Taxigewerbe beantragt Tariferhöhung: Im Rollstuhl zahlt man extra
Taxis werden teurer. Zum Entsetzen der Behindertenbeiräte überlegen Niedersachsens Landkreise, einem Zuschlag für Rollifahrer zuzustimmen.
Hannover taz | „Natürlich ist das die schlechtere Lösung“, sagt Harald Gast vom Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN) ganz freimütig. Der Interessenvertreter des Taxigewerbes ist mit dafür verantwortlich, dass in manchen Landkreisen Rollstuhlfahrer bald noch einmal extra zur Kasse gebeten werden – zusätzlich zu den ohnehin steigenden Taxitarifen.
Das gilt allerdings nur für Menschen, die im Rollstuhl sitzend transportiert werden müssen, weil sie nicht umgesetzt werden können. Die meisten Behinderten- und Inklusionsbeiräte sind empört, dass ausgerechnet derart mobilitätseingeschränkte Menschen noch einmal zusätzlich belastet werden.
Und auch der Sozialverband Deutschlands (SoVD) schlägt Alarm: „Deutlicher kann man Menschen mit Behinderung nicht diskriminieren“, sagt der niedersächsische Landesvorsitzende Bernhard Sackarendt.
Doch der Reihe nach: Um eine Erhöhung der Taxitarife bittet der Branchenverband GVN schon länger. Niemand bestreitet, dass dieses Gewerbe ein üble, holprige Durststrecke hinter sich hat. Die meisten aktuell gültigen Tarife sind sechs oder sieben Jahre alt – in der Zwischenzeit wurde der Mindestlohn mehrfach erhöht, stieg der Dieselpreis in ungeahnte Höhen und brachte Corona einen Großteil des Geschäfts zum Erliegen.
Taxiunternehmer wollen Aufwand und Umbau bezahlt haben
Gleichzeitig ist so eine Erhöhung auch nicht ganz einfach: Übertreibt man es, bleiben die Kunden weg – dann verdienen die Unternehmen auch nicht besser. Und so eine Tariferhöhung muss ein Weilchen halten: Das Abstimmungsprozedere ist lang und umständlich – das möchte man nicht in jedem Landkreis alle zwei Jahre durchführen, zumal die technische Umstellung der geeichten Taxameter ja auch Zeit und Kapazitäten braucht.
In diesem Fall hat der GVN also schon zu Beginn des vergangenen Jahres bei fast allen der 45 Landkreise und kreisfreien Städte in Niedersachsen eine Anpassung der Tarife beantragt und dabei auch die Einführung des Rollstuhlfahrerzuschlags angeregt.
„Das ist einfach ein erheblicher Mehraufwand: Sie brauchen extra geschulte Fahrer, müssen die Rampe ausfahren, den Rollstuhlfahrer in Empfang nehmen, reinfahren, sichern – alles ohne dass die Uhr läuft“, rechtfertigt sich Gast. Auch die Umrüstung der Fahrzeuge werde immer teurer, 8.000 bis 10.000 Euro koste dies mittlerweile.
Corona sei Dank blieb die Forderung bei den meisten Landkreisen aber erst einmal liegen. So lange, dass nun selbst das niedersächsische Wirtschaftsministerium zu einer raschen Beratung drängt. Das geht dann schon einmal schief: Im Landkreis Rotenburg etwa wurde der Behindertenbeirat so spät in die Beratung einbezogen, dass er seine Einwände kaum noch geltend machen konnte.
Es gäbe Alternativen, doch die interessieren kaum jemanden
Insgesamt sieben Landkreise haben nach der vorläufigen Zählung der GVN bisher einen Zuschlag für Rollstuhlfahrer beschlossen, in sechs Kreisen oder Städten (darunter Göttingen) gab es so etwas vorher schon, in 15 Kreisen steht die Entscheidung noch aus, manche Landkreise (darunter Wesermarsch und die Region Hannover) haben den Rollstuhlzuschlag abgelehnt, andere haben nur die allgemeine Tariferhöhung beschlossen und wollen über den Rollstuhlfahrerzuschlag noch einmal extra beraten.
„Deutlicher kann man Menschen mit Behinderung nicht diskriminieren“
„So entsteht ein Flickenteppich. Es kann doch nicht sein, dass es vom Wohnort abhängt, ob ich als Mensch mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann oder nicht“, sagt Sackarendt vom SoVD.
Die Zuschläge bewegen sich zwischen 5 und 15 Euro für die einfache Fahrt. Wenn es ganz unglücklich läuft, kann ein Ausflug ins Kino also plötzlich mal dreißig Euro mehr kosten. In solchen Fällen greift auch die beliebte Argumentation „Das zahlt doch eh die Kasse“ nicht – die kommt nämlich nur für medizinisch notwendige Fahrten auf.
Der SoVD hätte es lieber gesehen, wenn die Landkreise oder das Land stattdessen die Umrüstung der Taxen subventionieren würden. „Damit wären wir auch viel glücklicher, dann bräuchten wir den Zuschlag nicht“, versichert Harald Gast vom GVN. Diesen Alternativvorschlag habe er auch in jeden seiner Anträge geschrieben, sagt er. Bisher habe aber nicht ein Landkreis darauf reagiert.
Möglicherweise drohen Klagen
Alternativ hätte man die Kosten für den Rollstuhltransport natürlich auch bei den allgemeinen Tariferhöhungen einpreisen können – immerhin werden Rollstuhlfahrer im öffentlichen Nahverkehr (und zu dem zählen Taxen rechtlich auch) sonst ja auch nicht für den Bau von Hochbahnsteigen und die Anschaffung barrierefreier Busse zur Kasse gebeten. Aber angesichts der Tatsache, dass die Tariferhöhungen nun ohnehin schon ziemlich üppig ausfallen (25 bis 30 Prozent), traut sich das im Moment niemand.
Gerhard Bredehorst, der Vorsitzende des übergangenen Behindertenbeirats im Landkreis Rotenburg, zweifelt daran, dass die Zuschlagsregelung rechtens ist. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies mit der UN-Behindertenkonvention oder dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar ist. Ich könnte mir gut vorstellen, dass jemand dagegen klagt.“
Er hat jedenfalls darauf gedrängt, dass sich der Landesbehindertenbeirat auf einer seiner nächsten Sitzungen mit dem Thema befasst. „Das letzte Wort ist da noch nicht gesprochen.“
Leser*innenkommentare
Lesebrille
Fortsetzung
@Bolzkopf irrt, wenn sie*er denkt, dass man als rollstuhlnutzender Mensch kein Taxi vom Strassenrand heranwinken kann. Voraussetzung: man kann umsitzen und der Rollstuhl ist faltbar.
Als ich vor etwa 30 Jahren in London Taxi (Black Cab) fuhr, war eine Rampe im Taxi, sowie ein freundlicher Einstiegservice ganz normal. Seit dem Jahr 2000 sind übrigens alle Londoner Black Cabs barrierefrei, wie man im Blog von der Journalistin Christiane Link nachlesen kann (blog.zeit.de/stufe...wt_t=1658412592328 ).
Umso seltsamer ist es, dass Deutschlands Taxis um Jahrzehnte hintendran sind, während es just Mercedes-Benz ist, das besagte barrierefreie Autos nach UK verkauft.
Lesebrille
In den Kommentaren gehen gleich mehrere Dinge durcheinander. Offenbar haben die Leser:innen überlesen, dass Taxis rechtlich nach § 8, Abs. 2 des Personenbeförderungsgesetzes Teil des ÖPNV sind. Anders schaut es bei Behindertenfahrdiensten aus: diese sind eine freiwillige Leistung der Kommunen und sind, je nach Kommune völlig unterschiedlich in der Anzahl der Fahrten die genehmigt werden. Das kann von vielen bis gar keine Fahrten reichen. Die Kosten pro Fahrt liegen deutlich über den Kosten im ÖPNV.
Der ÖPNV hat barrierefrei zu sein. Das ist schon seit 2013 eine gesetzliche Vorgabe, die bis Ende diesen Jahres umgesetzt werden sollte. Diese Barrierefreiheit kommt übrigens allen zugute. Was für behinderte Menschen notwendig ist, ist für alle ein guter Service. Das merkt man spätestens dann, wenn man sein Fahrrad samt Packtaschen an einem Bahnhof ohne (funktionierenden) Fahrstuhl die Treppe hoch- oder runtertragen darf (nur ein Beispiel).
Viele schwerbehinderte rollstuhlnutzende Menschen haben entweder einen kostenlosen, oder einen deutlich preiswerteren Zugang zum ÖPNV. Der Einkommensausfall der Verkehrsgesellschaften wird durch Steuergelder (die übrigens auch von Rollstuhlnutzer:innen mit Einkommen erwirtschaftet werden) ausgeglichen Einen extra Fahrdienst als Stadt anzubieten, bedeutet eine Doppelbelastung.
Behindertenfahrdienste sind auch deutlich eingeschränkter als der ÖPNV nutzbar und sind auf eine Voranmeldung angewiesen.
Und nicht zuletzt: seit 28 Jahren steht im Grundgesetz, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Ein extra zur Kasse bitten, ist aber genau das.
Fortsetzung folgt...
Bolzkopf
Also ich finde dass man das Taxigewerbe (das ja eine Leistungspflicht hat) hier überfordert.
Als Rollifahrewr kannst du ja den Hauptvorteil (ein Taxi vom Straßenrand herbeiwinken) eh nicht nutzen.
Also sollte man das Taxigewerbe wirklich von dieser schweren Aufgabe befreien,
Taxis den Transport von Rollstühen untersagen und
dafür Fahrdienstleistern (es muss ja nicht grad UBER sein) diese Aufgabe übertragen.
Caritas und Malteser würden diesen Service sicher liebend gern' anbieten.
Und wo wir grade dabei sind bietet sich ja eine strikte Trennung von Taxi zu Fahrdienst an:
Taxis sind präsent. Man kann sie heran winken oder sie stehen halt am Straßenrand und man steigt zu.
Geplante Fahrten (bei denen man ein Fahrzeug bestellt) werden von Fahrdiensten abgewicklelt.
Saubere Lösung. Diskriminierungsfrei und nachvollziehbar.
mensch meier
Sozialpolitik ist ein eigenes Feld.
Und dort wird die Unterstützung für Beeinträchtigungen geregelt.
Warum sollte die Gesellschaft den Taxiunternehmen die Mehrkosten für Sozialleistungen aufbürden? Da gehören sich nicht hin. Das ist nicht fair.
Eigene Kosten zu tragen, ist keine Diskriminierung, Mehraufwand verdient auch einen Mehrpreis!
Und das, wo nicht mal der ÖPNV barrierefrei umgebaut ist - in öffentlicher Kostenverantwortung...