernsthaft tue.“ Ihr Vater habe geraten: „Such dir einen Job!“ Ihre Eltern glaubten nicht, dass man sich auf Technomusik als Einnahmequelle verlassen könne.

Es fehlt auch an praktischen Dingen, etwa Veranstaltungsorten

Diese Schwierigkeiten kennt auch Aya Nasif, alias Ayn. Sie ist eine der wenigen, die es geschafft haben: Events in verschiedenen Ländern, Interviews im berühmten Musikmagazin Mixmag. Mit Managerin und DJane Yasmine D. will sie auch im Ausland neue Horizonte für arabische elektronische Musik eröffnen. Der Weg dahin sei kein leichter, sagt sie. Er werde aber sanfter, wenn man ihn mit Menschen beschreite, die an einen glaubten – beruflich wie privat. „Ich komme aus einer Gesellschaft, die vom Patriarchat unterjocht ist, aber gleichzeitig komme ich auch aus einem Haushalt, der an Individualität und Empowerment glaubt.“ Ihr Vertrauen, dass „nichts unmöglich ist“, sagt sie, stamme zum großen Teil daraus.

Ayn, die diese Positivität ausstrahlt und ihre Musik als „progressiv-melodischer Technomix, der die Reise des Menschen in ihrer reinsten Form widerspiegelt“ beschreibt, sagt, die jordanische Elektroszene sei immer schon in einzelnen Schritten gewachsen. Die letzte große Welle von 2018 zog nicht nur beim Publikum an, sondern auch bei Veranstaltenden, „die immer mehr Interesse an elektronischer und Technomusik haben“. Doch es gebe noch Raum für Wachstum. Ein Grund dafür: Ein allgemeiner Mangel an Interesse, wenn es darum gehe, Ressourcen so zu verteilen, dass die Musikszene – vor allem die elektronische – wachsen könne. Andererseits fehlten ganz praktische Dinge, sagt sie: Produktionsfirmen, Musikprogramme, verfügbare Veranstaltungsorte für größere Events.

Noch gebe es außerdem einige Vorbehalte gegenüber Techno. Viele würden das Genre nicht kennen, sagt Obai­dat, verstünden es nicht. Manche bringen die Szene außerdem mit verbotenem Verhalten wie Drogenkonsum in Verbindung.

Doch die jungen Künst­le­r*in­nen geben nicht auf. Sie werden weiter tanzen und tanzen lassen, in Luxushotels, in Cafés entlang der hügeligen Straßen Ammans oder in Zelten mitten in der Wüste, unter einem Himmel voller Sterne, der alles klein und belanglos erscheinen lässt. Alajlouni sagt: „Es geht um die Musik, die Kultur und all die Dinge, die den Menschen Freude bringen.“

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