Tauben in der Stadt: Auf Wohnungssuche in Neukölln
Stadttauben hängen sehr an ihrem Brutplatz. Wenn der wegfällt, suchen sie in unmittelbarer Nähe nach Ersatz – selbst wenn das eine WG-Toilette ist.
Am nächsten Tag sehe ich eine der beiden Tauben immer wieder im Fenster des Nachbarn verschwinden, teils mit Stöckchen im Schnabel. Als ich ihn darauf anspreche, sieht er nach. Tatsächlich haben die Tauben sich dort ebenfalls innerhalb kurzer Zeit ein Nest eingerichtet. Auch er räumt das Nest ab und schließt das Fenster.
Die Tauben lassen sich davon nicht beirren. Mit ihrem auffälligem Flapp-flapp-flapp fliegen sie von nun an zwischen den Fenstersimsen von Vorder- und Hinterhaus hin und her und gucken überall rein. Oft flattern sie uns auch im Treppenhaus entgegen. Meine Mitbewohnerin findet eine Feder in ihrem Zimmer, auf meinem Fensterbrett (drinnen) hinterlassen sie einen Kothaufen. Es ist offensichtlich: Die Tauben wollen unbedingt in einer Neuköllner WG wohnen. Mit Putzplan und Aufräumen der gemeinsamen Räume sehen sie es eher locker.
„Ja, die wollen im Kiez bleiben“, sagt Wildtierexperte Derk Ehlert. „Das sind sicherlich Felsentauben“, vermutet er, die seien in Berlin und in Städten überhaupt sehr verbreitet. „Für die ist das kein Haus, sondern ein Felsvorsprung mit interessanten Ritzen“, sagt er. Felsentauben leben laut Ehlert monogam und sind sehr „ortstreu“, binden sich also sehr stark an einen festen Platz. Tatsächlich wird unser Nachbarhaus saniert, womöglich sind sie also von dort verdrängt worden. „Wenn lokal ein Brutplatz wegfällt, suchen sie im unmittelbaren Umfeld“, sagt Ehlert. Das sei eben das Nachbarhaus, nicht etwa die Nebenstraße.
Streng geschützte Art
Auch Ehlert rät, die Fenster zu schließen. Denn Felstauben gehören zu den streng geschützen Arten, „sobald ein Ei im Nest liegt, darf man es nicht mehr entfernen“, sagt er. Ihre Nester würden sie so hastig und unordentlich bauen, weil sie nur verhindern müssten, dass das Ei den Felsen herunterrollt. Und es sei auch kein Zufall, dass sie so nahe kämen. „Menschen haben Tauben 6.000 Jahre lang gehalten“, sagt Ehlert. Die Tauben in der Stadt seien letztlich wieder verwildert.
Und nicht umsonst seien sie auch ein Symbol für den Frieden oder für Glück. „Sie haben einen sehr guten Orientierungssinn, sie finden immer wieder nach Hause und fliegen teils 100 Kilometer, um Futter zu suchen“, sagt er. „Die meist sehr schlechte Behandlung heute haben sie nicht verdient.“
Inzwischen ist Lüften bei uns generell schwierig. Eines Morgens wache ich sehr früh von lautem Gurren auf – und erwische die beiden Tauben dabei, wie sie vom großen Badezimmer neugierig Richtung Küche trippeln. Im erweiterten Bekanntenkreis höre ich von ähnlich motiviert suchenden Tauben, die Bekannten haben am Ende feinmaschige Drahtnetze vor die Fenster gespannt. Mir fallen nun auch überall Spikes auf, die an Gebäuden angebracht sind, um Tauben zu „vergrämen“. Aber Spikes oder Drahtnetze sind uns zu rabiat.
Wir versuchen es mit Glitzer: Beim Lüften hängen wir silberne und goldene Zahlenballons von vergangenen Geburtstagen ins Fenster, die sich bewegen und im Wind leise knistern. Vor die Lüftungsschlitze im Treppenhaus kleben wir bunte Luftschlangen und Lamettastreifen.
Noch am selben Tag sehe ich eine der beiden Tauben mit einem Lamettastreifen im Schnabel auf der Treppe sitzen. Das könnte ihr Nest aufhübschen, denke ich. Und hoffe, dass sie bald eine Nische finden.
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