Tauziehen um Syrien und Srebrenica: Kein bisschen menschlicher
Beschämend: zum Srebrenica-Jahrestag lässt die Welt die Menschen in Syrien im Stich. Hilfe darf nicht vom guten Willen von Regierungen abhängig sein.
S rebrenica darf sich niemals wiederholen“, mahnte Bundesaußenminister Heiko Maas am Samstag zum 25. Jahrestag des Massakers von Srebrenica und sprach von einem Verbrechen „quasi unter den Augen der Weltöffentlichkeit“. Am gleichen Tag stoppte das Veto Russlands und Chinas im UN-Sicherheitsrat, in dem Deutschland den Vorsitz hat, die Genehmigung für UN-Hilfen an die belagerte Zivilbevölkerung in Idlib im Nordwesten Syriens. „Wir bedauern zutiefst“, sagte Maas zu dieser Preisgabe von Millionen Syrern durch die UN.
„Niemals wiederholen“? Der Syrienkrieg ist eine Wiederholung des Horrors des Jugoslawienkrieges in vielfacher Dimension. Wenn der Völkermord von Srebrenica ein Weckruf für die Welt war, wurde er entweder nicht gehört, oder die Welt ist wieder eingeschlafen. Die ausgiebig diskutierte „Schutzverantwortung“ der Weltgemeinschaft für Menschen, die den eigenen Regierenden schutzlos ausgesetzt sind, blieb eine Totgeburt. „Quasi unter den Augen der Weltöffentlichkeit“, um es mit Maas zu sagen, hat das Assad-Regime die Hälfte der syrischen Bevölkerung umgebracht oder verjagt. Keine Regierung der Welt war mutig genug, sich dem entgegenzustellen. Und jetzt wird das wenige, was es an humanitärer Hilfe gibt, weiter eingeschränkt.
Immerhin hat das Einknicken des deutschen UN-Ratsvorsitzes am Ende dafür gesorgt, dass ein türkisch-syrischer Grenzübergang für UN-Hilfe offen bleibt. Dabei ist es eine Lüge, dass ansonsten keine Hilfe mehr möglich wäre. Natürlich wäre sie möglich – nur eben nicht unter der Ägide der Vereinten Nationen. Auf beiden Seiten der Grenze steht die türkische Armee. Ob und wofür die Grenze offen ist, wird in Ankara entschieden. Das konkreteste Ergebnis des Herumeierns im UN-Sicherheitsrat ist, Russland und die Türkei in Syrien weiter zu stärken.
Humanitäre Hilfe darf nicht vom guten Willen von Regierungen abhängig sein. Sie hat sich allein an den Bedürfnissen der Menschen auszurichten. Vor gut fünfzig Jahren war die Weigerung Einzelner, das Aushungern des Sezessionsstaates Biafra in Nigeria zu akzeptieren, die Geburtsstunde der modernen humanitären Hilfe, die sich über Verbote hinwegsetzte, um Menschen am Leben zu erhalten. Von Ärzte ohne Grenzen bis Cap Anamur standen danach Mutige in aller Welt für das Primat der Menschlichkeit ein.
Es gibt solche Mutigen auch heute in Syrien – sofern sie noch am Leben sind, nach Jahren gezielter Zerstörung der humanitären Infrastruktur. Aber auf den Rest der Welt können sie nicht zählen. Das ist die beschämende Lehre dieses beschämenden Srebrenica-Jahrestages.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Journalist über Kriegsgefangenschaft
„Gewalt habe ich falsch verstanden“