Tauschaktion Bezahlkarte gegen Cash: Solidarität statt Schikane
Markus Söder feiert die Bezahlkarte, andere sehen darin eine weitere Entrechtung von Geflüchteten. Ausgerechnet in der Heimatstadt des CSU-Politikers nutzen Aktivist*innen nun einen Trick, um die Karte zu umgehen.
Die fünf sind Asylbewerber. Als solche bekommen sie in Bayern ihre Leistungen seit dem Sommer nicht mehr auf ihr Konto überwiesen, sondern auf eine Plastikkarte. Mit der aber lassen sich nur 50 Euro Bargeld im Monat abheben. „Wir kommen damit nicht klar, einige Läden in Bad Windsheim akzeptieren keine Karten“, sagt Sagir. Deutschland hängt am Bargeld, an Asylsuchenden nicht so sehr.
Zahlungen an Schlepper und die Familien im Herkunftsland soll die Bezahlkarte verhindern, argumentieren Grüne, FDPler, Sozial- und Christdemokrat:innen. In Deutschland Schutz zu suchen soll damit weniger attraktiv werden, die Karte ist nur Teil einer ganzen Reihe von Asylrechtsverschärfungen.
Der Bund und 14 Bundesländer haben sich im November 2023 auf ein entsprechendes Verfahren geeinigt, das aber nach vielen Verzögerungen noch nicht bundesweit umgesetzt ist. Mecklenburg-Vorpommern ging von Anfang an einen eigenen Weg. Auch Bayern. CSU-Ministerpräsident Markus Söder (CSU) versprach eine Karte, die „schneller und härter“ sei als in den anderen Ländern.
Gutscheine gegen Bargeld
Doch ausgerechnet in Söders Heimatstadt Nürnberg gibt es Menschen, die mit einem Trick Geflüchteten zu Bargeld verhelfen: Sie tauschen ihre Scheine gegen Gutscheine, die die Asylsuchenden zuvor im Supermarkt mit ihrer Bezahlkarte erworben haben. Die CSU schäumt – und droht, solche Aktionen zu sanktionieren.
Ismail Sagirs Grüppchen steigt die Treppen zum Stadtteilzentrum „Desi“ in der Nürnberger Innenstadt hinauf. 1979 haben Alternative die frühere Desinfektionsanstalt besetzt, seitdem dient der Backsteinbau der Jugendarbeit, Tanzkursen und einer Fahrradwerkstatt. Am Montag sind Kneipe und Biergarten geschlossen, da ist jetzt wöchentlich Platz für den Tausch von Gutscheinen gegen Bargeld.
Neben einer Handvoll Einzelpersonen ist die NSU-Aufarbeitungsinitiative „Das Schweigen durchbrechen“ und die Interventionistische Linke daran beteiligt, erzählt Johanna Böhm, pinkes T-Shirt, Mullet-Frisur, am Tresen der Desi-Bar. Böhm arbeitet für den Bayerischen Flüchtlingsrat, hat die Aktion mitorganisiert. Sie findet eine Bezahlkarte an sich gar keine schlechte Sache: „Wenn sie als Girokontoersatz gedacht wäre.“ Ein Konto zu eröffnen sei für Neuankommende ziemlich schwierig, da könnte eine schnelle Karte helfen. Doch: „So wie die Karte jetzt läuft, ist sie diskriminierend und raubt den Asylsuchenden die Freiheit.“
Die Bezahlkarte ist auf 50 Euro Bargeld und einen regionalen Geltungsbereich beschränkt. Was das heißt, legen die lokalen Behörden unterschiedlich aus. Onlinebestellungen, Fachgeschäfte außerhalb der Landkreisgrenze seien für manche Asylsuchenden, etwa in Niederbayern, nicht zugänglich. Auch Überweisungen an den Handyanbieter, den Anwalt oder den Sportverein erlaubt die Bezahlkarte nicht.
Kann Johanna Böhm verstehen, dass die demokratischen Parteien mit solchen Maßnahmen der AfD das Wasser abgraben wollen? Böhm antwortet mit Gegenfragen: „Ist die behauptete Unordnung im Land überhaupt da? Oder wird die gemacht, um in Wahlkämpfen punkten zu können?“ Die Aktivistin will eine faktenbasierte Debatte. Dass es Sozialleistungen sind, die Asylbewerber:innen nach Deutschland locken, sei von der Migrationsforschung gar nicht belegt. Böhm erwartet von den Parteien, den positiven Blick auf Migration zu stärken. Weniger Abwehrkampf, mehr Arbeitsmarktintegration.
Die CSU wittert einen Skandal
Ismail Sagir wartet jetzt in der Schlange der Tauschwilligen. Der Kurde hat in der Türkei als Techniker für Klimaanlagen und Heizungen gearbeitet, bevor er sich genötigt sah, das Land zu verlassen. „Erdoğan ist ein Diktator“, sagt Sagir, dann ist er an der Reihe.
Sechs Freiwillige sitzen in einem kahlen Raum, vor sich Laptops. Auf den Webseiten von Lidl, Aldi, DM, Rewe und lassen sich Gutschein-Codes überprüfen, nur Coupons von diesen Läden werden angenommen, maximal 50 Euro können getauscht werden. „Damit nicht einer 400 Euro tauscht und für die anderen nichts mehr da ist“, sagen die Freiwilligen. Englisch können sie, Französisch, ein wenig Arabisch. Wenn das nicht reicht, hilft die Übersetzungsapp auf dem Handy. Ismail Sagir tauscht seinen Lidl-Gutschein ein gegen den 50-Euro-Schein, den ein Mann im gleichen Alter mitgebracht hat.
Das ist für Winfried Bausback, Landesvorstand der Juristen in der CSU, ein Skandal: „Dass demokratisch legitimierte und von der Mehrheit getragene Entscheidungen unterlaufen werden, ist nicht akzeptabel“, schreibt er in einer Pressemitteilung. Da dürfe man nicht tatenlos zusehen. Bausback will, dass die Parlamente die Tauschaktionen als Ordnungswidrigkeit sanktionieren.
Johanna Böhm vom Bayerischen Flüchtlingsrat ist von dieser Drohung wenig beeindruckt. „Was wir machen, ist eine zivilgesellschaftliche Pflicht. Nicht unsere Aktion ist rechtlich fragwürdig, sondern die Bezahlkarte.“ Mit dieser Einschätzung ist Böhm nicht alleine. In Berlin, wo die Bezahlkarte noch nicht eingeführt wurde, kam die Ombudsstelle gegen Diskriminierung gerade erst zum Ergebnis, dass eine Bargeld-Obergrenze von 50 Euro Geflüchtete benachteiligen würde.
Klagen gegen Bezahlkarte erfolgreich
Das Nürnberger Sozialgericht hat Ende Juli zwei Geflüchteten recht gegeben, die gegen Einschränkungen durch die Bezahlkarte geklagt haben. In Eilverfahren wies das Gericht die zuständige Kommune an, den Klagenden ihr Geld künftig wieder aufs Konto zu überweisen. In ihrer Pauschalität sei die Karte rechtswidrig, man müsse den Einzelfall prüfen. In einem ähnlichen Fall hat das Sozialgericht Hamburg kurz vorher entschieden, dass die Bargeldobergrenze von 50 Euro zumindest für Geflüchtete mit Kindern und Schwangere rechtswidrig sei. Die persönlichen Lebensumstände seien zu berücksichtigen. Rechtskräftig sind die Entscheidungen noch nicht, Urteile, die in eine andere Richtung deuten, gibt es auch.
Drei Frauen, die aus Westafrika stammen, kommen die Treppen zur Nürnberger Desi herauf, zwei kleine Kinder haben sie dabei. Aber keine Gutscheine. Eine Freiwillige erklärt auf Französisch, wie der Tausch gedacht ist, zeigt, wo das nächstmögliche Geschäft liegt, in dem es Gutscheine gibt. Ob die Frauen trotz der komplizierten Methode wiederkommen?
Dass und wie hier getauscht wird, muss sich noch rumsprechen, sagen die Freiwilligen. Es ist erst der zweite Tauschtermin, es sind noch weit weniger Asylsuchende als Tauschwillige, die zur Desi kommen. Darunter Maria Brehm und Theresa Hulin. Die Lehramt-Studentinnen haben auf Instagram von der Aktion erfahren. In Hamburg, München, Regenburg gibt es schon ähnliche Tauschbörsen.
Sie denke an die Kinder von Asylsuchenden, die anders als andere Schüler:innen vom Pausenverkauf ausgeschlossen seien, sagt Theresa Hulin. Auf dem Flohmarkt sei vieles viel günstiger, sagt Maria Brehm, „da kommt man mit der Bezahlkarte aber nicht weit“. Die beiden Frauen sind sich einig, dass die Tauschaktion ein Tropfen auf den heißen Stein sei. „Es geht uns darum, im Kleinen etwas zu tun. Besser wäre natürlich, wenn es die Bezahlkarte gar nicht mehr gäbe.“
„Und die Grünen machen mit“
Obwohl Bund und Länder sie schon im November 2023 beschlossen haben, gibt es sie noch keineswegs überall. Das bundesweite Vergabeverfahren hat sich verzögert, was die Kommunen umsetzen, kann sehr unterschiedlich aussehen. Das brandenburgische Potsdam etwa will mehr Bargeld zur Verfügung stellen, die dortige Stadtverordnetenversammlung schreibt in Bezug auf die Sozialgerichte in Hamburg und Nürnberg: „Die Rechtsentwicklung inklusive der daraus resultierenden Rechtsbindung der Kommunen bleibt abzuwarten.“
Im Nürnberger Stadtteilzentrum sagt eine Tauschwillige aus der Gründergeneration der Desi: „Lidl finde ich doof.“ Lieber wartet sie auf Asylsuchende mit Edeka-Gutschein. Die Frau gesellt sich zu einem Bekannten, der vor dem Gebäude raucht. „Bett, Brot, Seife – was soll das“, klagt sie über die Sanktionsrhetorik der FDP. „Und die Grünen machen mit“, sagt er. Gegen die Asylrechtsverschärfungen gebe es Ende November eine Großdemo in Nürnberg, sagen beide der taz.
Um 19 Uhr endet die Tauschzeit, gerade noch rechtzeitig kommen die drei Westafrikanerinnen zurück, lachen erleichtert. Sie bekommen ihr Bargeld, die beiden Kinder ein Croissant. „À la prochaine.“ Bis nächsten Montag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs