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Stopp von Hilfslieferungen nach Syrien2,8 Millionen vom Hunger bedroht

In der Frage der Hilfstransporte nach Syrien blockieren sich die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates erneut gegenseitig. Russlands Veto stützt vor allem Assad.

Bald ohne UN-Hilfe? Kinder spielen in Jisr al-Shughur in Syrien vor einer zertrümmerten Schule Foto: Anas Alkharboutli/dpa

Istanbul taz | Nach der Blockade im UN-Sicherheitsrat werden die Hilfslieferungen von der Türkei nach Syrien gestoppt. Auch nach einer Woche diplomatischen Fingerhakelns im Weltsicherheitsrat in New York, bekam kein Vorschlag zur Weiterführung der Hilfstransporte eine Mehrheit.

Ein deutsch-belgischer Vorschlag scheiterte zweimal am Veto von Russland und China, ein russischer Gegenvorschlag wurde ebenfalls zweimal von der großen Mehrheit der Sicherheitsratsmitglieder abgelehnt. Damit endete das Hilfsprogramm für die Menschen in Syrien, die durch den Bürgerkrieg zu Flüchtlingen im eigenen Land wurden, nach sechs Jahren in der Nacht vom Freitag, 10. Juli, auf den Samstag.

Im Kern geht es bei der Auseinandersetzung darum, dass Russland seinem Protegé, dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, wieder mehr Zugriff auch auf die Teile des Landes verschaffen will, die er nach wie vor nicht kontrolliert. Das Assad-Regime, argumentiert Russland, ist die legitime Regierung. Folglich müsse die UN bei Hilfslieferungen mit Damaskus zusammenarbeiten.

Schließen von Grenzen

Ursprünglich galt das UN-Hilfsprogramm für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge in den nicht von Assad kontrollierten Gebieten. Über vier Grenzübergänge, zwei an der türkisch-syrischen Grenze, einer an der irakisch-syrischen Grenze und ein weiterer von Jordanien nach Syrien, wurden von der UN Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs zu den syrischen Binnenflüchtlingen geschafft.

Im vergangenen Jahr wurden durch ein Veto Russlands bereits die beiden Grenzübergänge im Irak und Jordanien aus dem Programm genommen. Jetzt will Russland mit Unterstützung Chinas von den beiden Grenzübergängen an der türkisch-syrischen Grenze einen weiteren schließen. Nur noch der Grenzübergang Bab al-Hawa, im Westen der Rebellenprovinz Idlib, soll noch für 12 Monate offen bleiben.

Ringen um eine Lösung für Hilfeleistungen nach Syrien: Sitzung des Weltsicherheitsrats in New-York Foto: Ralf Hirschberger/dpa

Außer China lehnen alle anderen 13 Mitglieder des Weltsicherheitsrates das ab, weil die betroffenen 2,8 Millionen Hilfsbedürftigen über nur einen Grenzübergang nicht mehr versorgt werden können. Dadurch würde das Überleben vieler Menschen unmittelbar bedroht, erklärte die Welthungerhilfe, die bislang an der Umsetzung des Programms beteiligt ist. Zuletzt hatten Belgien und Deutschland einen Resolutionsvorschlag präsentiert, der den Russen zeitlich entgegenkam und die Hilfslieferungen über zwei Übergänge zunächst auf sechs Monate beschränkt hätte. Moskau lehnte ab.

Weiterer Resolutionsentwurf von Belgien und Deutschland

Dahinter steckt die Strategie, das Baschar al-Assad die Menschen in der letzten Aufstandsprovinz in Idlib durch Hunger zum Aufgeben zwingen könnte, statt sie mit Flugzeugen und Panzer anzugreifen. Für die kurdischen Gebiete im Osten Syriens, die im vergangenen Jahr noch vom Irak aus versorgt wurden, scheint diese Strategie bereits aufzugehen. In Verhandlungen mit dem Assad-Regime sind die Kurden gezwungen, immer mehr Abstriche von ihren Autonomievorstellungen zu machen.

Obwohl das Hilfsprogramm nun erst einmal beendet ist, wollen Deutschland und Belgien im Sicherheitsrat weiter verhandeln. Die Länder haben bereits gemeinsam einen neuen Resolutionsentwurf vorbereitet. Er sieht vor, dass zusätzlich zu dem von Russland akzeptierten Übergang Bab al-Hawa für 12 Monate, der bisherige Übergang Bab-al-Salam wenigstens noch für 3 Monate offen bleiben soll. Danach könne man dann weitersehen. Noch steht nicht fest, ob es am Wochenende bis zum 12.Juli zu einer erneuten Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über diesen Vorschlag kommt.

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4 Kommentare

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  • Man könnte noch erwähnen, dass 17 Mio Syrer unter den Sanktionen leiden, die die EU gegen die Zivilbevölkerung verhängt hat, um einen Regierungswechsel zu erwzingen. Man könnte erwähnen, dass hunderttausende Kurden - nicht nur Afrin - von unserem Waffenkunden und NATO-Partner Türkei vertrieben, enteignet oder ermordet wurden und werden. Man könnte erwähnen, dass die "Rebellen" in Idlib al Quaida und IS zugerechnet werden. Man könnte erwähnen, dass über Syrien seit Jahren Bundeswehrflugzeuge herumfliegen. Statt "auf zu klären" könnten die auch Hilfslieferungen abwerfen. Genauso, wie amerkanische Militärtransporte Hilfsgüter nach Syrien transportieren könnten statt Panzern und Raketen.

    All das könnte man erwähnen.

    Aber dann wäre die Geschichte eine andere.

  • Verstehe ich das richtig, dass der Westen nicht alle Syrer versorgen will und sich auf die Versorgung der sogen. Rebellengebiete beschränken will?



    Und weil das nicht durchsetzbar ist, wird die Versorgung komplett eingestellt?

    Wenn dem so ist, dann habe ich eine ganz andere Vorstellung von humanitärer Hilfe.

    • RS
      Ria Sauter
      @Rolf B.:

      Das habe ich auch so verstanden.Wenn dies so ist, fehlen mir die Worte.

  • Irgendwie verstehe ich dieses ganze diplomatische Gezerre nicht mehr!



    Ist die UN nicht mächtig genug, ein klares "NEIN!" auszusprechen? Statt dessen werden den dubiosen Machthabern wie Assad, aber auch Erdogan, Putin, Xi Zugeständnisse gemacht.



    NEIN würde heissen:



    - wir machen weiter Hilfslieferungen



    - Türkei sofort raus aus der Nato



    - mal ein paar taktische Manöver im östlichen Mittelmeer anlaufen lassen

    Ich dachte Ende der 80er: "Endlich ist der kalte Krieg vorbei"



    Aber nichts - es geht gerade munter weiter und irgendwie macht jeder, was er will.

    Deshalb wäre endlich mal "Klare Kante" angesagt.....