„Tatort“ aus Dortmund: Ohne Banalitäten
Ein Tatort, der strukturellen Rassismus in der Polizei und gesellschaftliche Reaktionen darauf thematisiert. Belehrend kommt er nicht daher.
Es ist wahrscheinlich Zufall, dass diese „Tatort“-Folge just nach dem Jahrestag des rassistischen Anschlags in Hanau läuft. Zumindest wird nichts dergleichen im Pressedossier über „Heile Welt“ erwähnt. Und der WDR hat mit seiner rassistischen Talk-Ausgabe „Die letzte Instanz“ samt vergurkter Nicht-Entschuldigung und dem Blackfacing in einer Karnevalssendungen ausreichend gezeigt, dass antirassistische Sensibilität nicht so wirklich zu den Stärken des Senders gehört.
Es mag also Zufall sein, aber: Unter allen bekannten deutschen TV-Krimi-Versuchen, strukturellen Rassismus in der Polizei zu thematisieren und gesellschaftliche Reaktionen darauf, gehört dieser Dortmunder „Tatort“ wirklich zu den besten.
Der Kontext, stark verkürzt: Eine junge weiße Mieterin eines Hochhauskomplexes in Dortmund liegt ermordet in ihrem Kellerabteil. Kommissarin Bönisch (Anna Schudt) nimmt vor Ort einen der Nachbarn fest, den Teenager-Sohn der irakischen Familie Khaled. Jemand filmt sie dabei, der Clip landet in den sozialen Medien. „Super“ kommentieren die einen, „Rassistin“ die anderen.
Die medialen Blasen drumherum kriegen Impulse von einem rechtsextremen Lokalpolitiker mit eigenem Youtube-Kanal und einer linken Plattform. Das ganze Chaos aus homogenisierenden Gruppen-Zuschreibungen einerseits, individuellem Selbstverständnis andererseits, dazu Missverständnissen, verfälschenden Verkürzungen knallt hier aufeinander. Und zwar ohne dröge oder nervend belehrend daherzukommen, sogar ohne banalen Schluss.
Visuell aufregend
Das hat mehrere Gründe. Zum einen liegt es daran, wie sensationell Regisseur Sebastian Ko („Wir Monster“) diese Geschichte von Jürgen Werner inszeniert hat. Da sind etwa die rauchroten Nebelschwaden gleich zu Beginn. Eine Preview auf eine spätere Kampfszene, aber eben alles undurchsichtig und in Slow Motion. Visuell aufregender als alle „Tatorte“ seit einem Jahr. Und ein Bild für die Gemengelage der Story.
Dortmund-„Tatort“: „Heile Welt“, So., 21.02.21, 20.15 Uhr, ARD und in der Mediathek
Zum anderen dank des Plots: Hauptkommissarin Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) ist die Neue, sie ersetzt Nora Dalay (Aylin Tezel) und hat hier die Rolle der Außenstehenden: Sie weiß eben nicht, wie das Team so tickt, wie stark die Kumpanei, wie ausgeprägt Racial Profiling ist.
Und obendrein gönnen Drehbuch und Regie der Crew um Faber, Bönisch, Pawlak samt Nebenfiguren, dass sie Facetten haben dürfen. Und so komplex sein können, wie das eben in 90 Minuten möglich ist. Aber: Es geht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“